Seit mehre­ren Tagen steigt die Corona-Inzidenz wieder leicht. Manche Politi­ker und Unter­neh­mer wollen trotz­dem weiter lockern. Sie verwei­sen darauf, dass die Inzidenz als Kennzif­fer nicht mehr geeig­net sei. Das sieht Gesund­heits­mi­nis­ter Lucha auf Dauer ähnlich.

Seit Monaten schon warten Millio­nen von Menschen in Baden-Württem­berg gebannt Tag für Tag auf die sogenann­te Sieben-Tage-Inzidenz. Für Hotel­be­trei­ber, Gastro­no­men und Schau­stel­ler ist die Zahl der Infek­tio­nen pro 100.000 Einwoh­ner binnen einer Woche ebenso relevant wie für Eltern und Bürger­meis­ter, Lehrer und Clubbe­sit­zer. Denn von der Inzidenz hängt bislang ab, ob Corona-Locke­run­gen einge­führt oder ob die Zügel bei den Aufla­gen wieder angezo­gen werden.

Dieses Primat der Infek­ti­ons­mar­ke weicht zuneh­mend auf, weil sich immer mehr Menschen impfen lassen. Auch Gesund­heits­mi­nis­ter Manne Lucha will sich mittel­fris­tig davon lösen, dass Locke­run­gen und Beschrän­kun­gen allein die Inzidenz zur Grund­la­ge haben. Der Grünen-Politi­ker baut auf die Relevanz anderer Daten.

Die Sieben-Tage-Inzidenz könne auf Dauer nicht mehr der einzi­ge ausschlag­ge­ben­de Wert für Aufla­gen und Locke­run­gen sein, sagte Lucha am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Der Blick auf die Gesamt­si­tua­ti­on sei künftig umso wichti­ger, wenn es um die Beschrän­kung von Freiheits­rech­ten gehe. Stark ins Gewicht fallen müssten auch die Impfquo­te sowie die Auslas­tung der Kranken­häu­ser und die Krankheitsverläufe.

Lucha begrüß­te die Ankün­di­gung von Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU), Kranken­häu­ser zu einer detail­lier­te­ren Dokumen­ta­ti­on der Daten zu den statio­när behan­del­ten Corona-Patien­ten zu verpflich­ten. «Je mehr Daten wir haben über den Schwe­re­grad von Verläu­fen, Vorer­kran­kun­gen und Sterb­lich­keit, umso besser können wir die Gesamt­la­ge bewer­ten», sagte Lucha. Neben der Belegung von Inten­siv­sta­tio­nen müssen laut Gesund­heits­mi­nis­te­ri­um künftig alle Kranken­haus­ein­wei­sun­gen wegen Corona übermit­telt werden, zuzüg­lich Alter, Art der Behand­lung und Impfsta­tus der Patienten.

In Großbri­tan­ni­en zum Beispiel liege die Inzidenz vergleichs­wei­se sehr hoch bei mehr als 300 Neuin­fek­tio­nen pro 100.000 Einwoh­ner inner­halb von sieben Tagen, argumen­tier­te Lucha. Aller­dings sei die sogenann­te Letali­täts­ra­te — also das Verhält­nis der Anzahl der Covid 19-Todes­fäl­le zur Anzahl neuer Infek­tio­nen — bei ledig­lich 2,5 Prozent. «Sie ist damit ähnlich niedrig wie in Deutsch­land, wo die Sieben-Tages-Inzidenz bei nur 6,4 liegt», sagte Lucha.

Das Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um hatte am Wochen­en­de bekannt­ge­ge­ben, dass die Klini­ken künftig mehr Details zu Covid-19-Fällen melden sollen. Die Infor­ma­tio­nen zu Klinik­auf­ent­hal­ten sollen stärker in die Bewer­tung der Pande­mie­la­ge einbe­zo­gen werden.

Die Deutsche Kranken­haus­ge­sell­schaft (DKG) sieht diese Pläne aller­dings kritisch. Die Inzidenz der hospi­ta­li­sier­ten Fälle sei ein wichti­ger Indika­tor, hieß es zwar in einer Mittei­lung. Eine Melde­pflicht der Hospi­ta­li­sie­run­gen einzu­füh­ren, sei aber wenig hilfreich, weil die wichtigs­ten Punkte bereits an die Gesund­heits­äm­ter gemel­det würden, hieß es weiter. Man stehe für einen konstruk­ti­ven Austausch bereit, um die notwen­di­gen Melde­da­ten zu erheben. «Doppel­mel­dun­gen und damit einher­ge­hen­de bürokra­ti­sche Mehrbe­las­tun­gen ohne Erkennt­nis­ge­winn sind aber zu vermeiden.»

Klini­ken und Klinik­ärz­te seien über das Infek­ti­ons­schutz­ge­setz bereits jetzt dazu verpflich­tet, Krank­heits­ver­dacht, Erkran­kung oder Tod in Bezug auf Covid-19 zu melden. Hinzu kämen weite­re Angaben etwa über Zeitpunkt oder Zeitraum der Infek­ti­on und auch zum Impfsta­tus. «Warum diese Melde­pflich­ten nun noch einmal in einer Verord­nung veran­kert werden müssen, erschließt sich nicht», kriti­sier­te die DKG.

Die Sieben-Tage-Inzidenz gibt die Zahl der Anste­ckun­gen pro 100.000 Einwoh­ner in diesem Zeitraum an und ist Grund­la­ge für viele Corona-Maßnah­men, etwa für die zuletzt ausge­lau­fe­ne Bundes­not­brem­se. Der Wert gilt unter Exper­ten weiter­hin als Anzei­ger dafür, wie sich das Virus in der Bevöl­ke­rung verbrei­tet. Viele Fachleu­te sind sich aber darin einig, dass mit zuneh­men­dem Impfschutz in der Bevöl­ke­rung die Inzidenz in einem anderen Verhält­nis zu schwe­ren Verläu­fen steht als noch vor einigen Monaten.

In Baden-Württem­berg war der Inzidenz-Wert nach wochen­lan­gem Sinkflug zuletzt an mehre­ren Tagen hinter­ein­an­der wieder leicht gestie­gen und hatte am Sonntag die Marke von 6,4 erreicht.