Die Grünen laden zum Bewerbungsgespräch: Jeweils eineinhalb Stunden nehmen sich Kretschmann und Co., um die möglichen Koalitionspartner zu beschnuppern. Bei der CDU macht Eisenmann den Weg endgültig frei für den Neuanfang. Nun ist die Frage: Wie zahm gibt sich die FDP?
STUTTGART (dpa/lsw) — Die grünen Wahlsieger machen bei der Suche nach einem Koalitionspartner Tempo. Schon an diesem Mittwoch wollen sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und die Grünen-Spitze mit allen drei möglichen Bündnispartnern zu Sondierungsgesprächen treffen. Zunächst war geplant gewesen, am Mittwoch nur mit der CDU zu starten und das erste Gespräch über ein mögliches Ampel-Bündnis mit SPD und FDP erst am Freitag zu führen. Erfahrene Abgeordnete sagten am Rande der ersten Grünen-Fraktionssitzung, der Reiz, nach fünf Jahren mit der CDU nochmal etwas Neues zu probieren, sei groß. Aber man sei sich unsicher, wie verlässlich die FDP sei. Die Chancen stünden 50 zu 50.
Die Liberalen stärkten ihrem Spitzenkandidaten Hans-Ulrich Rülke nach dem guten Wahlergebnis vom Sonntag den Rücken und bestätigten den 59-jährigen Pforzheimer als Fraktionschef. Bei den Gesprächen über eine Ampel wird es entscheidend auch darum gehen, ob Rülke nach zehn Jahren Opposition und teilweise brachialer Kritik an der Ökopartei einen Draht zu den Grünen findet. Der Fraktionschef zeigte sich zuversichtlich, dass die Ampel klappt. Aber: «Es gibt natürlich rote Linien für uns», sagte Rülke, ohne konkret zu werden. Dagegen erklärte FDP-Landeschef Michael Theurer, man werde über alles reden. «Ich werde nicht über rote Linien sprechen.»
Die CDU setzt voll auf Landeschef und Innenminister Thomas Strobl, der in den vergangenen fünf Jahren als Vertrauter von Kretschmann galt. Die Union will unbedingt verhindern, neben der AfD in der Opposition zu landen. Für die CDU sollen neben Strobl Generalsekretär Manuel Hagel, Fraktionschef Wolfgang Reinhart, Fraktionsvize Nicole Razavi sowie die Sigmaringer Landrätin Stefanie Bürkle die Chancen für eine Neuauflage von Grün-Schwarz ausloten. Nach dem Desaster bei der Landtagswahl will die gescheiterte Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann den Weg für einen Neuanfang freimachen. Sie werde sich aus der Politik zurückziehen, bestätigte ihr Sprecher der dpa. Zuerst hatte die «Stuttgarter Zeitung» berichtet.
Kretschmann will sich nach eigenen Worten bei der Regierungsbildung nicht von taktischen Erwägungen leiten lassen. «In einer Krise darf man nicht noch eine weitere Krise produzieren», sagte der 72-jährige Regierungschef in der Sitzung der neuen Grünen-Fraktion nach Angaben von Teilnehmern. Die Menschen im Land erwarteten mitten in der Corona-Krise, dass man verlässlich regiere und sich nicht immer streite in einer Koalition. Er werde bei den ersten Sondierungen mit CDU, SPD und FDP an diesem Mittwoch großen Wert auf verlässlichen Umgang legen, sagte Kretschmann demnach.
Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl gibt es dem Vernehmen nach Druck vonseiten der Bundes-Grünen und der Bundes-SPD im Südwesten eine Ampel-Koalition zu bilden, um auch hier zu zeigen, dass es Mehrheiten ohne die Union gibt. Mit Blick auf skeptische Äußerungen von FDP-Chef Christian Lindner zum Thema Ampel, wonach SPD und Grüne nur «Spurenelemente» der FDP-Politik gut fänden, sagte Rülke: «Da hat Christian Lindner recht. Wenn ich mir Kevin Kühnert und Anton Hofreiter anschaue, da stelle ich in der Tat nur Spurenelemente von Liberalität fest», sagte er mit Blick auf SPD-Bundesvize Kühnert und Grünen-Bundestagsfraktionschef Hofreiter