MOSKAU (dpa) — An der Ostsee­pipe­line Nord Stream 1 sollen die Wartungs­ar­bei­ten bis Donners­tag abgeschlos­sen sein. Ob aber Kreml­chef Putin den Gashahn wieder aufdre­hen lässt, ist nicht klar.

Russlands Energie­rie­se Gazprom will sich nicht festle­gen zur Zukunft der Energie­ver­sor­gung in Deutsch­land und in den anderen EU-Staaten.

Die Wartungs­ar­bei­ten an der Ostsee­pipe­line Nord Stream 1 — der wichtigs­ten Versor­gungs­lei­tung von Russland nach Deutsch­land — sollen zwar an diesem Donners­tag (21. Juli) abgeschlos­sen sein. Aber es fehlt weiter­hin eine wichti­ge Turbi­ne, die Kanada lange wegen der Sanktio­nen nach Russlands Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne zurück­ge­hal­ten hat. In Russland erwar­tet niemand, dass sie bis zum letzten Wartungs­tag wieder einge­baut ist. Für die Gasver­sor­gung in Deutsch­land und Europa hat das Folgen.

«Davon hängt die verläss­li­che Arbeit der Gaslei­tung Nord Stream und die Versor­gung der europäi­schen Verbrau­cher ab», teilte Gazprom am Wochen­en­de mit. Das Unter­neh­men beklagt, es gebe vom deutschen Konzern Siemens Energy keine Dokumen­te, die eine Rückkehr der Gastur­bi­ne bestä­tig­ten. Sie sei aber wichtig für die Kompres­sor­sta­ti­on Porto­wa­ja, die wieder­um für den Betrieb von Nord Stream 1 essen­zi­ell sei. Schon vor Beginn der zehntä­gi­gen Wartungs­ar­bei­ten hatte Gazprom die Gasdurch­lei­tung durch die Pipeline um 60 Prozent gedros­selt. Das trieb die ohnehin hohen Gasprei­se weiter in die Höhe.

Alles dreht sich im die Turbine

Zwar betont Moskau mit Blick auf die Wartungs­ar­bei­ten, Russland wolle seine Verpflich­tun­gen als Gaslie­fe­rant auch künftig erfül­len. Aber um die Turbi­ne dreht sich längst die Energie­kri­se in Europa, weil Russland ihr Fehlen nach Befürch­tun­gen der Bundes­re­gie­rung als Vorwand benut­zen könnte, die Liefe­run­gen ganz zu kappen.

Mit hämischer Freun­de berich­ten russi­sche Staats­me­di­en fast täglich darüber, wie etwa die deutsche Bundes­re­gie­rung wegen der unsiche­ren Lage um Nord Stream 1 zum Energie­spa­ren aufruft und Milli­ar­den ausgibt, um die sozia­len Folgen rasant steigen­der Lebens­hal­tungs­kos­ten abzufe­dern. «Nicht wir haben die Sanktio­nen gegen uns einge­führt», sagt der Nachrich­ten­mo­de­ra­tor im Fernseh­sen­der Perwy Kanal.

Auf die Frage aber, ob Kreml­chef Wladi­mir Putin den Gashahn wieder aufdre­hen lässt, gibt es in Moskau keine klare Antwort. Deutlich wird nur, dass Russland die Verant­wor­tung für mögli­che Schwie­rig­kei­ten am ehesten abschie­ben wird. Auch Gazprom betont immer wieder, auf die kaum gefüll­ten Gasspei­cher in Europa hinge­wie­sen zu haben.

Der Staats­kon­zern gibt zudem der Ukrai­ne die Schuld an der Lage, weil nicht einmal mehr die Hälfte der mögli­chen tägli­chen Liefer­men­ge durch das Transit­netz des Landes gelei­tet werde. Die Ukrai­ne, die trotz Moskaus Angriffs­krie­ges derzeit noch rund 40 Millio­nen Kubik­me­ter Gas täglich nach Westeu­ro­pa pumpt, hätte es am liebs­ten, dass die EU ganz auf Liefe­run­gen aus Russland verzich­tet. Auch die Gaslei­tung Jamal-Europa ist still­ge­legt, weil Polen sich weiger­te, das Gas — wie von Putin gefor­dert — in Rubel zu bezahlen.

Moskau erinnert an Nord Stream 2

Schuld an den Proble­men sollen aus russi­scher Sicht stets die anderen haben. Erinnert wird in Moskau aber angesichts der Energie­kri­se mit hohen Preisen und unsiche­rer Versor­gung nicht zuletzt daran, dass es eine ganz einfa­che Lösung für die Lage gebe: Nord Stream 2. Die Gaslei­tung ist fertig, aber wegen des Ukrai­ne-Krieges nie in Betrieb gegan­gen. Putin hatte erklärt, dass durch Liefe­run­gen über diese Leitung die Preise wieder sinken und sich die Situa­ti­on insge­samt entspan­nen könnte.

Russland selbst, da sind sich viele Exper­ten einig, hat kein Inter­es­se daran, in diesem Konflikt als die Seite dazuste­hen, die Verträ­ge bricht. Andere Großab­neh­mer wie China oder die Türkei, die ebenfalls über neu gebau­te Gaslei­tun­gen versorgt werden, könnten alarmiert werden und an Russlands Zuver­läs­sig­keit zweifeln, wenn die Energie­groß­macht Europa den Hahn abdreht. Russland steht seit langem im Ruf, seine Energie als «geopo­li­ti­sche Waffe» einzusetzen.

Wer sich dagegen mit Russland gut stellt — wie etwa Serbi­en, Ungarn und vor allem etwa auch der Nachbar Belarus -, kann tradi­tio­nell auf Freund­schafts­prei­se rechnen. Auch China erhält Gas zu einem deutlich niedri­gen Preis als der Westen.

Russlands Abhän­gig­keit vom Gasverkauf

Manche Politi­ker in Moskau würden den EU-Staaten wegen der antirus­si­schen Politik des Westens am liebs­ten gleich den Gashahn abdre­hen. Der Westen habe seinen Wohlstand überhaupt nur dank Russlands Rohstof­fen so aufbau­en können, heißt es allent­hal­ben. Die Entwick­lung könne nun endlich gestoppt und zurück­ge­wor­fen werden.

Trotz­dem weist etwa der russi­sche Energie- und Finanz­ex­per­te Marcel Salichow darauf hin, dass Moskau von den Einnah­men aus dem Gasver­kauf abhän­gig sei und seinen Staats­haus­halt damit finan­zie­re. Es sei auch nicht möglich, die nach Europa verkauf­ten Mengen einfach umzulei­ten und anders­wo für die im Westen üblichen Preise zu verkau­fen. «Auch nach China lässt sich das nicht umlei­ten. Es gibt dort keine Gaslei­tun­gen mit freien Kapazi­tä­ten», sagt der Präsi­dent des Moskau­er Insti­tuts für Energie und Finan­zen an der Hochschu­le für Ökonomie.

Außer­dem seien Russlands Anlagen für die Verflüs­si­gung von Gas voll ausge­las­tet. Das Land müsste im Fall eines Abdre­hens des Gashahns seine Förder­men­gen deutlich herun­ter­fah­ren, meint Salichow. «Aber auch das ist nicht so einfach.» Mit den überschüs­si­gen Mengen das Inland besser versor­gen? Schon jetzt werde das in Russland geför­der­te Gas zu mehr als zwei Dritteln im Land verwen­det, erklärt der Exper­te. Der Verbrauch lasse sich nicht einfach hochfahren.

Durch die Sanktio­nen des Westens stehen schon jetzt viele Produk­ti­ons­stät­ten in Russland still. Und auch wenn immer wieder die teils schlech­te Anbin­dung der Bevöl­ke­rung in ländli­chen Regio­nen an das Gasnetz ein Thema in Russland ist, erwar­ten Exper­ten nicht, dass nun plötz­lich überall kostspie­lig Leitun­gen verlegt werden. Gazprom verdient damit weniger als im Export.

Ziel Russlands dürfte es daher sein, weiter in die EU zu liefern — aller­dings zu klaren Bedin­gun­gen. Dazu dürfte nicht zuletzt ein Ende des Sankti­ons­drucks im Ukrai­ne-Krieg gehören. Jede Sankti­on, die der Westen selbst umgeht, wird in Moskau wie ein Triumph gefei­ert. Schon zuletzt zwang Putin viele Abneh­mer in der EU zu Rubel­zah­lun­gen für russi­sches Gas.

Und auch die Gastur­bi­ne soll trotz der Sanktio­nen nach Russland zurück­keh­ren. Das könne Deutsch­land nun zwar Hoffnung geben, schreibt die Moskau­er Zeitung «Kommers­ant». «Aber es ist keine Garan­tie, dass die Liefe­run­gen dann wieder ansteigen.»

Von Ulf Mauder, dpa