PARIS (dpa) — Nach bangen Blicken Richtung Frank­reich gibt es nun Gewiss­heit: Mit der Bestä­ti­gung von Macron kann Europa in der Krise weiter auf Paris setzen. Dabei steht der Hausherr im Élysé­e­pa­last daheim vor vielen Baustellen.

In den zwei Wochen vor seiner Wieder­wahl zieht Emmanu­el Macron öfter sein Jackett aus, tritt in eine Menschen­men­ge und lässt sich beschimp­fen. «Ich habe Sie 2017 gewählt, aber ich bedaue­re es», sagt eine Frau im Norden Frank­reichs zu ihm.

«Macron, tritt zurück!», skandie­ren ihm in der Pariser Vorstadt Saint-Denis junge Leute entge­gen. «Präsi­dent der Reichen», schallt es von anderen. Vor der Stich­wahl um den Präsi­den­ten­pa­last geht der 44-Jähri­ge in die Orte, wo Menschen sich nicht für ein Selfie nach vorne drängen, sondern um ihm ins Gesicht zu sagen, was schief läuft in Frankreich.

Am Abend der Stich­wahl, vor dem strah­lend erleuch­te­ten Eiffel­turm, auf der Tribü­ne unter dem Jubel seiner Anhän­ger, darf Macron dann die Früch­te dieser Anstren­gun­gen ernten. Franzö­si­sche und EU-Flaggen wurden verteilt, es spielt die Europa­hym­ne «Freude schöner Götter­fun­ken». Für den Wieder­ge­wähl­ten aber ist es kein Triumph, er gibt sich demütig. «Ich weiß, dass viele unserer Mitbür­ger heute für mich gestimmt haben, um die Ideen der Rechts­extre­men zu verhin­dern und nicht, um die meinen zu unterstützen.»

Arrogant und abgehoben?

Der Weg heraus aus der Komfort­zo­ne des Élysé­e­pa­lasts, runter von den Redner­pul­ten der Wahlkampf­hal­len, das macht sich am Ende bezahlt für Macron. Mit klarer Mehrheit von 58,8 Prozent nach den Hochrech­nun­gen bestä­tig­ten die Menschen den 44-Jähri­gen am Sonntag für eine zweite Amtszeit. Zuvor war der eloquen­te Macron im schicken Anzug oft als arrogant und abgeho­ben kriti­siert worden. Dem Absol­ven­ten einer Elite-Uni und Invest­ment­ban­ker, der 2017 einen Senkrecht­start in den Élysé­e­pa­last hinleg­te, warfen viele fehlen­de Volks­nä­he vor.

Gezielt ging Macron nun zuletzt dort auf Tuchfüh­lung, wo die Menschen zuvor in Scharen den Links­po­li­ti­ker Jean-Luc Mélen­chon oder seine Konkur­ren­tin in der Stich­wahl, die rechts­na­tio­na­le Marine Le Pen, gewählt hatten. Dass diese ihm zwischen­zeit­lich überhaupt so nahe rücken konnte, hing damit zusam­men, dass sie schon Monate vorher auf den Straßen­wahl­kampf in den Regio­nen gesetzt und sich als einfühl­sa­me Zuhöre­rin für die Sorgen der Einkom­mens­schwa­chen präsen­tiert hatte. Zu dem Zeitpunkt hatte Macron noch nicht einmal seine Kandi­da­tur erklärt und war sich seiner Wieder­wahl wohl zu sicher.

Die erste Wahlrun­de wurde zum Reali­täts­check. Auch wenn Macron letzt­lich minimal mehr Prozent­punk­te holte, als Umfra­gen zuvor prognos­ti­ziert hatten, musste er am Wahlabend einge­ste­hen, es sei noch nichts gewon­nen. Die Resignier­ten und die Linken wurden nun zum Zünglein an der Waage, um das Macron buhlen musste. Auf einen Einsatz aller gegen Rechts konnte er sich nicht verlas­sen. Zu groß ist mancher­orts der Frust über Macron.

Und so wurde er eindring­lich. Vor den simplen Rezep­ten Le Pens und ihren natio­na­lis­ti­schen Plänen warnte Macron. Der Hetze der Rechts­na­tio­na­lis­tin gegen Auslän­der und Musli­me stell­te der Präsi­dent sich klar entge­gen: «Frank­reich ist ein Block, da sortiert man nicht aus, da wählt man nicht, man liebt es als Ganzes, so wie es ist.» Außer­dem ließ der Präsi­dent keine Zweifel über die Tragwei­te des Urnen­gangs: «Diese Wahl ist auch ein Referen­dum für oder gegen die EU (…), den Umwelt­schutz und also auch ein Referen­dum für oder gegen das, was wir grund­sätz­lich sind».

Alles, nur nicht Le Pen

Partei­en, Verbän­de, Sport­ler, Kultur­schaf­fen­de — sie alle riefen die Bevöl­ke­rung mit Nachdruck auf, bloß nicht Le Pen zu wählen, sie nicht mit einer Enthal­tung ins Amt zu heben, und auch wenn es weh tut, für den einzi­gen zu stimmen, der sie verhin­dern konnte: Macron. Am Ende zeigte das Wirkung — wenn auch wohl viele Lands­leu­te Macron nur wider­wil­lig ihre Stimme gaben, um Präsi­den­tin Le Pen zu verhindern.

Groß dürfte am Wahlabend das Aufat­men in Berlin und Brüssel ausge­fal­len sein. Einen Sieg der europa­skep­ti­schen Putin-Freun­din mit natio­na­lis­ti­schen Plänen für Frank­reich hatte sich dort niemand wirklich ausma­len wollen. Nun bleibt der libera­le Pro-Europä­er Deutsch­land und Europa erhal­ten. Für den geschlos­se­nen Auftritt der Europä­er in der Ukrai­ne-Krise sowie das gemein­sa­me Abfedern der Folgen spielt Macron eine führen­de Rolle.

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) wird nun weiter im Tandem mit Macron an der Spitze Europas agieren können. Macron und seine Regie­rung benann­ten Deutsch­land stets klar als zentra­len Partner. Le Pen indes machte keinen Hehl daraus, diese Bande lösen und Bündnis­se mit anderen Euroskep­ti­kern vorzie­hen zu wollen.

Schlech­te Nachricht für Putin

Eine schlech­te Nachricht dürfte Macrons Wieder­wahl für Kreml­chef Wladi­mir Putin sein, hätte er doch mit Le Pen im Élysé­e­pa­last Frank­reich als Spalt­pilz in der europäi­schen Front gegen sein Land instru­men­ta­li­sie­ren können. Mit Macron indes gibt es keiner­lei Zweifel am Schul­ter­schluss im Angesicht des Krieges. Und dass Macron den Telefon­kon­takt zu Putin weiter sucht, könnte für einen Verhand­lungs­aus­weg noch einmal von Nutzen sein.

Andere Baustel­len erwar­ten den Wahlsie­ger im eigenen Land. Nach einer ersten Amtspe­ri­ode mit aufge­scho­be­nen Refor­men, eine in der Krise über Kaufkraft­schwund schimp­fen­de Bevöl­ke­rung sowie jungen Menschen, die angesichts des Klima­wan­dels energi­sches Handeln einfor­dern, ist Macron an vielen Fronten gefragt. Auch Bildungs­we­sen und Gesund­heits­sek­tor müssen moder­ni­siert werden.

Neben Verspre­chun­gen und Zugeständ­nis­sen in der Endpha­se des Wahlkampfs stimm­te Macron die Menschen auch darauf ein, dass Belas­tun­gen auf sie zukom­men. «Es gibt keine Unabhän­gig­keit ohne wirtschaft­li­che Stärke, wir müssen also mehr arbei­ten.» Konkret geht es um die Rente mit 65, ein Reizthe­ma, das Macron neben anderen dringen­den Baustel­len demnächst ausfech­ten muss.

Von Rachel Boßmey­er, Violet­ta Heise und Micha­el Evers, dpa