MANNHEIM (dpa/lsw) — Mannheim schaf­fe es sonst selten auf die Reise­Bucket­List, weiß der neue «Marco Polo»-Trendguide für 2023 auch selbst. Doch er hat Gründe, warum er die Stadt fürs kommen­de Jahr empfiehlt.

Nach Mannheim kommt man mit einem weinen­den Auge, von dort geht man aber auch mit einem weinen­den Auge. Der Spruch will sagen, dass die Quadra­te­stadt oft unter­schätzt werde und sich nach einiger Zeit als lebens- und liebens­wer­te Metro­po­le entpup­pe. Der eher als Indus­trie­stadt mit hoher Arbeits­lo­sig­keit bekann­ten Kommu­ne wird jetzt größe­re Aufmerk­sam­keit zuteil: Im neuen «Marco Polo»-Trendreiseführer «Wohin geht die Reise? — Die besten Ziele für 2023» heißt es: «2023 ist das Jahr, in dem man Mannheim besuchen sollte.» Das Buch von MairDu­mont, der größten deutschen Reise­ver­lags­grup­pe mit Sitz in Ostfil­dern bei Stutt­gart, will 40 spannen­de Reise­trends und ‑ziele fürs kommen­de Jahr vorstellen.

«Monnem» als das dabei vielleicht überra­schends­te Ziel ist in erster Linie wegen der Bundes­gar­ten­schau (14. April bis 08. Oktober 2023) auser­ko­ren worden. Buga klinge zwar «nach Reise­bus­sen und Old­School­Blumenanstarren», könne aber so viel mehr bedeu­ten. Nach der Buga von 1975 habe Mannheim etwa zwei große Parks und einen Fernmel­de­turm gehabt.

Gregor Rummel, Leiter des Mannhei­mer Stadt­mar­ke­tings, findet, Mannheim habe bereits bei Geschäfts­rei­sen­den einen guten Ruf. Aber Städte­rei­sen­de hätten Mannheim mit immer­hin 312.000 Einwoh­nern nicht so im Blick. Dafür sei die Buga «ein Segen»: Erwar­tet werden 2,1 Millio­nen Besuche auf der Buga und rund 200.000 zusätz­li­che Übernach­tun­gen. Bislang entfal­len auf US-Ameri­ka­ner die meisten Übernach­tun­gen, gefolgt von Nieder­län­dern. Vor Corona zählte das Mannheim-Marke­ting 1,6 Millio­nen Übernachtungen.

Aber die Stadt hat außer der Buga noch mehr zu bieten. Kneipen und Restau­rants locken Party­gän­ger in den Jungbusch. Damit in dem Amüsier­vier­tel nahe der bundes­weit einzig­ar­ti­gen Popaka­de­mie alles in geord­ne­ten Bahnen läuft, hat die Stadt als erste in Deutsch­land einen Nacht­bür­ger­meis­ter einge­setzt. Der soll es schaf­fen, die Inter­es­sen von Anwoh­nern, Feier­wü­ti­gen und Ordnungs­hü­tern unter einen Hut zu bekom­men. Wer für den abend­li­chen Streif­zug durch die Clubs noch das passen­de Outfit sucht, kann auf der Haupt­ein­kaufs­mei­le Planken und ihren leben­di­gen Neben­stra­ßen fündig werden.

Kultur­lieb­ha­ber haben die Wahl zwischen mehre­ren heraus­ra­gen­den Museen: Bei den Reiss-Engel­horn-Museen sind gerade «Die Norman­nen» zu Gast. Die Kunst­hal­le fördert zeitge­nös­si­sche Künst­le­rin­nen und präsen­tiert fast verges­se­ne Malerin­nen der Vergan­gen­heit, so etwa die feminis­ti­sche Grafi­ke­rin Hanna Nagel. Das Techno­se­um beleuch­tet die Geschich­te der Indus­tria­li­sie­rung des deutschen Südwestens.

Kinofans können sich auf das Inter­na­tio­na­le Filmfes­ti­val in Mannheim und dem benach­bar­ten Heidel­berg freuen (dieses Jahr 17. bis 27. Novem­ber). Eine Stipp­vi­si­te wert ist das Wahrzei­chen der Stadt, der 60 Meter hohe Wasser­turm aus dem 19. Jahrhundert.

Das gerade im Umbau befind­li­che Natio­nal­thea­ter Mannheim, wo Schil­lers «Räuber» 1782 urauf­ge­führt wurden, bietet in vier Sparten Tradi­tio­nel­les und Innova­ti­ves. Während der Sanie­rung werden alter­na­ti­ve Spiel­stät­ten genutzt, etwa in einem Theater­truck oder in einem ehema­li­gen Kino der US-Army auf dem Konversionsareal.

Auch das Buga-Kernge­län­de liegt auf einem frühe­ren Militär­ge­län­de. Highlight sind hier ein Panora­ma­steg, der den Blick über das gesam­te Buga-Gelän­de und auf ein natur­na­hes Au-Gewäs­ser freigibt, sowie eine Seilbahn, die die Besucher in den Luisen­park mit dem neuen Südame­ri­ka-Haus und einem erwei­ter­ten Aquari­um bringt.

Zum Kultur­pro­gramm der Buga gehört auch ein Musical über das Leben der 2017 gestor­be­nen Soulpio­nie­rin Joy Fleming, die Deutsch­land 1975 beim Grand Prix (heute Eurovi­si­on Song Contest) vertrat mit dem Ohrwurm «Ein Lied kann eine Brücke sein».

Berühmt wurde sie bundes­weit in den 70er Jahren auch mit dem Hit «Neckar­brü­cken­blues», in dem sie ihrer Heimat­stadt mit der «Manne­mer Neckar­brick» ein musika­li­sches Denkmal setzte.

Wer den Geschmack der Stadt mit nach Hause nehmen will, der ist beim Tradi­ti­ons­ca­fé Herrde­gen an der richti­gen Adres­se. Dessen Gründer Carl Herrde­gen kreierte 1862 Köstlich­kei­ten aus Persi­pan, Nüssen, Gewür­zen und viel Schoko­la­de oben drauf — den «Manne­mer Dreck».

Von Julia Giertz und Gregor Tholl (Text) und Uwe Anspach (Foto), dpa