BERLIN (dpa) — Die Zahl der Corona-Toten hat eine trauri­ge Marke überschrit­ten. Wie schnell kann der starke Anstieg der Fallzah­len abgebremst werden — und mit welchen Mitteln? Der Druck auf die Ampel­par­tei­en ist enorm.

Die Zahl der an oder mit Corona gestor­be­nen Menschen in Deutsch­land hat die Schwel­le von 100.000 Toten überschrit­ten. Das geht aus Zahlen des Robert Koch-Insti­tuts (RKI) vom frühen Morgen hervor.

Demnach melde­ten die Gesund­heits­äm­ter dem RKI jüngst 351 Todes­fäl­le binnen 24 Stunden, die Gesamt­zahl seit Beginn der Pande­mie liegt nun bei 100.119.

Die Sieben-Tage-Inzidenz erreich­te erneut einen Höchst­stand und liegt nun bei 419,7 Anste­ckun­gen pro 100.000 Einwoh­ner inner­halb einer Woche. Die Zahl der binnen eines Tages übermit­tel­ten Neuin­fek­tio­nen überschritt erstmals die Schwel­le von 70 000. Die Gesund­heits­äm­ter melde­ten laut RKI-Angaben 75.961 neue Corona-Fälle in 24 Stunden.

Winter fordert die meisten Toten

Die meisten Corona-Toten gab es laut RKI im vergan­ge­nen Winter mit teils mehr als 1000 pro Tag gemel­de­ten Fällen. Momen­tan sind die Sterbe­zah­len wesent­lich niedri­ger, obwohl es deutlich mehr Infek­tio­nen gibt. Dass jetzt weniger Infizier­te sterben, liegt auch daran, dass große Teile der Bevöl­ke­rung geimpft sind — insbe­son­de­re bei älteren Menschen, die anfäl­li­ger für schwe­re Verläu­fe sind.

Um die Zahl der Corona-Toten aber dauer­haft niedrig zu halten, müssten deutlich mehr Menschen in Deutsch­land geimpft sein. Sollte es da keinen Fortschritt geben, müsse sich Deutsch­land auf mindes­tens 100.000 weite­re Corona-Tote vorbe­rei­ten, «bevor sich das Fahrwas­ser beruhigt», sagte kürzlich der Berli­ner Virolo­ge Chris­ti­an Drosten. «Das ist eine konser­va­ti­ve Schät­zung.» Er leitet die Zahl durch verglei­chen­de Überle­gun­gen mit Großbri­tan­ni­en her.

Laut RKI gehen in die Statis­tik Todes­fäl­le ein, bei denen ein labor­be­stä­tig­ter Corona-Nachweis vorliegt und die in Bezug auf diese Infek­ti­on verstor­ben sind. Erfasst werden demnach sowohl Menschen, die unmit­tel­bar an der Erkran­kung verstor­ben sind, als auch Infizier­te mit Vorer­kran­kun­gen, bei denen sich nicht abschlie­ßend die Todes­ur­sa­che bestim­men lässt.

Mehr Tote in anderen EU-Ländern

Gegen­über anderen Indus­trie­na­tio­nen steht Deutsch­land bei den Toten-Zahlen noch vergleichs­wei­se gut da, wie aus Daten der Johns-Hopkins-Univer­si­tät (JHU) in Balti­more hervor­geht. Deutlich mehr Tote pro 100.000 Einwoh­ner sind es in Frank­reich, Spani­en, Großbri­tan­ni­en und Itali­en. Fast doppelt so viele Corona-Tote pro 100.000 Einwoh­ner wie Deutsch­land verzeich­nen die USA, mehr als drei Mal so viele sind es in Bulga­ri­en. Dagegen gibt es in Dänemark bislang weniger als halb so viele Corona-Tote pro 100 000 Einwoh­ner wie in Deutsch­land. Aller­dings ist zu beach­ten, dass die Zahlen wegen unter­schied­li­cher Melde­sys­te­me nur bedingt Verglei­che zulassen.

Neuer Bund-Länder-Krisen­stab

Die Ampel-Partei­en wollen nach Angaben der Grünen Anfang Dezem­ber über schär­fe­re Corona-Maßnah­men in Deutsch­land beraten. «Wir haben uns zehn Tage Zeit gegeben, um zu sehen, sind wir bei den Booster-Impfun­gen, sind wir bei den Schutz­maß­nah­men weit genug gekom­men», sagte Grünen-Chefin Annale­na Baerbock am Mittwoch­abend in der ARD. Der neue Bund-Länder-Krisen­stab solle die Situa­ti­on täglich unter die Lupe nehmen. Nach diesen zehn Tagen werde man gemein­sam analy­sie­ren, ob weite­re Maßnah­men nötig seien.

Im Kampf gegen die vierte Corona-Welle war am Mittwoch das geänder­te, von den Ampel-Partei­en auf den Weg gebrach­te Infek­ti­ons­schutz­ge­setz in Kraft getre­ten. Die Länder haben damit zwar weiter die Möglich­keit, Maßnah­men wie Masken­pflicht, Kontakt­be­schrän­kun­gen oder Verbo­te von Veran­stal­tun­gen anzuord­nen oder aufrecht­zu­er­hal­ten. Flächen­de­cken­de Ausgangs­be­schrän­kun­gen und Schul­schlie­ßun­gen gehören aber nicht mehr zu den erlaub­ten Werkzeu­gen. Das Gesetz soll nach den bishe­ri­gen Plänen am 9. Dezem­ber in einer Bund-Länder-Runde überprüft und gegebe­nen­falls nachge­schärft werden.

«Wir müssen jetzt inten­siv handeln»

Führen­de Unions­po­li­ti­ker dringen auf mehr Tempo. Die auf den Weg gebrach­ten Maßnah­men würden wahrschein­lich nicht reichen, sagte Unions­frak­ti­ons­chef Ralph Brink­haus (CDU) am Mittwoch­abend in der ARD. «Wir müssen jetzt inten­siv handeln.» Die geplan­te Bewer­tung am 9. Dezem­ber sei «viel zu spät». Zuvor hatte der saarlän­di­sche Minis­ter­prä­si­dent Tobias Hans (CDU) ein rasches Treffen der Länder-Regie­rungs­chefs gefor­dert, am besten noch in dieser Woche.

Nach Infor­ma­tio­nen der Deutschen Presse-Agentur hatte die geschäfts­füh­ren­de Kanzle­rin Angela Merkel (CDU) den Spitzen der Ampel-Partei­en am Diens­tag­abend im Kanzler­amt angebo­ten, die Maßnah­men angesichts der drohen­den Überlas­tung des Gesund­heits­we­sens deutlich zu verschär­fen. Eine gesetz­li­che Notbrem­se oder klare Lockdown-Verein­ba­run­gen mit den Ländern wären die nahe liegen­den Optio­nen, hieß es. Die «Bild» berich­te­te, Merkel habe einen Lockdown bereits von heute an gefor­dert, SPD, FDP und Grüne hätten den Vorschlag abgelehnt.

Bei der Vorstel­lung des Koali­ti­ons­ver­tra­ges von SPD, Grünen und SPD kündig­te der voraus­sicht­li­che künfti­ge Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch die Einrich­tung eines ständi­gen Bund-Länder-Krisen­stabs im Kanzler­amt an. Das Gremi­um soll seinen Angaben zufol­ge schon die Arbeit aufneh­men, bevor die Ampel-Regie­rung im Amt ist. Scholz sagte am Abend in der ARD: «Es geht darum, ein ständi­ges, profes­sio­nel­les Beglei­ten dieser Situa­ti­on zu organi­sie­ren.» Es sei wichtig, tages- und wochen­ak­tu­ell alle Daten zur Verfü­gung zu haben und daraus sofort die notwen­di­gen Schlüs­se zu ziehen.

Verle­gung von Intensivpatienten

Um Engpäs­se abzuwen­den, sollen bis zum Wochen­en­de mehre­re Dutzend Inten­siv­pa­ti­en­ten aus Brenn­punk­ten im Süden und Osten in andere Bundes­län­der verlegt werden. Bund und Länder wollen heute über das weite­re Vorge­hen beraten. Dazu ist eine Sonder-Video­kon­fe­renz der Gesund­heits­mi­nis­ter angesetzt.

Die europäi­sche Arznei­mit­tel­be­hör­de EMA will am Donners­tag über die Zulas­sung des Corona-Impfstof­fes von Biontech für Kinder ab fünf Jahren entschei­den. Wenn die Exper­ten grünes Licht geben, muss offizi­ell die EU-Kommis­si­on noch zustim­men — das aber gilt als Formsa­che. In Deutsch­land würden nach Angaben des schei­den­den Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ters Jens Spahn (CDU) ab dem 20. Dezem­ber 2,4 Millio­nen Dosen des Impfstoffs für Kinder zur Verfü­gung stehen.