Die Zeiten, in denen die Zeichen in der Corona-Krise auf Locke­rung standen, sind endgül­tig vorbei. Nach zahlrei­chen Warnun­gen vor steigen­den Inzidenz­wer­ten spricht die Bundes­kanz­le­rin ein Machtwort.

BERLIN (dpa) — Bundes­kanz­le­rin Angela Merkel hat angesichts der dritten Corona-Welle allen geplan­ten Locke­run­gen und Modell­pro­jek­ten in Deutsch­land eine klare Absage erteilt.

Die CDU-Politi­ke­rin übte am Sonntag­abend in der ARD-Sendung «Anne Will» massi­ven Druck auf die Länder aus, um diese zum Umset­zen der Notbrem­se und noch schär­fe­rer Maßnah­men zu bewegen. Merkel deute­te auch an, dass der Bund tätig werden könnte, wenn die Länder nicht die nötigen Maßnah­men ergrei­fen sollten.

«Wir müssen mit einer großen Ernst­haf­tig­keit jetzt die geeig­ne­ten Maßnah­men einset­zen. Und einige Bundes­län­der tun das, andere tun es noch nicht.» Wenn das nicht «in sehr abseh­ba­rer Zeit» gesche­he, müsse sie sich überle­gen wie sich das vielleicht auch bundes­ein­heit­lich regeln lasse. «Das ist mein Amtseid, das ist meine Verpflich­tung», sagte Merkel. Ein Möglich­keit sei, «das Infek­ti­ons­schutz­ge­setz noch mal anzupa­cken und ganz spezi­fisch zu sagen, was muss in welchem Fall gesche­hen». Sie werde nicht zuschau­en, bis es 100.000 Neuin­fek­tio­nen am Tag gebe.

Merkel beton­te, sie denke darüber noch nach und habe sich noch nicht abschlie­ßend entschie­den. Außer­dem seien für alle Entschei­dun­gen am Ende Mehrhei­ten im Bundes­tag und Bundes­rat erfor­der­lich. Bund und Länder müssten zusam­men handeln. «Wir können nichts ohne einan­der beschlie­ßen». Aber: «Wir sind verpflich­tet, qua Gesetz, das Infek­ti­ons­ge­sche­hen einzu­däm­men. Und im Augen­blick ist die Eindäm­mung nicht da.»

Bayerns Minis­ter­prä­si­dent Markus Söder stell­te anschlie­ßend in den ARD-«Tagesthemen» klar, dass er sich mehr Kompe­ten­zen in Bundes­hand vorstel­len kann. Er habe schon immer gesagt: «Ich hätte mir mehr Kompe­ten­zen des Bundes über das Infek­ti­ons­schutz­ge­setz vorstel­len können, das die Länder auch zu klaren Regeln zwingt. Ich bin da sehr dafür und offen», sagte der CSU-Chef in den ARD-Tagesthemen.

Konkret wurde Söder bei den nächt­li­chen Ausgangs­sper­ren, die es unter anderem in Bayern schon seit länge­rem gibt. Diese seien recht­lich bundes­weit nicht durch­setz­bar, sagte Söder. Aber: «Wenn die Kanzle­rin die Initia­ti­ve ergrei­fen würde, eine Initia­ti­ve auf natio­na­ler Ebene, Recht zu ändern und klare Vorga­ben zu machen, hätte sie meine Unter­stüt­zung.» Merkel nannte Ausgangs­be­schrän­kun­gen in Regio­nen mit beson­ders hohen Infek­ti­ons­zah­len am Sonntag­abend als ausdrück­lich vorstell­bar, diese «können ein ganz wirksa­mes Mittel sein.»

Merkel wie auch Söder kriti­sier­ten am Abend andere Minis­ter­prä­si­den­ten. Bei der Kanzle­rin bekam Berlins Regie­ren­der Bürger­meis­ter Micha­el Müller (SPD) sein Fett weg: «Ich weiß jetzt wirklich nicht, ob Testen und Bummeln, wie es jetzt in Berlin heißt, die richti­ge Antwort auf das ist, was sich zur Zeit abspielt.»

NRW-Minis­ter­prä­si­dent und CDU-Chef Armin Laschet beschei­nig­te Merkel, wenn auch erst auf erneu­tes Nachha­ken der Inter­viewe­rin, einen Verstoß gegen die Notbrem­se. Auch der Blick ins Saarland fiel pikiert aus. Minis­ter­prä­si­dent Tobias Hans (CDU) will nach Ostern in einem Modell­pro­jekt umfang­reich das ganze Land unter Einbe­zie­hung von Tests öffnen. Obwohl, wie Merkel unter­strich, die Infek­ti­ons­zah­len dort nicht stabil seien. «Deshalb ist das nicht der Zeitpunkt, jetzt so was ins Auge zu fassen», so die Kanzlerin.

Söder kriti­sier­te, dass derzeit in einigen Bundes­län­dern viele der Maßnah­men, die man schon beschlos­sen habe, nicht umgesetzt würden. Viele wende­ten die beschlos­se­ne Notbrem­se nicht an oder täten sich schwer in der Umset­zung. Er habe «kein gutes Gefühl dabei». Einer neuen Minis­ter­prä­si­den­ten­kon­fe­renz erteil­ten Merkel wie auch Söder am Sonntag­abend eine Absage. «Es bringt nichts, sich beispiels­wei­se auf einer neuen Konfe­renz zusam­men­zu­set­zen und zu lamen­tie­ren, sich auszu­tau­schen und am Ende dann doch wieder das zu tun, was jeder für richtig hält», sagte Söder.

Merkel sagte, die Anfang März verein­bar­ten stufen­wei­sen Öffnungs­schrit­te seien ein Kompro­miss gewesen. «Ein Kompro­miss mit Treu und Glauben darauf, dass die Notbrem­se auch wirklich umgesetzt wird. Wenn sie das jetzt nicht wird, ist das sozusa­gen ein Verstoß gegen die Beschlüs­se, die wir getrof­fen haben.»

Stren­ge­re Corona-Maßnah­men sind auch aus Sicht von Grünen- Frakti­ons­chefin Katrin Göring-Eckardt unaus­weich­lich und waren abseh­bar. «Dass trotz aller Warnun­gen wochen­lang nicht gehan­delt wurde, hat uns im Kampf gegen das Virus meilen­weit zurück­ge­wor­fen und für einen massi­ven Vertrau­ens­ver­lust gesorgt», sagte Göring-Eckardt den Zeitun­gen der Funke Medien­grup­pe. «Dass jetzt stren­ge­re Maßnah­men unaus­weich­lich sind, war abseh­bar und ist die unwei­ger­li­che Folge des inkon­se­quen­ten Hin-und-Her. So kann und darf es nicht weitergehen.»

Die Grünen-Politi­ke­rin forder­te die Bundes­re­gie­rung auf, einen «Wellen­bre­cher-Plan» vorzu­le­gen, «mit dem Kontak­te und Infek­tio­nen reduziert werden und der dann am besten von Bundes­tag und Bundes­rat beschlos­sen wird».

Katrin Göring-Eckardt sieht zudem einen Missbrauch von Corona-Modell­pro­jek­ten. «Genau jetzt die Idee von Modell­pro­jek­ten zu missbrau­chen und großflä­chig zu öffnen, ohne echte Sicher­heit bieten zu können, ist absolut unver­ant­wort­lich und ein gefähr­li­ches Spiel mit der Gesund­heit vieler Menschen», sagte Göring-Eckardt den Zeitun­gen der Funke Medien­grup­pe. Modell­pro­jek­te müssen dazu dienen, in kontrol­lier­ba­rem Rahmen Erfah­run­gen zu sammeln, nicht um breite Locke­run­gen schönzureden.

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans vertei­dig­te Locke­rungs­pro­jek­te mit freiwil­li­gen Tests hinge­gen gegen Kritik. Die Lücke zwischen Infek­ti­ons­an­stieg und ausrei­chen­der Immuni­sie­rung der Bevöl­ke­rung müsse vor allem durch die Auswei­tung der Corona-Tests verklei­nert werden, sagte er dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land (RND/Montag). «Dazu können die in Aussicht gestell­ten Modell­pro­jek­te einen Beitrag leisten.» Anste­ckungs­ge­fahr lasse sich nur mit flächen­de­cken­dem Testen senken.

Thürin­gens Minis­ter­prä­si­dent Bodo Ramelow (Linke) kann sich derweil eine bundes­ein­heit­li­che Regelung für Corona-Maßnah­men per Gesetz vorstel­len und forder­te den Bund zum Handeln auf. «Man kann es im Infek­ti­ons­schutz­ge­setz festle­gen — ist mir auch recht — Haupt­sa­che, es ist ein einheit­li­cher Rahmen», sagte Ramelow am Montag der Deutschen Presse-Agentur.

Die Deutsche Gesell­schaft für Immuno­lo­gie sprach sich mit Blick auf die Infek­ti­ons­zah­len dafür aus, Dosen für Zweit­imp­fun­gen nicht mehr zurück­zu­le­gen. «Impfstoff zurück­zu­le­gen, ist angesichts der aktuel­len Situa­ti­on nicht mehr tragbar und kostet Menschen­le­ben», sagte General­se­kre­tär Carsten Watzl der «Augsbur­ger Allge­mei­nen» (Montag). «Es würde jetzt viel helfen, alles zu verimp­fen, was da ist und die Zweit­imp­fung dann zu machen, wenn die späte­re Liefe­rung erfolgt.»