ARNSBERG (dpa) — Geht alles seinen gewohn­ten Gang, wird Fried­rich Merz wieder im nächs­ten Bundes­tag sitzen — zwölf Jahre nach seinem Ausschei­den. «Unbeque­me Dinge» will er sagen.

Die CDU hat den Grund­stein für eine Rückkehr des frühe­ren Unions-Frakti­ons­chefs Fried­rich Merz als Abgeord­ne­ter in den Bundes­tag gelegt.

Der Kreis­ver­band des Hochsauer­land­krei­ses wählte den 65-Jähri­gen in einer Kampf­ab­stim­mung zum Direkt­kan­di­da­ten für den Wahlkreis, der als CDU-Hochburg gilt. Das Nachse­hen hatte der aktuel­le CDU-Abgeord­ne­te Patrick Sensburg (49). Auf Merz entfie­len gut 71 Prozent der abgege­be­nen 458 gülti­gen Stimmen. Für den aktuel­len Abgeord­ne­ten Patrick Sensburg stimm­ten knapp 28 Prozent der Delegier­ten. Fünf Delegier­te enthiel­ten sich. Für die «Aufstel­lungs­ver­samm­lung» hatten sich die Delegier­ten corona­kon­form auf der Tribü­ne eines Fußball­sta­di­ons im sauer­län­di­schen Arnsberg getrof­fen. Der Bundes­tag wird Ende Septem­ber neu gewählt.

In seiner Rede kriti­sier­te Merz den Zustand seiner Partei. «Die CDU hat ihren Kompass verlo­ren, unsere Wähle­rin­nen und Wähler wissen nicht mehr, wofür wir eigent­lich stehen», sagte er. Er rief dazu auf: «Wir müssen wieder den Mut haben, eine stink­nor­ma­le bürger­li­che Politik zu machen, statt dem flüch­ti­gen Zeitgeist atemlos hinter­her­zu­lau­fen. Wir sind nicht die besse­ren Grünen und auch nicht die etwas weniger radika­le AfD.» Wer den Holocaust leugne oder diese schreck­li­che Zeit unseres Landes für einen «Fliegen­schiss der Geschich­te» halte, «mit dem haben wir nichts, aber auch gar nichts gemeinsam».

Merz bemän­gel­te Defizi­te bei Digita­li­sie­rung und Infra­struk­tur und kriti­sier­te die Bürokra­tie: «Wir regulie­ren und verwal­ten uns in diesem Land zu Tode, während um uns herum die Gewich­te der globa­len Wirtschaft immer weiter Richtung Ameri­ka und Asien verscho­ben werden.» Insge­samt müsse man feststel­len, dass Deutsch­land ein nach wie vor ein gut funktio­nie­ren­des Land sei. «Wir haben einen beacht­li­chen Wohlstand erreicht, wir tun etwas für die Umwelt, wenn auch sicher noch nicht genug.» Wirklich gut aufge­stellt für die großen Heraus­for­de­run­gen des 21. Jahrhun­derts sei man aber nicht.

Den Delegier­ten versprach Merz, kein beque­mer und angepass­ter Abgeord­ne­ter zu sein, der wortreich erklä­re, «warum dies und jenes «alter­na­tiv­los» war». In einer Demokra­tie sei nichts und niemand alter­na­tiv­los. Merz deute­te verklau­su­liert an, gegebe­nen­falls auch für ein Minis­ter­amt zur Verfü­gung zu stehen: «Und selbst wenn ich — was ich nicht weiß und was beilei­be nicht der Grund für meine Bewer­bung hier um das Bundes­tags­man­dat im Hochsauer­land­kreis ist — eine Aufga­be in einer späte­ren Regie­rung — die müssen wir überhaupt erstmal stellen — wahrneh­men sollte, dann bin und bleibe ich der Wahlkreis­ab­ge­ord­ne­te hier im Hochsauerlandkreis.»

Er sei so frei und so unabhän­gig, dass er auch unbeque­me Dinge sagen und auch allen etwas abver­lan­gen könne, «wenn es denn uns allen und unserer Zukunft auch wirklich dient». «Wir dürfen vor allem nicht zulas­sen, dass die talen­tier­te und engagier­te junge Genera­ti­on, die wir heute sehen, das größte Opfer einer mutlo­sen, verzag­ten und nur auf das Hier und Heute ausge­rich­te­ten Politik wird.» Insge­samt gehe es darum, dafür zu sorgen, «dass die CDU die große Volks­par­tei der Mitte bleibt, die sie in ihren besten Zeiten immer war».

Merz’ Gegen­kan­di­dat, der Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­te Patrick Sensburg (49), hatte in seiner Rede zuvor vor allem sein Eintre­ten für den Hochsauer­land­kreis betont und dabei auf zahlrei­che Projek­te verwie­sen. Als Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­ter wolle er «mitar­bei­ten an dem Genera­tio­nen­wech­sel der Nach-Merkel-Ära», sagte er.

Nach der verlo­re­nen Abstim­mung gab sich Sensburg als guter Verlie­rer: «Ich hätte mir natür­lich ein anderes Ergeb­nis gewünscht, gar keine Frage, aber das ist Demokra­tie. Jetzt muss man gucken, dass Fried­rich Merz wirklich auch den Rückhalt bei uns in der Kreis­par­tei hat, dass er ein gutes Wahler­geb­nis kriegt und dann auch stark in Berlin auftre­ten kann.» Wie die politi­sche Karrie­re des Profes­sors für Verwal­tungs­recht nun weiter­geht, ist offen. Sensburg selbst sprach davon, dass er «politisch vielleicht eine Zukunft» habe.

Die Abstim­mung am Samstag war mit Spannung erwar­tet worden. Die Kandi­da­tur von Sensburg war im Vorfeld nicht als aussichts­los angese­hen worden. Sensburg ist bereits seit zwölf Jahren Abgeord­ne­ter für den Hochsauer­land­kreis, in dem rund 260.000 Menschen leben. Er war 2009 Fried­rich Merz nachge­folgt, der damals nach vier Wahlpe­ri­oden (1994–2009) nicht erneut kandi­diert hatte. Ende Febru­ar hatte Merz überra­schend angekün­digt, wieder kandi­die­ren zu wollen.

Der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, begrüß­te das Ergeb­nis. «In der Jungen Union gibt es viele Unter­stüt­zer im Sauer­land und in ganz Deutsch­land. Für uns ist diese Nominie­rung Ansporn und Motiva­ti­on für den Wahlkampf», sagte Kuban dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land. Merz werde der CDU/C­SU-Frakti­on mit seiner wirtschafts­po­li­ti­schen Kompe­tenz helfen. Die Junge Union hatte sich im vergan­ge­nen Jahr im Wettbe­werb um den CDU-Bundes­vor­sitz zwischen Merz, Armin Laschet und Norbert Röttgen für Merz ausgesprochen.

Fried­rich Merz wollte bereits zweimal CDU-Vorsit­zen­der werden und unter­lag jeweils nur knapp: Ende 2018 verlor er gegen Annegret Kramp-Karren­bau­er, im vergan­ge­nen Januar gegen Nordrhein-Westfa­lens Minis­ter­prä­si­den­ten Armin Laschet. Der Jurist und Wirtschafts­exper­te war 2000 bis 2002 Chef der CDU/C­SU-Bundes­tags­frak­ti­on.