Die Kanzle­rin hat ein Macht­wort gespro­chen: Die Länder müssten ihre Lockdown-Verspre­chen umset­zen und konse­quent die Notbrem­se ziehen. Doch viele Minis­ter­prä­si­den­ten sehen keinen Grund zum Handeln.

BERLIN (dpa) — Nach der deutli­chen Kritik von Kanzle­rin Angela Merkel (CDU) am Vorge­hen verschie­de­ner Länder im Corona-Lockdown haben mehre­re Minis­ter­prä­si­den­ten ihre Linie verteidigt.

Unter anderem Nordrhein-Westfa­len, Branden­burg, Nieder­sach­sen und das Saarland sahen am Montag zunächst keinen Grund für schnel­le Anpas­sun­gen. CDU-Partei­chef und NRW-Minis­ter­prä­si­dent Armin Laschet wies die Kritik für sein Land zurück. «Nordrhein-Westfa­len hat die Notbrem­se flächen­de­ckend verpflich­tend für alle Landkrei­se per Verord­nung umgesetzt.»

«Jeder will, dass die Infek­ti­ons­zah­len runter­ge­hen, und jeder hat für sein Land entspre­chen­de Maßnah­men gemacht», sagte Laschet am Montag in Berlin nach einer Sitzung des CDU-Präsi­di­ums. Er räumte ein, dass diese Maßnah­men «sehr unter­schied­lich» seien.

Ausdrück­lich vertei­dig­te der CDU-Chef auch das unter anderem in Berlin geplan­te Konzept, Einkaufs­mög­lich­kei­ten mit Termin­ver­ga­be und Vorla­ge eines negati­ven Corona­tests zu schaf­fen. Das sei eine Möglich­keit unter vielen, mehr infizier­te Menschen zu entde­cken und Infek­ti­ons­ket­ten zu durchbrechen.

Merkel hatte am Sonntag­abend in der ARD-Sendung «Anne Will» massi­ven Druck auf die Länder ausge­übt, um diese zum Umset­zen der Notbrem­se und schär­fe­rer Maßnah­men gegen die dritte Infek­ti­ons­wel­le zu bewegen. Modell­pro­jek­ten erteil­te sie eine klare Absage — und deute­te an, notfalls könne der Bund tätig werden, wenn die Länder nicht handel­ten. «Wir müssen mit einer großen Ernst­haf­tig­keit jetzt die geeig­ne­ten Maßnah­men einset­zen. Und einige Bundes­län­der tun das, andere tun es noch nicht», sagte Merkel. Wenn «in sehr abseh­ba­rer Zeit» nichts passie­re, müsse sie sich überle­gen, wie sich das vielleicht auch bundes­ein­heit­lich regeln lasse.

Ein Möglich­keit ist laut Merkel, «das Infek­ti­ons­schutz­ge­setz noch mal anzupa­cken und ganz spezi­fisch zu sagen, was muss in welchem Fall gesche­hen». Auch Innen­mi­nis­ter Horst Seeho­fer sprach sich dafür aus, dass der Bund stärker das Ruder übernimmt. Dafür könne entwe­der das Infek­ti­ons­schutz­ge­setz präzi­siert oder ein eigenes Gesetz beschlos­sen werden, sagte der CSU-Politi­ker der «Süddeut­schen Zeitung».

Eine Geset­zes­än­de­rung müssten aller­dings Bundes­tag und Bundes­rat beschlie­ßen. Bislang ist die nächs­te Sitzung des Bundes­tags für Mitte April geplant. In der gleichen Woche wollen die Minis­ter­prä­si­den­ten un Minis­ter­prä­si­den­tin­nen erneut mit Merkel über die Pande­mie beraten. Derzeit gebe es keine Pläne, diese Beratun­gen vorzu­zie­hen, sagte Regie­rungs­spre­cher Steffen Seibert. Statt­des­sen sei jetzt nötig, dass die Länder das Verspro­che­ne auch umsetzten.

Bund und Länder hatten verein­bart, dass bereits umgesetz­te Locke­run­gen der Corona-Regeln wieder zurück­ge­nom­men werden müssen, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz in einem Land oder einer Region drei Tage lang bei über 100 liegt. Das betrifft Öffnun­gen des Einzel­han­dels, von Museen, Zoos oder Sport­an­la­gen. Die Länder hatten diese Regelung jedoch unter­schied­lich konse­quent umgesetzt.

Die rot-schwarz-grüne Landes­re­gie­rung in Branden­burg sieht sich auf dem Kurs des Bund-Länder-Beschlus­ses. «Branden­burg setzt die 100er-Notbrem­se auf Kreis­ebe­ne um», teilte Regie­rungs­spre­cher Flori­an Engels mit. Hinzu kämen Ausgangs­be­schrän­kun­gen von 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr in der Oster­zeit. Das Kabinett wolle am Diens­tag über kommu­na­le Modell­pro­jek­te beraten.

Der Minis­ter­prä­si­dent des Saarlands, Tobias Hans (CDU), vertei­dig­te laut Teilneh­mer­an­ga­ben im CDU-Präsi­di­um geplan­te Öffnun­gen. Im Saarland würden Testauf­la­gen an die Stelle von Beschrän­kun­gen gesetzt. Damit bringe man die Menschen dazu, im Freien getes­tet zusam­men­zu­kom­men, statt im Verbor­ge­nen ohne Tests und Maßnahmen.

Auch Nieder­sach­sens Wirtschafts­mi­nis­ter Bernd Althus­mann vertei­dig­te geplan­te Öffnun­gen in rund 25 Modell­kom­mu­nen. «Ich befürch­te, wir werden mit einem gewis­sen Infek­ti­ons­ge­sche­hen in Deutsch­land leben müssen. Deshalb sind solche Modell­ver­su­che, wie ich finde, nicht unvor­sich­tig oder gar leicht­sin­nig», sagte der CDU-Politi­ker dem Radio­sen­der NDR Info. Nieder­sach­sen will in den Modell­kom­mu­nen Öffnun­gen von Geschäf­ten, Außen­gas­tro­no­mie, Theatern, Kinos und Fitness­stu­di­os an Schnell­tests koppeln. Voraus­set­zung ist eine stabi­le Sieben-Tages-Inzidenz von nicht über 200.

Andere Länder deute­ten an, den härte­ren Kurs von Merkel mitge­hen zu wollen. Bayerns Minis­ter­prä­si­dent Markus Söder sagte in den ARD-«Tagesthemen», er könne sich mehr Kompe­ten­zen in Bundes­hand vorstel­len, die die Länder zu klaren Regeln zwängen. Thürin­gens Minis­ter­prä­si­dent Bodo Ramelow (Linke) forder­te den Bund zum Handeln auf. «Man kann es im Infek­ti­ons­schutz­ge­setz festle­gen — ist mir auch recht — Haupt­sa­che, es ist ein einheit­li­cher Rahmen», sagte er der dpa. Es gehe darum, endlich etwas zu tun statt zu reden.

Tübin­gens Oberbür­ger­meis­ter Boris Palmer (Grüne) sprach sich für nächt­li­che Ausgangs­be­schrän­kun­gen aus. «Ich hätte gar nichts dagegen zu sagen: Ab 20 Uhr ist wirklich Ruhe», sagte er in einer Gesprächs­run­de der «Bild»-Zeitung. In Tübin­gen feier­ten häufig nach 20.00 Uhr große Gruppen auf inner­städ­ti­schen Wiesen Partys — mit Alkohol statt Abstand. Der SPD-Gesund­heits­exper­te Karl Lauter­bach forder­te angesichts der schnell steigen­den Inzidenz­zah­len einen «letzten harten Lockdown», eine Pflicht zum Homeof­fice und Ausgangs­sper­ren am Abend. «Wir können es nicht so laufen lassen», beton­te er im WDR.

Die Zahl der binnen sieben Tagen gemel­de­ten Neuin­fek­tio­nen pro 100.000 Einwoh­ner lag laut Robert Koch-Insti­tut am Montag­mor­gen bundes­weit bei 134,4 — und damit erneut höher als am Vortag. Binnen eines Tages wurden zuletzt 9872 Corona-Neuin­fek­tio­nen und 43 neue Todes­fäl­le verzeich­net. Vor genau einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 7709 Neuin­fek­tio­nen und 50 neue Todes­fäl­le registriert.