MÜNCHEN (dpa) — Eine Münch­ner Anwalts­kanz­lei hat Fälle sexuel­len Missbrauchs im Erzbis­tum München und Freising aufge­ar­bei­tet — und erhebt Vorwür­fe gegen den emeri­tier­ten Papst Benedikt XVI.

Ein Gutach­ten lastet dem emeri­tier­ten Papst Benedikt XVI. Fehlver­hal­ten im Umgang mit vier Fällen von sexuel­lem Missbrauch während seiner Zeit als Erzbi­schof des Bistums München und Freising an.

Das sagte der Jurist Martin Pusch am Donners­tag bei der Vorstel­lung des vom Erzbis­tum in Auftrag gegebe­nen Gutach­tens in München. In allen Fällen habe Benedikt — damals Kardi­nal Joseph Ratzin­ger — ein Fehlver­hal­ten strikt zurückgewiesen.

Der emeri­tier­te Papst war von 1977 bis 1982 Erzbi­schof von München und Freising. Er habe umfang­reich Stellung zu den Vorwür­fen genom­men, beton­te Pusch. Dies sei im Wortlaut Teil des Gutach­tens enthalten.

Kriti­ker werfen Ratzin­ger schon seit gerau­mer Zeit Fehlver­hal­ten vor — konkret beim Umgang mit einem Pries­ter aus Nordrhein-Westfa­len. Der Mann soll vielfach Jungen missbraucht haben und wurde zur Amtszeit Ratzin­gers aus NRW nach Bayern versetzt, wo er rechts­kräf­tig wegen Kindes­miss­brauchs verur­teilt wurde und immer wieder rückfäl­lig gewor­den sein soll.

Allein dieser Fall macht 370 Seiten des insge­samt mehr als 1700 Seiten starken, vom heuti­gen Erzbi­schof Kardi­nal Reinhard Marx in Auftrag gegebe­nen Gutach­tens aus. Marx selbst halten die Anwäl­te Fehlver­hal­ten im Umgang mit zwei Verdachts­fäl­len von sexuel­lem Missbrauch vor. Es gehe dabei um Meldun­gen an die Glaubens­kon­gre­ga­ti­on in Rom. Marx war bei der Vorstel­lung nicht anwesend.

Vorwür­fe auch gegen Ratzin­gers Nachfolger

Auch Ratzin­gers direk­tem Nachfol­ger als Münch­ner Erzbi­schof, Kardi­nal Fried­rich Wetter, wirft das Gutach­ten, das den Zeitraum zwischen 1945 und 2019 unter­sucht hat, Fehlver­hal­ten in 21 Fällen vor. Wetter habe die Fälle zwar nicht bestrit­ten, ein Fehlver­hal­ten seiner­seits aber schon, sagte Pusch. Sein Kolle­ge, der Anwalt Ulrich Wastl, sprach von einer «Bilanz des Schreckens».

Die Studie listet mindes­tens 497 Opfer auf. Dabei hande­le es sich überwie­gend um männli­che Kinder und Jugend­li­che, die in den Jahrzehn­ten des Unter­su­chungs­zeit­raums zu Opfern wurden, teilte die Kanzlei mit. Mindes­tens 235 mutmaß­li­che Täter gab es laut der Studie — darun­ter 173 Pries­ter und 9 Diako­ne. Aller­dings sei dies nur das sogenann­te Hellfeld. Es sei von einer deutlich größe­ren Dunkel­zif­fer auszugehen.

Gutach­ten: Hat kein «Paradig­men­wech­sel» stattgefunden

Das Gutach­ten kommt auch zu dem Schluss, dass viele Pries­ter und Diako­ne auch nach Bekannt­wer­den entspre­chen­der Vorwür­fe weiter einge­setzt worden seien. 40 Kleri­ker seien ungeach­tet dessen wieder in der Seelsor­ge tätig gewesen bezie­hungs­wei­se dies sei gedul­det worden. Bei 18 davon erfolg­te dies sogar nach «einschlä­gi­ger Verur­tei­lung», wie Rechts­an­walt Martin Pusch sagte. Insge­samt seien bei 43 Kleri­kern «gebote­ne Maßnah­men mit Sankti­ons­cha­rak­ter» unterblieben.

Das neue Gutach­ten stellt der katho­li­schen Diöze­se ein schlech­tes Zeugnis aus. Auch in jüngs­ter Zeit habe kein «Paradig­men­wech­sel» mit dem Fokus auf die Betrof­fe­nen statt­ge­fun­den, sagte Pusch. «Bis in die jüngs­te Vergan­gen­heit und teils auch heute noch begeg­nen Geschä­dig­te Hürden.» Ein aktives Zugehen auf die Opfer gebe es nicht. Pusch sieht ein «generel­les Geheim­hal­tungs­in­ter­es­se» und den «Wunsch, die Insti­tu­ti­on Kirche zu schützen».