NEW YORK/KIEW/MOSKAU (dpa) — Wegen anhal­ten­dem Beschuss ist die Lage am ukrai­ni­schen Atomkraft­werk Saporischschja brand­ge­fähr­lich. Nun schal­te­te sich auch der UN-Sicher­heits­rat ein — Moskau kündigt an, man wolle kooperieren.

Angesichts des andau­ern­den Beschus­ses des Atomkraft­werks Saporischschja im Süden der Ukrai­ne hat Moskau angedeu­tet, einem Abzug seines Militärs dort zuzustim­men. «Das ist eine vernünf­ti­ge Forde­rung mit der Entmi­li­ta­ri­sie­rung des AKW Saporischschja, ich denke, wir werden das unter­stüt­zen», sagte der Vizechef des Außen­aus­schus­ses im russi­schen Parla­ment, Wladi­mir Dscha­ba­row, am Freitag der Agentur Inter­fax zufol­ge. Die Kontrol­le über das AKW will Moskau aber behalten.

Eine Überga­be des leistungs­stärks­ten Kernkraft­werks in Europa an die Ukrai­ne schloss Dscha­ba­row aus. «Russland muss die Kontrol­le über die Anlage behal­ten», beton­te der Duma-Abgeord­ne­te der Kreml­par­tei «Geein­tes Russland».

Atomener­gie­be­hör­de: AKW kein Sicherheitsrisiko

Das unter anhal­ten­dem Beschuss stehen­de ukrai­ni­sche Atomkraft­werk Saporischschja ist nach Angaben der Inter­na­tio­na­len Atomener­gie­be­hör­de (IAEA) momen­tan kein Sicher­heits­ri­si­ko. «IAEA-Exper­ten haben vorläu­fig festge­stellt, dass keine unmit­tel­ba­re Bedro­hung der Sicher­heit infol­ge des Beschus­ses oder anderer militä­ri­scher Aktio­nen besteht. Dies kann sich jedoch jeder­zeit ändern», sagte IAEA-Chef Rafael Grossi bei einer Dring­lich­keits­sit­zung des UN-Sicher­heits­ra­tes in New York.

Nur wenige Stunden vor der von Russland angefrag­ten Sitzung des mächtigs­ten UN-Gremi­ums war Europas größtes Atomkraft­werk erneut unter Beschuss geraten. Saporischschja sei mit schwe­rer Artil­le­rie und Raketen­wer­fern angegrif­fen worden, teilte ein Vertre­ter der russi­schen Besat­zungs­be­hör­den, Wladi­mir Rogow, im Nachrich­ten­ka­nal Telegram mit. Geschos­sen werde aus Ortschaf­ten, die unter ukrai­ni­scher Kontrol­le stünden. Der ukrai­ni­sche Konzern Enerhoatom berich­te­te von zehn Einschlä­gen in der Nähe. Überprüf­bar waren die Angaben nicht. Zuvor hatte die Ukrai­ne Russland beschul­digt, das AKW ins Visier zu nehmen.

Exper­ten sollen sich Lagebild verschaffen

Grossi forder­te Moskau und Kiew vor dem Sicher­heits­rat auf, einen Besuch inter­na­tio­na­ler Exper­ten schnell zu ermög­li­chen. «Ich persön­lich bin bereit, eine solche Missi­on zu leiten.» Ohne physi­sche Präsenz von Vertre­tern der Inter­na­tio­na­len Atomener­gie­be­hör­de könnten wichti­ge Fakten nicht zusam­men­ge­tra­gen werden. Auch die Verei­nig­ten Staaten dräng­ten auf eine Reise von Exper­ten: «Dieser Besuch kann nicht länger warten», sagte die ameri­ka­ni­sche Unter­staats­se­kre­tä­rin für Rüstungs­kon­trol­le, Bonnie Jenkins.

Russlands UN-Botschaf­ter Wassi­li Neben­s­ja sagte dafür Moskaus Koope­ra­ti­on zu: «Wir sind bereit, jede erdenk­li­che Unter­stüt­zung bei der Lösung organi­sa­to­ri­scher Angele­gen­hei­ten zu leisten.» Am besten solle ein Besuch noch im August statt­fin­den. Neben­s­ja beton­te nach der Sitzung, dass kein Land des 15-köpfi­gen Sicher­heits­ra­tes Russland die Schuld am Beschuss des AKW gegeben habe.

UN-General­se­kre­tär António Guter­res hatte zuvor vor einer neuen atoma­ren Katastro­phe gewarnt und sich zutiefst besorgt gezeigt: «Bedau­er­li­cher­wei­se gab es in den letzten Tagen keine Deeska­la­ti­on, sondern Berich­te über weite­re zutiefst besorg­nis­er­re­gen­de Vorfäl­le. Wenn sich diese fortset­zen, könnte dies zu einer Katastro­phe führen.» An beide Kriegs­par­tei­en appel­lier­te er, die militä­ri­schen Aktivi­tä­ten sofort einzu­stel­len. Im ukrai­ni­schen AKW Tscher­no­byl hatte sich 1986 der schlimms­te atoma­re Unfall auf europäi­schem Boden ereig­net. Der russi­sche Krieg gegen das Nachbar­land dauert inzwi­schen schon mehr als fünfein­halb Monate.

UN-Sprecher: «Kernkraft­werk mitten auf einem Schlachtfeld»

Unklar­heit gab es weiter darüber, ob eine Gruppe von UN-Exper­ten zu dem AKW entsen­det werden kann. «Wir sprechen von einem Kernkraft­werk mitten auf einem Schlacht­feld», sagte UN-Sprecher Stepha­ne Dujar­ric. Dies bringe enorme Sicher­heits­be­den­ken für die Angestell­ten der Verein­ten Natio­nen mit sich.

Nach Angaben des Betrei­bers Enerhoatom ist die Situa­ti­on im Kraft­werk aber «unter Kontrol­le». Die Radio­ak­ti­vi­tät sei nicht höher als sonst. Das AKW war schon am Wochen­en­de mit Raketen beschos­sen und beschä­digt worden. Die Ukrai­ne wirft den russi­schen Truppen vor, das AKW als Festung für Angrif­fe zu nutzen. Die prorus­si­schen Separa­tis­ten wieder­um beschul­di­gen die Ukrai­ne, mit Beschuss des Kraft­werks den Westen zum Eingrei­fen bewegen zu wollen. Rogow lehnte Forde­run­gen der Gruppe sieben führen­der Indus­trie­na­tio­nen (G7) — darun­ter Deutsch­land — ab, das Kraft­werk wieder unter ukrai­ni­sche Kontrol­le zu stellen. «Das wäre, als wenn man einem Affen eine Handgra­na­te in die Hand gibt», schrieb er.