MÜNCHEN (dpa) — Die European Champi­on­ships in München sind das größte Multi-Sport­er­eig­nis in Deutsch­land seit Olympia 1972. Ein Erfolg des Events könnte auch einer neuen deutschen Olympia-Bewer­bung Auftrieb geben.

Das Mini-Olympia in München 50 Jahre nach dem emotio­na­len Sommer von 1972 nährt unwei­ger­lich die Debat­te um eine neue deutsche Spiele-Bewerbung.

Wenn unter dem ikoni­schen Zeltdach des Olympia­sta­di­ons die Leicht­ath­le­ten bei den European Champi­on­ships wettei­fern, Radkünst­ler im Olympia­park EM-Titel jagen und Kanuten und Ruderer durchs Wasser der Olympia-Regat­ta­stre­cke pflügen, wittert DOSB-Chef Thomas Weikert neue Chancen. «Das Beispiel München kann auch dazu beitra­gen, Akzep­tanz und Zustim­mung für das Thema Olympia in unserem Land zu stärken», sagte der Präsi­dent des Deutschen Olympi­schen Sport­bunds der Deutschen Presse-Agentur.

177 Goldme­dail­len in neun Sport­ar­ten werden bei der Multi-EM in Bayerns Landes­haupt­stadt von Donners­tag an verge­ben. Mehr als 4700 Athle­tin­nen und Athle­ten werden dabei sein, das Fernse­hen wird viele Stunden der elf Wettkampf­ta­ge live übertra­gen. Springt der Funke über, könnte dies auch den zuletzt gebeu­tel­ten Olympia-Befür­wor­tern in Deutsch­land neuen Auftrieb geben.

Ökolo­gisch und ökono­misch nachhal­ti­ges Konzept

«Mit einem ökolo­gisch und ökono­misch nachhal­ti­gen Konzept können wir die Menschen überzeu­gen und begeis­tern. Dass Deutsch­land Sport­groß­ver­an­stal­tun­gen erfolg­reich organi­sie­ren kann, haben wir bereits etliche Male bewie­sen», sagte Sport­ma­na­ger Micha­el Mronz, Initia­tor der priva­ten Rhein-Ruhr-Kampa­gne, der dpa. Der 55-Jähri­ge glaubt weiter an Olympia und Paralym­pics in Deutsch­land, auch wenn deutsche Anläu­fe zuletzt serien­wei­se scheiterten.

Mronz sieht die Flurschä­den im Sport durch die Corona-Krise als wichti­gen Ansporn für ein verstärk­tes Bemühen um Olympia. «Inves­ti­tio­nen in den Sport sind Muss-Inves­ti­tio­nen und keine Kann-Inves­ti­tio­nen. Ein Großsport­event wie Olympi­sche und Paralym­pi­sche Spiele würde einen großen Schub für den gesam­ten Sport bringen», sagte Mronz. Der Sport abseits des Fußballs müsse wieder stärker in den Fokus gerückt werden, mahnte er.

Ähnlich sieht es Olympia­sie­ge­rin Malai­ka Miham­bo. «Die Sport­na­ti­on Deutsch­land kreist vor allem um eine Sport­art. Das ist natür­lich schade, weil Sport mehr ist als nur Fußball», sagte die Weitsprin­ge­rin der dpa. Daher seien die European Champi­on­ships ein Gewinn. «Kinder können das ganz anders miter­le­ben und danach vielleicht selbst Fuß fassen in diesen Sport­ar­ten», sagte Miham­bo. Dies könne auch zum Signal für eine neue Olympia-Bewer­bung werden.

Eine weite­re Kandi­da­tur aber dürfe nicht zum Selbst­zweck werden, beton­te Miham­bo. «Die Gesell­schaft und beson­ders die Ausrich­ter­stadt müssen wirklich Lust darauf haben», sagte die 28-Jähri­ge. Als Ziel nannte Miham­bo, den olympi­schen Gedan­ken stärker zu verankern.

Lust und Begeis­te­rung für Olympia erwecken

Genau diese Lust und Begeis­te­rung für Olympia fehlte vielen Deutschen in den vergan­ge­nen Jahren. Die Bemühun­gen um die Winter­spie­le für 2022 mit München und um die Sommer­spie­le für 2024 mit Hamburg schei­ter­ten bei Bürger­be­fra­gun­gen. Sorgen um Milli­ar­den­kos­ten und Umwelt­fol­gen sowie das schlech­te Image großer Sport­ver­bän­de wie dem Inter­na­tio­na­len Olympi­schen Komitee (IOC) schre­cken viele beim Gedan­ken an Olympia in Deutsch­land ab.

Die aktuel­le Großwet­ter­la­ge mit Ukrai­ne-Krieg, Energie­kri­se und Corona-Wellen wirkt erst recht nicht als Mutma­cher für ambitio­nier­te Mega-Projek­te wie Olympi­sche Spiele. Laut DOSB-Chef Weikert indes können «große Leucht­turm­pro­jek­te wie Olympi­sche Spiele auch Antwor­ten auf Krisen wie die Pande­mie geben».

Mit Großereig­nis­sen wie der Multi-EM in München, den Special Olympics World Games in Berlin 2023, der Fußball-EM 2024 und der Sommer-Univer­sia­de 2025 an Rhein und Ruhr wollen die deutschen Sport­spit­zen auch Punkte auf inter­na­tio­na­lem Parkett sammeln. In der «Natio­na­len Strate­gie Sport­groß­ver­an­stal­tun­gen» stell­te sich auch die Bundes­re­gie­rung hinter weite­re Bewer­bun­gen um sport­li­che Top-Ereig­nis­se — Olympia nicht ausgeschlossen.

Geduld und Beharr­lich­keit gefragt

Dabei ist jedoch Geduld und Beharr­lich­keit gefragt. Zwar beschäf­ti­gen sich die zustän­di­gen Ausschüs­se des Bundes­tags auf Drängen der AfD mit einer Münch­ner Bewer­bung um die Winter­spie­le 2030. Die Zeit dafür dürfte aber zu kurz sein, schon im nächs­ten Jahr will das IOC den Gastge­ber für das übernächs­te Winter-Spekta­kel benen­nen. Danach wären dann Anläu­fe für Winter 2034 oder Sommer 2036 denkbar.

Dass ausge­rech­net 100 Jahre nach den Nazi-Spielen von 1936 aber wieder Olympia in Deutsch­land und womög­lich gar in Berlin statt­fin­den könnten, berei­tet nicht wenigen eher Unbeha­gen. Grund­sätz­lich jedoch ist die rot-grün-rote Landes­re­gie­rung laut Koali­ti­ons­ver­trag für eine Berli­ner Olympia-Bewer­bung offen. Bedin­gung: Ein nachhal­ti­ges Konzept ohne Gigan­tis­mus und eine satte Mitfi­nan­zie­rung durch den Bund.

Auch an Rhein und Ruhr sind die Olympia-Pläne längst nicht im Papier­korb verschwun­den. Macher Mronz ist sich der Unter­stüt­zung von Land und Kommu­nen weiter gewiss. «Ich bin mir sicher: Wenn Deutsch­land geschlos­sen hinter einer Bewer­bung steht, haben wir gute Chancen, auch inter­na­tio­nal», sagte Mronz.

München seiner­seits könnte sich in den kommen­den EM-Tagen neu in die Olympia-Idee verlie­ben. «Natür­lich macht eine aktuel­le Sport­groß­ver­an­stal­tung noch einmal ganz deutlich, wie leben­dig das Erbe von 1972 heute immer noch ist», sagte DOSB-Präsi­dent Weikert.

Der Verbands­chef aber will auch nichts überstür­zen. Zunächst wolle der DOSB nun «einen Prozess etablie­ren, um ein möglichst breites Meinungs­bild zu schaf­fen, was eine Olympia-Bewer­bung Deutsch­land und uns allen bringen würden». Die Werbe­bil­der dafür könnten von Donners­tag in München produ­ziert werden.

Von Chris­ti­an Hollmann und Chris­ti­an Kunz, dpa