Diese Nieder­la­ge tut furcht­bar weh. Sechs harte spani­sche Treffer haben die Hoffnung auf einen Stimmungs­auf­schwung der DFB-Elf Richtung EM jäh gestoppt. Joachim Löw sucht nach Gründen für die höchs­te Pleite seiner Amtszeit. Einem Thema kann er nicht entkommen.

Die drängen­den Fragen nach dem histo­ri­schen 0:6‑Debakel gegen Spani­en verfolg­ten den Bundes­trai­ner in eine finste­re Nacht in Sevil­la. Wie weiter Richtung Europa­meis­ter­schaft nach diesem Desas­ter? Wirklich weiter ohne Thomas Müller, Jérôme Boateng und Mats Hummels?

Sechs Nacken­schlä­ge hatten die Spani­er der 90 Minuten völlig hilf- und orien­tie­rungs­lo­sen deutschen Natio­nal­mann­schaft verpasst — und damit zweiein­halb Jahre nach dem WM-Vorrunden‑K.o. längst nicht verheil­te Wunden in der deutschen Fußball-Seele wieder aufgerissen.

Statt den erhoff­ten Gruppen­sieg in der Nations League als Symbol der Rückkehr zu höchs­ter Wettbe­werbs­fä­hig­keit zu feiern, steht Löw nach dem sport­li­chen Unter­gang in Andalu­si­en plötz­lich vor den Trümmern seiner ohnehin kritisch beglei­te­ten Aufbau­ar­beit. Schonungs­los zerstört vom alten Rivalen Spani­en. Und das nur sieben Monate vor dem EM-Start gegen Weltmeis­ter Frank­reich. «Es war ein Abend, an dem uns absolut nichts gelun­gen ist. Wir sind enttäuscht und absolut sauer», sagte Löw. «Wir hatten keinen Zugriff, keine Zweikampf­här­te, kein Zweikampf­ver­hal­ten», monier­te der Bundestrainer.

Die zutref­fen­de Spiel­ana­ly­se war das Eine, der Blick in die Zukunft das ungleich Schwe­re­re. «Wir haben gedacht, dass wir einen Schritt weiter sind nach den letzten Spielen und diesem Jahr, das insge­samt schwie­rig war. Wir haben jetzt einen richti­gen Rückschlag hinneh­men müssen. Wir müssen erstmal schau­en, wie wir im Trainer­stab damit umgehen. Mit den Spielern haben wir leider keine Möglich­keit zu arbei­ten, zu trainie­ren oder ein Spiel zu machen», sagte Löw.

Vier Monate pausiert die Natio­nal­mann­schaft. Erst im März geht es mit einem Länder­spiel-Dreier­pack zum Start der WM-Quali­fi­ka­ti­on weiter. Die lange Auszeit kann für den 60-Jähri­gen aber auch ein Vorteil sein. Schnell werden Bundes­li­ga, Champi­ons League und auch die Corona-Wirren wieder in den Mittel­punkt der Aufmerk­sam­keit rücken.

Erst einmal wird Löw die Kritik aber so heftig entge­gen­schla­gen, wie zuvor der spani­sche Angriffs­wir­bel seinem unglück­li­chen Rekord­tor­wart Manuel Neuer. Schon Minuten nach dem Schluss­pfiff musste ihm Oliver Bierhoff verbal zur Seite stehen. «Das Vertrau­en ist da, daran ändert auch dieses Spiel nichts», versi­cher­te der DFB-Direk­tor. «Ob ich mir Sorgen um meinen Job machen muss, müssen sie Andere fragen», sagte Löw nach seinem 189. Länder­spiel als verant­wort­li­cher Chefcoach.

Eine Demis­si­on des Weltmeis­ter­trai­ners von 2014 erscheint zum jetzi­gen Zeitpunkt unwahr­schein­lich, obwohl auch Bierhoff als sein Vorge­setz­ter schon vor dem Spiel mit Inter­view-Aussa­gen eine gewis­se Distanz aufge­baut hatte. Auch im DFB-Führungs­zir­kel könnten Fragen gestellt werden, ob die Symbio­se Löw-Bierhoff nach 16 gemein­sa­men Verbands­jah­ren die nötige Reform­kraft und Krisen­fä­hig­keit besitzt.

Unaus­weich­lich ist der vielstim­mig erschal­len­de Ruf nach einer nun endgül­tig fälli­gen Rückkehr der Ex-Weltmeis­ter Müller, Boateng und Hummels zur Stabi­li­sie­rung der Mannschaft. Den Auftakt dazu machte im ARD-Studio Exper­te Basti­an Schweinsteiger.

«Ich weiß, das solche Spieler wie Jérôme Boateng oder Thomas Müller das Triple gewon­nen haben mit dem FC Bayern München. Sie sind die beste Mannschaft Europas. Die spielen in der ersten Elf, die haben Quali­tät. Das sind deutsche Spieler. Warum nicht für die Natio­nal­mann­schaft?», stell­te der WM-Held von Rio eine rheto­ri­sche Frage. Doch hätte das Ü30-Trio in Sevil­la gehol­fen? Auch Neuer und Toni Kroos waren als noch aktive Ex-Weltmeis­ter nicht in der Lage, den sport­li­chen Unter­gang abzuwenden.

Die histo­ri­schen Fakten der höchs­ten Nieder­la­gen seiner Amtszeit werden Löw dauer­haft beglei­ten. Nie kassier­te eine DFB-Elf in 112 Jahren Länder­spiel­ge­schich­te eine höhere Pflicht­spiel­nie­der­la­ge. Nur 1909 beim 0:9 gegen England und beim 3:8 gegen Ungarn im WM-Gruppen­spiel 1954 gab es mehr Gegen­to­re. Sepp Herber­ger gelang damals schon zwei Wochen später der Titel­coup gegen den gleichen Gegner. Ob Joachim Löw dies in sieben Monaten gegen Spani­en auch gelin­gen kann, scheint derzeit mehr als fraglich.