Die Corona-Infek­ti­on haben sie überwun­den. Sie gelten als genesen. Doch gesund sind sie nicht. Für eine noch schwer schätz­ba­re Zahl von Covid-19-Patien­ten ist offen, ob sie je wieder ihre frühe­re Form errei­chen werden.

Ein bisschen abgeschla­gen habe er sich anfangs gefühlt, erzählt der Physio­the­ra­peut aus dem Raum Ingol­stadt. So begann im März seine Covid-19-Erkran­kung. Ein dreivier­tel Jahr später sind seine Ärzte am Klini­kum Ingol­stadt froh, dass der passio­nier­te Tennis­spie­ler wieder sprechen und auf eigenen Beinen in die Ambulanz kommen kann.

Er werde, macht ihm sein behan­deln­der Arzt Thomas Pfeffer­korn Mut, irgend­wann auch wieder Tennis spielen. Aber, das sagt der Chef der Neuro­lo­gie auch: Seine frühe­re Form werde er nicht mehr erreichen.

Viele Geheil­te klagen über gesund­heit­li­che Probleme

Der 51-Jähri­ge litt am Guillain-Barré-Syndrom, einer entzünd­li­chen Erkran­kung der Nerven mit Muskel­läh­mun­gen, die nach derzei­ti­gem Kennt­nis­stand in Einzel­fäl­len auch bei einer Corona-Infek­ti­on entste­hen kann. Fünf Wochen habe er sich nicht bewegen können, die meiste Zeit bei vollem Bewusst­sein. «Das ist eine dicke Kerbe im Leben», sagt er. «Man geht nicht einfach zurück in den Alltag.»

Auch jenseits solch ungewöhn­li­cher Folge­er­kran­kun­gen haben viele Patien­ten noch lange nach ihrer offizi­el­len Genesung gesund­heit­li­che Proble­me. Bei einer Befra­gung von 143 Klinik­pa­ti­en­ten in Itali­en gaben 87 Prozent an, noch 60 Tage nach dem ersten Auftre­ten von Covid-19-Sympto­men ein oder mehre­re Sympto­me zu haben. Genannt wurden vor allem Erschöp­fung (53 Prozent) und Atemnot (43 Prozent), aber auch Gelenk- und Brust­schmer­zen, Husten und Geruchs­ver­lust. Das Virus greift nicht nur die Lunge an, sondern auch andere Organe und Nerven.

Langan­hal­ten­de Beschwerden

Andere Studi­en ergaben ähnli­che Ergeb­nis­se. Long Covid nennen manche das Phäno­men, andere Post-Covid-Syndrom. Betrof­fen sind nicht nur Menschen, die im Kranken­haus behan­delt wurden. Manche klagen über Schwin­del, auch fehlen­de Konzen­tra­ti­on wird als Problem genannt. Da ist die Studen­tin, die ihre Abschluss­ar­beit nicht schafft, der Ingenieur, der sich seine Pin-Nummer nicht mehr merken kann, und der Taucher, dessen Lunge nach Wochen noch zu schlecht aussieht, als dass er wieder unter Wasser könnte.

Mittler­wei­le werden erste Selbst­hil­fe­grup­pen von Post-Covid-Patien­ten gegrün­det. Vor allem gehe es darum, über das Erleb­te zu sprechen, sich gegen­sei­tig bei der Genesung zu unter­stüt­zen und fachli­che Infor­ma­tio­nen zu sammeln, sagt Karl Baumann, der in Regens­burg eine solche Gruppe gegrün­det hat. «Es kommt eine Riesen­wel­le auf unser Gesund­heits­sys­tem zu», ist der 52-jähri­ge Unter­neh­mer überzeugt, der noch nicht weiß, wann und ob er wieder voll arbei­ten kann.

Wellen­för­mi­ger Verlauf

Baumann war im März erkrankt. Er hing an der Herz-Lungen-Maschi­ne, erlitt im Koma einen Schlag­an­fall und überleb­te knapp. Lunge, Herz, Nieren und Leber waren betrof­fen. Manche seiner Werte seien noch immer nicht normal. Es gehe aber auch um die Psyche. «Man muss das Trauma aufar­bei­ten.» Seine Frau leide trotz milder Erkran­kung wie er an Erschöp­fung, Konzen­tra­ti­ons- und Wortfin­dungs­schwie­rig­kei­ten. Wenn er sich mit ihr unter­hal­te, sei es manch­mal «wie im Komödienstadel».

Über tiefe Erschöp­fung, auch Fatigue genannt, haben auch Promi­nen­te wie Prinz Albert von Monaco und die Fernseh­kö­chin Sarah Wiener berich­tet. Andere Betrof­fe­ne schil­dern, dass Beschwer­den über Monate immer wieder kommen. Joachim Meyer, Pneumo­lo­ge, Inten­siv­me­di­zi­ner und Chefarzt des Lungen­zen­trums an der München Klinik, spricht von einer wieder­keh­ren­den «rezidi­vie­ren­den Sympto­ma­tik» und einem «wellen­för­mi­gen Verlauf».

Auch andere schwe­re virale Erkran­kun­gen können langfris­tig Folgen haben. Für Sars-CoV‑2 beschrei­ben US-Forscher im Fachblatt «Jama» mehre­re Phasen. Akut verur­sa­che Covid-19 nur einen Teil der Sterb­lich­keit und Beschwer­den insge­samt. Selbst wenn jemand die akute Infek­ti­on mit Sars-CoV‑2 symptom­frei überste­he, seien Folge­er­kran­kun­gen möglich. Ab zwei Wochen danach könne eine hyper­in­flamm­a­to­ri­sche Erkran­kung folgen, Entzün­dungs­vor­gän­ge durch eine überschie­ßen­de Immun­re­ak­ti­on. Organe können versa­gen oder Schäden davon­tra­gen, neben der Lunge etwa auch Niere und Herz. Auch psychi­sche Folgen sind möglich.

Langfris­ti­ge Folgen ungewiss

Da bei Covid-19 die Gefahr von Throm­bo­sen, Schlag­an­fäl­len und Herzin­fark­ten steigt, bekom­men Patien­ten teils vorsorg­lich Blutver­dün­ner. Es gebe Fallbe­rich­te aus Singa­pur, nach denen selbst junge, um die 40 Jahre alte Patien­ten Wochen nach ihrer Erkran­kung Schlag­an­fäl­le erlit­ten oder Throm­bo­sen entwi­ckel­ten, sagt Peter Berlit, General­se­kre­tär der Deutschen Gesell­schaft für Neuro­lo­gie. «Das scheint es als Folge der gestei­ger­ten Gerin­nungs­nei­gung zu geben.»

Im Gehirn auf Inten­siv­sta­ti­on behan­del­ter Covid-19-Patien­ten seien öfter Gewebe­ver­än­de­run­gen mit kleinen Einblu­tun­gen festge­stellt worden, so Berlit weiter. Häufig seien Aufmerk­sam­keit, Konzen­tra­ti­on und Merkfä­hig­keit noch lange nach der Genesung betrof­fen. Speku­liert wurde bereits, ob eine Covid-19-Erkran­kung langfris­tig das Risiko für Demenz oder Parkin­son erhöhen könnte.

Es gibt Hoffnung

«Man sollte vorsich­tig sein mit der Aussa­ge: Das ist ein Dauer­scha­den», warnt Berlit jedoch auch. «Wir werden die Frage mögli­cher Spätschä­den frühes­tens im Lauf des Jahres 2021 valide beant­wor­ten können. Bis zu einem Jahr können sich neuro­lo­gi­sche Sympto­me zum Glück noch zurückbilden.»

Meyer verweist auf Erfah­run­gen mit den ebenfalls von Corona­vi­ren ausge­lös­ten Krank­hei­ten Sars und Mers. «Nach zwölf Monaten sieht man eine deutli­che Besse­rung von Lungen­ver­än­de­run­gen.» Wichtig sei eine konse­quen­te ärztli­che Betreu­ung. «Die Patien­ten haben viel durch­ge­macht — teils über Wochen», sagt Inten­siv­me­di­zi­ner Meyer. «Leistung ist abhän­gig von der Psyche. Sie müssen erst einmal das Vertrau­en wieder­erlan­gen in ihre eigene Leistungsfähigkeit.»