FRANKFURT/MAIN (dpa) — Zweistel­li­ge Infla­ti­ons­ra­ten hat es in Deutsch­land vor über siebzig Jahren einmal gegeben. Laut des Bundes­bank­prä­si­den­ten könne sich das im kommen­den Herbst wiederholen.

Die Infla­ti­on in Deutsch­land könnte nach Einschät­zung von Bundes­bank­prä­si­dent Joachim Nagel in den Herbst­mo­na­ten zweistel­lig werden. «Der Tankra­batt und das Neun-Euro-Ticket laufen aus, das dürfte die Infla­ti­ons­ra­te um gut einen Prozent­punkt erhöhen», sagte Nagel der «Rheini­schen Post».

Die Gasum­la­ge komme, im Gegen­zug solle die Mehrwert­steu­er auf Gas gesenkt werden, was wieder­um die Preise dämpfe. «In Summe ist in den Herbst­mo­na­ten sogar eine Infla­ti­ons­ra­te von zehn Prozent möglich.»

Nagel machte die histo­ri­sche Dimen­si­on deutlich: «Zweistel­li­ge Infla­ti­ons­ra­ten wurden in Deutsch­land das letzte Mal vor über siebzig Jahren gemes­sen.» Im vierten Quartal 1951 habe die Infla­ti­ons­ra­te nach den damali­gen Berech­nun­gen bei elf Prozent gelegen.

Keine Entwar­nung für 2023

Auch für das kommen­de Jahr gibt der Bundes­bank­prä­si­dent keine Entwar­nung. «Das Thema Infla­ti­on wird 2023 nicht verschwin­den.» Russland habe seine Gaslie­fe­run­gen drastisch reduziert, und die Preise für Erdgas und Elektri­zi­tät seien stärker gestie­gen als erwar­tet. Nachdem im Gesamt­jahr 2022 die Infla­ti­ons­ra­te nach europäi­scher Berech­nung bei acht Prozent liegen dürfte, erwar­tet Nagel für das kommen­de Jahr eine Rate von sechs Prozent.

Nagel forder­te weite­re Zinser­hö­hun­gen durch die Europäi­schen Zentral­bank (EZB). Die nächs­te Sitzung findet am 8. Septem­ber statt. Eine Zahl für eine mögli­che Zinser­hö­hung wollte Nagel nicht nennen. «Entschei­dend wird sein, die mittel­fris­ti­gen Infla­ti­ons­er­war­tun­gen stabil bei zwei Prozent zu halten. Ich bin davon überzeugt, dass der EZB-Rat die dafür notwen­di­gen geldpo­li­ti­schen Maßnah­men ergreift», so der Bundes­bank­prä­si­dent. Im Juli hatte die EZB die Leitzin­sen um 0,50 Prozent­punk­te angehoben.

Für die konjunk­tu­rel­le Entwick­lung zeigt sich Nagel pessi­mis­tisch: «Wenn sich die Energie­kri­se zuspitzt, erscheint eine Rezes­si­on im kommen­den Winter wahrschein­lich.» Die Tarif­part­ner rief er zu verant­wor­tungs­vol­len Tarif­ab­schlüs­sen auf.