JOHANNESBURG (dpa) — Bisher grassiert die Delta-Varian­te in Europa. Nun meldet Belgi­en einen ersten Fall mit der neuen, zunächst im südli­chen Afrika festge­stell­ten Varian­te B.1.1.529. Schüt­zen die Impfstoffe?

Die Ausbrei­tung einer neuen mögli­cher­wei­se gefähr­li­che­ren Varian­te des Corona­vi­rus im südli­chen Afrika hat inter­na­tio­nal Besorg­nis ausgelöst.

Exper­ten befürch­ten, dass die Varian­te B.1.1.529 wegen ungewöhn­lich vieler Mutatio­nen hoch anste­ckend sein könnte. Als erstes europäi­sches Land hat Belgi­en einen ersten Fall mit der neuen festge­stell­ten Varian­te gemel­det. Das gab der belgi­sche Gesund­heits­mi­nis­ter Frank Vandenb­rou­cke bei einer Presse­kon­fe­renz bekannt.

Die derzeit verfüg­ba­ren Corona-Impfstof­fe sind nach Ansicht eines briti­schen Exper­ten «fast sicher» weniger effek­tiv. Das sagte James Naismith, Profes­sor für Struk­tur­bio­lo­gie an der Univer­si­tät Oxford, in der Radio­sen­dung BBC 4 Today.

Ob die Varian­te auch leich­ter übertrag­bar sei, könne anhand der vorlie­gen­den Daten bislang noch nicht mit Sicher­heit gesagt werden. «Wir vermu­ten das und es gibt einige frühe Daten», fuhr Naismith fort. Sollte sich eine leich­te­re Übertrag­bar­keit bestä­ti­gen, sei es unver­meid­lich, dass die Varian­te auch nach Großbri­tan­ni­en gelan­ge, so der Exper­te weiter.

Neue Varian­te bisher nicht in Deutschland

Nach Angaben des Robert Koch-Insti­tuts (RKI) ist die neue Varian­te bisher noch nicht in Deutsch­land entdeckt worden. «Bis halb 10 ist mir nicht bekannt, dass in Europa oder in Deutsch­land diese Varian­te bislang gefun­den wurde», sagte RKI-Präsi­dent Lothar Wieler. Zugleich beton­te er: «Wir sind tatsäch­lich in sehr großer Sorge.»

Der geschäfts­füh­ren­de Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn rief alle Menschen, die in den vergan­ge­nen Tagen aus Südafri­ka nach Deutsch­land gekom­men sind, dazu auf, sich mit einem PCR-Test auf das Virus testen zu lassen.

«Die besorg­nis­er­re­gends­te, die wir je gesehen haben»

Die Wissen­schaft­le­rin Susan Hopkins vom Imperi­al College in London bezeich­ne­te die neue Varian­te als «die besorg­nis­er­re­gends­te, die wir je gesehen haben». Die in Südafri­ka bislang festge­stell­te Übertra­gungs­ra­te (R‑Wert) liege bei 2. Das ähnele den Werten zu Beginn der Pande­mie, so Hopkins im BBC-Radio. Noch seien mehr Daten notwen­dig, um zu einer abschlie­ßen­den Bewer­tung zu kommen.

Ein erneu­ter Anstieg von Infek­tio­nen in einem stark durch­seuch­ten Land wie Südafri­ka lege jedoch nahe, dass dafür zumin­dest teilwei­se neue Varia­tio­nen verant­wort­lich zu machen seien, fuhr Hopkins fort. Sollte sich eine höhere Übertrag­bar­keit bewahr­hei­ten, würde die Varian­te «ein massi­ves Problem», in der sie den in der Bevöl­ke­rung bestehen­den Immun­schutz umgehen könne.

Auch aus Sicht des südafri­ka­ni­schen Virolo­gen Shabir Madhi schüt­zen herkömm­li­che Impfstof­fe gegen die neue Corona-Varian­te B.1.1.529 nur bedingt. Dem TV-Sender eNCA in Johan­nes­burg sagte er: «Wir gehen davon aus, dass es noch einiges an Schutz gibt.» Es sei aber wahrschein­lich, dass bishe­ri­ge Impfstof­fe weniger wirksam sein dürften.

Einge­schränk­ter Flugverkehr

Deutsch­land und einige andere Staaten kündig­ten an, Einrei­sen aus dem südli­chen Afrika einschrän­ken zu wollen. «Mit Inkraft­tre­ten heute Nacht dürfen Flugge­sell­schaf­ten nur noch Deutsche nach Deutsch­land beför­dern», schreibt er. «Wir bleiben bei der Einrei­se vorsichtig.»

Deutsche Veran­stal­ter werden nach Angaben des Branchen­ver­ban­des DRV Reisen ins südli­ches Afrika stornie­ren oder umbuchen. Die betrof­fe­nen Gäste würden entspre­chend infor­miert, erklär­te der DRV auf Anfra­ge. «Reise­ver­an­stal­ter gehen verant­wor­tungs­voll mit der neuen Situa­ti­on um und werden ihre Gäste aktiv infor­mie­ren und wenn von den Kunden gewünscht auch vorzei­tig zurück nach Deutsch­land bringen». Aktuell befin­den sich nach Schät­zung des DRV ledig­lich bis zu 400 Gäste mit deutschen Reise­ver­an­stal­tern im südli­chen Afrika.

Auch die EU-Kommis­si­on will Reisen aus dem südli­chen Afrika in die EU auf ein absolu­tes Minimum beschrän­ken. Die Brüsse­ler Behör­de werde den EU-Staaten vorschla­gen, die dafür vorge­se­he­ne Notbrem­se auszu­lö­sen um den Luftver­kehr auszu­set­zen, teilte EU-Kommis­si­ons­prä­si­den­tin Ursula von der Leyen auf Twitter mit.

Die UN-Gesund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on WHO empfiehlt wissen­schaft­lich fundier­te Maßnah­men und Risiko­be­wer­tun­gen, aber aktuell keine Reise­be­schrän­kun­gen. WHO-Sprecher Chris­ti­an Lindmei­er sagte, Staaten könnten auch ohne solche Einschrän­kun­gen eine Reihe von Maßnah­men ergrei­fen, um die Ausbrei­tung von neuen Varian­ten einzu­däm­men. Dazu gehör­ten die genaue Beobach­tung des Infek­ti­ons­ge­sche­hens und die Genana­ly­se von auftre­ten­den Corona-Fällen.

Katego­rie «besorg­nis­er­re­gen­de Variante»

Das südafri­ka­ni­sche Insti­tut für Anste­cken­de Krank­hei­ten NICD teilte am Donners­tag mit, es seien in Südafri­ka 22 Fälle der neuen Varian­te B.1.1.529 nachge­wie­sen worden. Mit mehr Fällen sei im Zuge der laufen­den Genom­ana­ly­sen zu rechnen. «Obwohl die Daten­la­ge noch beschränkt ist, machen unsere Exper­ten mit allen Überwa­chungs­sys­te­men Überstun­den, um die neue Varian­te und die damit mögli­cher­wei­se verbun­de­nen Impli­ka­tio­nen zu verstehen.»

Die Weltge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on WHO unter­sucht bereits, ob B.1.1.529 als besorg­nis­er­re­gend einge­stuft werden muss. Das sagte WHO-Exper­tin Maria van Kerkho­ve in einem Briefing. Es werde dabei auch unter­sucht, inwie­weit die Varian­te Folgen für die Diagnos­tik, Thera­pien und die Impfkam­pa­gnen habe.

Die WHO hat für die unter­schied­li­chen Corona-Varian­te mehre­re Katego­rien. Eine davon ist die Katego­rie «Variant of Concern», auf deutsch «besorg­nis­er­re­gen­de Varian­te». Eine der «Variants of Concern» ist etwa die derzeit in Deutsch­land vorherr­schen­de Delta-Varian­te des Corona­vi­rus. Zu den Merkma­len einer solchen Varian­te kann etwa gehören, dass sie nachge­wie­se­ner­ma­ßen die Übertrag­bar­keit des Corona­vi­rus erhöht hat.