BERLIN (dpa) — Die Herbst­wel­le hat begon­nen. Aber folgt womög­lich auch bald eine neue Varian­te des Virus, die die bishe­ri­gen Umstän­de auf den Kopf stellt?

Sie haben krypti­sche Bezeich­nun­gen aus Buchsta­ben und Zahlen: BA.2.75.2 zum Beispiel. Oder BQ.1.1. Dahin­ter verber­gen sich Subli­ni­en der Omikron-Varian­te des Coronavirus.

Solche Erreger drohen der Herbst­wel­le weite­re Wucht zu verlei­hen, wie einige Forscher warnen. Denn manche dieser Varian­ten weisen ein derart verän­der­tes Erbgut auf, dass sie Antikör­pern von Geimpf­ten und Genese­nen besser entge­hen können als die bisher vorherr­schen­den Varian­ten. Dadurch könnten sie sich schnel­ler verbrei­ten. In bishe­ri­gen Daten zu hierzu­lan­de entdeck­ten Virus­va­ri­an­ten spiegeln sich diese Befürch­tun­gen noch kaum wieder, wie der Wochen­be­richt des Robert Koch-Insti­tuts (RKI) vom 6. Oktober zeigt.

Bisher hat Omikron-Subli­nie BA.5 den höchs­ten Anteil

Die aktuells­ten darin enthal­te­nen Daten zu nachge­wie­se­nen Varian­ten bezie­hen sich auf vorver­gan­ge­ne Woche: Zu dem Zeitpunkt zeigte eine Stich­pro­be, dass nach wie vor die Omikron-Subli­nie BA.5 das Gesche­hen bestimmt. Seit Wochen liegen deren Antei­le bei 95 bis 97 Prozent. Bei der Subli­nie BA.2.75 und Abkömm­lin­gen davon ist laut RKI zwar seit Juni weltweit eine zuneh­men­de Ausbrei­tung beobach­tet worden. Noch immer liegt der Anteil in der Stich­pro­be für Deutsch­land aber bei weniger als 1 Prozent.

Rückblick: Bereits seit Ende 2021 wird die Corona-Pande­mie von der Omikron-Varian­te und deren Subli­ni­en bestimmt. Sie war auf Delta und Alpha gefolgt. Auch wenn lange keine solche ganz neue, als besorg­nis­er­re­gend einge­stuf­te Varian­te mehr aufge­kom­men ist: Das Virus mutiert weiter. Aber anders als zu Beginn. Der Spezia­list für Virus-Evolu­ti­on Richard Neher vom Biozen­trum der Univer­si­tät Basel spricht in einem von seiner Uni veröf­fent­lich­ten Inter­view von einer eher allmäh­li­chen Entwick­lungs­dy­na­mik, die inter­es­san­ter sei als die großen Sprün­ge, die das Virus zuvor gemacht habe.

Man habe mittler­wei­le eine bisher nicht gekann­te Vielfalt an Varian­ten aus unter­schied­li­chen Zweigen des Omikron-Stamm­baums, wurde der briti­sche Virolo­ge Tom Peacock kürzlich in einem «Nature»-Artikel zitiert. Auffäl­lig: Unabhän­gig vonein­an­der entwi­ckel­ten viele dieser Omikron-Nachkom­men die gleichen Mutatio­nen des Spike-Prote­ins. Das ist die Stelle, mit der das Virus mensch­li­che Zellen entert.

BQ.1.1 könnte sich in Europa Ende Novem­ber durchsetzen

Corne­li­us Römer, ein Mitar­bei­ter Nehers, gab vor einigen Tagen auf Twitter die Einschät­zung ab, dass BQ.1.1 in Europa und Nordame­ri­ka vor Ende Novem­ber eine Welle verur­sa­chen werde. Er stütz­te sich auf die schnel­le Zunah­me der Sequen­zen binnen kurzer Zeit. Auch für Neher ist plausi­bel, dass die Welle in einigen Wochen einen zusätz­li­chen Schub bekommt — sei es am Ende durch BQ.1.1 oder eine Mischung aus mehre­ren Varian­ten, wie er auf dpa-Anfra­ge mitteilte.

Ähnlich formu­lier­te es der Chari­té-Impfstoff­for­scher Leif Sander auf Twitter: Neben der BA.5‑Herbstwelle, die sich derzeit rasch aufbaue, werde man es wohl recht sicher bald mit einer Varian­te zu tun bekom­men, die der bestehen­den Immun­ant­wort stark ausweicht: «Der Winter kommt & er wird anschei­nend echt anstrengend.»

Diese sogenann­te Immun­flucht bedeu­tet aber nicht, dass zwangs­läu­fig auch die Krank­heits­ver­läu­fe wieder schwe­rer werden und man quasi am Beginn einer neuen Pande­mie steht. Die Immuno­lo­gin Chris­ti­ne Falk teilte auf Anfra­ge mit, dass die Mutatio­nen von BQ.1.1 zwar auf eine mögli­cher­wei­se effek­ti­ve­re Anste­ckung schlie­ßen ließen, aber nicht auf ein Unter­lau­fen aller Abwehr­li­ni­en. Allein auf das Spike-Prote­in bezogen gebe es keine Hinwei­se auf eine Verän­de­rung der Krank­heits­last. Der Schutz vor schwe­rer Erkran­kung — er dürfte laut Immuno­lo­gen bei immun­ge­sun­den Menschen mit den empfoh­le­nen Impfun­gen in der Regel stand­hal­ten. Als proble­ma­tisch sehen Fachleu­te vielmehr die drohen­den Perso­nal­aus­fäl­le an, wenn sich sehr viele Menschen auf einmal anstecken.

Impfen, Maske tragen, Abstand halten, lüften

Die Weltge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (WHO) beton­te, dass BQ.1.1 eine von 300 Subva­ri­an­ten sei, die beobach­tet würden. Egal welche Varian­te komme: Die WHO beschwört wie immer, dass es Werkzeu­ge gebe, um mit dem Virus umzuge­hen. Diese müssten nur angewen­det werden: zum Beispiel mehr impfen, Maske wo nötig, Abstand halten, lüften.

Die Zahl positiv getes­te­ter Menschen steigt in Deutsch­land erst einmal weiter kräftig, wie der RKI-Wochen­be­richt mit Daten zu vergan­ge­ner Woche weiter zeigt. Die Entwick­lung bei den schwe­ren Krank­heits­ver­läu­fen ist jedoch nicht einfach zu inter­pre­tie­ren: Das RKI schreibt, dass sich bei den schwer verlau­fen­den Atemwegs­in­fek­tio­nen, die im Kranken­haus behan­delt werden müssen, zwar ein Anstieg der Fallzah­len andeu­te. Die Autoren schrän­ken aller­dings ein, dass «hier auch Fälle mit aufge­führt werden, die aufgrund einer anderen Erkran­kung ins Kranken­haus kommen oder inten­siv­me­di­zi­nisch behan­delt werden müssen und bei denen die Sars-CoV-2-Diagno­se nicht im Vorder­grund der Erkran­kung bzw. Behand­lung steht».

Von Gisela Gross, dpa