STUTTGART (dpa/lsw) — Die Libera­len lassen nicht locker: In einer verbind­li­chen Grund­schulemp­feh­lung sehen sie ein Instru­ment, um Schüler gerech­ter auf die Schulen zu vertei­len. Allein, andere Partei­en sehen das nicht so. Und so dürfte auch ein neuer Gesetz­ent­wurf wenig Chancen haben.

Die FDP lässt in der Debat­te um eine verbind­li­che Empfeh­lung beim Übergang eines Kindes auf eine weiter­füh­ren­den Schule nicht locker. Drei Jahre nach einem erfolg­lo­sen Gesetz­ent­wurf haben die Libera­len das Thema erneut mit einem fast wortglei­chen Text in den Landtag einge­bracht und bauen dabei auf die Unter­stüt­zung der Gymna­si­al- und Realschul­leh­rer. Für den Gesetz­ent­wurf wird es aber auch weiter­hin abseh­bar keine Mehrheit geben. Die SPD kündig­te bereits an, nicht zustim­men zu wollen, auch CDU und Grüne sind bislang stets dagegen gewesen.

Neuere Studi­en zeigten, dass eine verbind­li­che Grund­schulemp­feh­lung ein zentra­les Element sei, um Bildungs­ge­rech­tig­keit sicher­zu­stel­len, heißt es im Gesetz­ent­wurf der FDP, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Schüle­rin­nen und Schülern würden nicht mehr einer falschen Schul­art zugewie­sen, sie würden wie die Lehrkräf­te auch weniger über- oder auch unter­for­dert. Jugend­li­che würden zudem ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaft­li­che Lage erzogen und ausge­bil­det. Auch ließen sich Klassen aus Schüle­rin­nen und Schülern mit vergleich­ba­ren Begabun­gen und Leistungs­vor­aus­set­zun­gen deutlich leich­ter bilden, argumen­tiert die FDP.

Der FDP-Frakti­ons­vor­sit­zen­de Hans-Ulrich Rülke nennt die Abschaf­fung der verbind­li­chen Grund­schulemp­feh­lung in Baden-Württem­berg «einen «schwe­ren Fehler». Das Land habe im natio­na­len und inter­na­tio­na­len Vergleich bei der Bildung drama­tisch schwach abgeschnit­ten. «Es muss dringend etwas gesche­hen. Die Wieder­ein­füh­rung der verbind­li­chen Grund­schulemp­feh­lung ist ein wichti­ger Baustein hierfür», sagte Rülke der Deutschen Presse-Agentur.

In Baden-Württem­berg gibt die Grund­schu­le eine Empfeh­lung ab, welche weiter­füh­ren­de Schul­art für ein Kind nach der 4. Klasse geeig­net ist. Sie wird zu Beginn des 2. Schul­halb­jah­res der 4. Klasse zusam­men mit den Halbjah­res­zeug­nis­sen ausge­ge­ben und orien­tiert sich in der Regel an dessen Noten. Die grün-rote Vorgän­ger­re­gie­rung hatte entschie­den, dass die Empfeh­lung seit 2012/2013 nicht mehr verbind­lich ist. Die Eltern können sich seitdem über sie hinweg­set­zen und ihr Kind etwa auf ein Gymna­si­um schicken, obwohl es dafür keine Empfeh­lung hat.

Nach dem Willen der FDP aber sollen Kinder, deren Eltern nicht einver­stan­den sind, eine Aufnah­me­prü­fung absol­vie­ren können. Bei einem guten Abschnei­den könnte das Kind dann doch noch auf die Wunsch­schu­le gehen.

Die Gelegen­heit zum Wechsel auf eine höhere Schul­art und auf eigene Verant­wor­tung nehmen laut Statis­tik zahlrei­che Eltern wahr: Trotz einer Empfeh­lung zum Beispiel für eine «Werkre­al-/Haupt­schu­le oder Gemein­schafts­schu­le» nutzten die Option nach Angaben des Statis­ti­schen Landes­amts am Ende des Schul­jah­res 2020/21 rund 34,6 Prozent der Kinder. Darun­ter wechsel­ten 2,0 Prozent der Kinder sogar auf ein Gymna­si­um. Umgekehrt wechsel­ten 20,7 Prozent der Kinder nicht auf ein Gymna­si­um, obwohl dies laut Empfeh­lung der Grund­schu­le möglich gewesen wäre. Neuere Zahlen liegen nicht vor.

Den Philo­lo­gen- und den Realschul­leh­rer­ver­band wissen die Libera­len bei dem Thema nach wie vor hinter sich. Unter­schied­li­che Kinder brauchen unter­schied­li­che Schul­ar­ten in einem leistungs­star­ken Schul­sys­tem, was stets durch­läs­sig bleibt, fordern Landes­vor­sit­zen­den Karin Broszat (RLV) und Ralf Scholl (PhV). Die Abschaf­fung vor mehr als zehn Jahren sei ein «Kardi­nal­feh­ler» gewesen. «Seit fast sieben Jahren erleben wir, wie das Kultus­mi­nis­te­ri­um mit hohem Kosten- und Perso­nal­auf­wand die negati­ven Konse­quen­zen dieser Entschei­dung zu minimie­ren versucht — ohne jeden Erfolg», sagten die beiden Verbands­vor­sit­zen­den. Dabei sei wissen­schaft­lich nachge­wie­sen, dass schwä­che­re Kinder von homoge­ne­ren Lerngrup­pen stark profi­tier­ten und dadurch höhere Leistun­gen erzie­len könnten.

Aus Sicht der SPD, die das Aus für die Verbind­lich­keit mitbe­schlos­sen hatte, stärkt die Abschaf­fung aller­dings das Wahlrecht der Eltern. Es seien zudem positi­ve Effek­te für die Bildungs­ge­rech­tig­keit erzielt und unnöti­ger Druck von den Schüle­rin­nen und Schülern genom­men worden, sagte die schul­po­li­ti­sche Spreche­rin der SPD, die ehema­li­ge Schul­lei­te­rin Katrin Stein­hülb-Joos. «Deswe­gen gibt es keinen Weg zurück zur verbind­li­chen Grund­schulemp­feh­lung», beton­te sie.