HANNOVER/MÜNCHEN (dpa) — Die norddeut­schen Länder produ­zie­ren den Großteil des deutschen Windstroms — und wollen deshalb niedri­ge­re Strom­kos­ten für sich durch­set­zen. Die bayeri­sche Staats­re­gie­rung reagiert empört.

Die norddeut­schen Flächen­län­der fordern eine Auftei­lung Deutsch­lands in unter­schied­li­che Strom­preis­zo­nen zu Lasten Süddeutsch­lands. Nach einem Bericht der «Welt am Sonntag» wollen die norddeut­schen Länder günsti­ge­re Strom­prei­se für ihre Bürger und Unter­neh­men durch­set­zen. Nieder­sach­sens Energie­mi­nis­ter Olaf Lies (SPD) sagte der Zeitung: «Wenn ich da lebe oder produ­zie­re, wo auch die Energie produ­ziert oder angelan­det wird, muss diese Energie dort auch günsti­ger sein.» Der Norden trage seit Jahren die Haupt­last der Energiewende.

Die bayeri­sche Staats­re­gie­rung reagier­te entrüs­tet und stell­te eine Gegen­rech­nung mit dem Länder­fi­nanz­aus­gleich an. Minis­ter­prä­si­dent Markus Söder (CSU) nannte die Forde­rung im Bayeri­schen Rundfunk absurd, Staats­kanz­lei­chef Flori­an Herrmann (CSU) kriti­sier­te die norddeut­schen Forde­run­gen als «schlicht unverschämt».

Damit ist in der Politik offener Streit um ein Thema ausge­bro­chen, über das in der Energie­bran­che schon seit Jahren disku­tiert wird.

In Norddeutsch­land ist die Windstrom­pro­duk­ti­on in den vergan­ge­nen Jahren stark ausge­baut worden. Doch größer ist die Strom­nach­fra­ge im Süden mit seinen vielen energie­in­ten­si­ven Indus­trie­un­ter­neh­men. Um die Strom­lei­tun­gen nicht zu überlas­ten, sind teure Maßnah­men zur Siche­rung und Stabi­li­sie­rung des Netzes notwendig.

Das beinhal­tet den sogenann­ten «Redis­patch»: Zeitwei­se müssen teure Kraft­wer­ke im Süden laufen, weil billi­ger Windstrom aus dem Norden mangels Kapazi­tät nicht in den Süden trans­por­tiert werden kann. Der Bundes­ver­band der Energie- und Wasser­wirt­schaft (BDEW) bezif­fert die Gesamt­kos­ten des «Engpass­ma­nage­ments» im deutschen Strom­netz für das Jahr 2021 auf knapp 2,3 Milli­ar­den Euro, davon 590 Millio­nen für den «Redis­patch». Der Großteil dieser Redis­patch-Kosten entfiel laut BDEW auf das Gebiet des Netzbe­trei­bers Tennet in Bayern.

Anlass der norddeut­schen Kritik ist, dass die CSU den Ausbau der Windkraft in Bayern wegen des Wider­stands in Teilen der Bevöl­ke­rung faktisch zum Erlie­gen gebracht hatte, seit 2016 sind im Freistaat kaum noch neue Windrä­der ans Netz gegan­gen. Einen Kurswech­sel gab es erst in diesem Jahr. Bayerns Wirtschafts­mi­nis­ter Hubert Aiwan­ger (Freie Wähler) wieder­um hatte ehedem in der Opposi­ti­on jahre­lang Wider­stand gegen den Bau der großen Strom­tras­sen geleis­tet, die den norddeut­schen Windstrom in den Süden leiten sollen.

«Die Höhe der Strom­netz­ent­gel­te belas­tet die Letzt­ver­brau­cher und benach­tei­ligt den norddeut­schen Wirtschafts­stand­ort», sagte Mecklen­burg-Vorpom­merns Energie­mi­nis­ter Reinhard Meyer (SPD) der «Welt am Sonntag».

Gleich vier bayeri­sche Regie­rungs­mit­glie­der legten empör­ten Protest ein: Neben Söder und seinem Staats­kanz­lei­chef Herrmann auch Aiwan­ger und Finanz­mi­nis­ter Albert Füracker (CSU). Söder argumen­tier­te, Bayern versor­ge sich überwie­gend mit eigenem Ökostrom. «Aber was das Absur­des­te ist: Bayern zahlt neun Milli­ar­den Länderfinanzausgleich.»

Füracker brach­te die Abschaf­fung des Finanz­aus­gleichs ins Gespräch: «Wenn das der Dank dafür sein soll, dass Bayern seit Jahren über den Finanz­kraft­aus­gleich andere Länder mit zig Milli­ar­den mitfi­nan­ziert, dann ist es nur richtig, dass immer dring­li­cher hinter­fragt werden muss, ob dieses ungerech­te System so noch Bestand haben darf.»

Zuvor hatte schon Wirtschafts­mi­nis­ter Aiwan­ger (Freie Wähler) protes­tiert. «Wir brauchen jetzt einen Preis­de­ckel für Strom und Gas und die Übernah­me der darüber hinaus gehen­den Kosten aus dem Bundes­haus­halt», sagte Aiwan­ger. «Was wir nicht brauchen, ist eine Debat­te im Klein-Klein über Netzent­gel­te und Strompreiszonen.»

Momen­tan gibt es nur eine Strom­preis­zo­ne für ganz Deutsch­land, obwohl Produk­ti­ons- und Verteil­kos­ten regio­nal unter­schied­lich sind. Bis 2018 gab es eine gemein­sa­me deutsch-öster­rei­chi­sche Strom­preis­zo­ne. Nach der Aufspal­tung in zwei getrenn­te Zonen war der Strom in Öster­reich teurer als in Deutsch­land. Im Süden wird befürch­tet, dass der gleiche Effekt wieder eintre­ten könnte, wenn es eine eigene süddeut­sche Strom­preis­zo­ne gäbe.

Schles­wig-Holsteins Energie­wen­de­mi­nis­ter Tobias Goldschmidt (Grüne) hinge­gen nannte eine Auftei­lung in Preis­zo­nen «die logische Konse­quenz des energie­po­li­ti­schen Irrwe­ges» bayeri­scher Landes­re­gie­run­gen. Mehr als 15 Jahre lang hätten diese den Ausbau von Strom­net­zen und Windkraft sabotiert, saget Goldschmidt der «Welt am Sonntag». Es sei «den Menschen im Norden schlicht nicht mehr zu vermit­teln, warum sie die Zeche dafür zahlen müssen».

Von Carsten Hoefer und Chris­to­pher Hirsch, dpa