BERLIN (dpa) — In der Omikron-Welle haben sich nachweis­lich Millio­nen Menschen in Deutsch­land mit Sars-CoV‑2 angesteckt. Manche Menschen hatten aber bisher noch nie ein positi­ves Testergeb­nis. Woran kann das liegen?

Die Einschlä­ge kamen immer häufi­ger und immer näher: Corona traf die Freun­de, deren Kinder, die Großel­tern, die meisten Arbeits­kol­le­gen. Bisher verschont geblie­be­nen Menschen konnte die eigene Corona-Anste­ckung in den vergan­ge­nen Monaten oft nur noch als Frage der Zeit erscheinen.

Manche haben aber selbst der gerade abflau­en­den Omikron-Welle mit Millio­nen Infizier­ten bundes­weit stand­ge­hal­ten, sich also in über zwei Jahren Pande­mie immer noch nicht wissent­lich mit Sars-CoV‑2 infiziert.

Wenn man Menschen fragt, die sich zu der Gruppe zählen, hört man eine ganze Reihe von Vermu­tun­gen über mögli­che Ursachen: Härten regel­mä­ßi­ge lange U‑Bahn-Fahrten womög­lich ab, weil man immer wieder kleine Virus­men­gen abbekommt? Um es vorweg­zu­neh­men: «Diese These fällt in das Reich der Speku­la­tio­nen», sagt der Essener Virolo­ge Ulf Dittmer.

Glück gehabt oder doch schon infiziert?

Andere bisher nicht Infizier­te stellen sich ein gutes Zeugnis beim Einhal­ten der Corona-Regeln aus. Manche halten sich auch schlicht für Glücks­pil­ze, weil sie sich weder bei einer später positi­ven Kontakt­per­son noch beim Clubbe­such angesteckt hätten. Einige zweifeln, ob sie das Virus nicht doch schon hatten, nur unbemerkt und unbestä­tigt. Zum Beispiel in der Zeit, als Tests kaum verfüg­bar waren. Oder als man Sympto­me hatte, die Tests aber nie anschlu­gen. Dabei ist nicht ausge­schlos­sen, dass es an falscher Proben­ent­nah­me oder dem Timing lag.

Wissen­schaft­li­che Erklär­an­sät­ze zu der Frage gehen tiefer. Die eine defini­ti­ve Antwort, die Nicht-Anste­ckun­gen erklärt, gibt es aber nicht. Vielmehr kann der Schlüs­sel in einer Kombi­na­ti­on verschie­de­ner Umstän­de liegen. «Es gibt einige Hypothe­sen, die plausi­bel erschei­nen», sagt Leif Sander, der die Klinik für Infek­tio­lo­gie an der Berli­ner Chari­té leitet.

Viele unbemerk­te Infektionen

Zunächst einmal muss man beden­ken, dass ein gar nicht mal kleiner Teil der Fälle weitge­hend oder völlig unbemerkt verläuft. In einer Überblicks­ar­beit von Ende 2021 im «Jama Open Network» bilan­zier­ten die Autoren, dass sogar bei bestä­tig­ten Corona-Infizier­ten rund 40 Prozent zum Testzeit­punkt keine Krank­heits­an­zei­chen hatten. Grund­la­ge waren knapp 100 verschie­de­ne, inter­na­tio­na­le Studi­en mit Daten von insge­samt rund 30 Millio­nen Menschen.

Die Testhäu­fig­keit spielt vor diesem Hinter­grund eine Rolle beim Erken­nen von Infek­tio­nen. Wer sich eher unregel­mä­ßig testen lässt, hat eine höhere Wahrschein­lich­keit, eine sehr milde oder asympto­ma­ti­sche Infek­tio­nen zu überse­hen. Bei häufi­gen Tests spürt man eher auch milde Fälle auf.

Geneti­sche Merkmale

Abgese­hen davon können auch die Gene eine Rolle spielen. «Es gibt Menschen, die aufgrund geneti­scher Merkma­le zum Beispiel schlecht mit Malaria oder HIV infiziert werden können. In gewis­sen Abstu­fun­gen wird es das auch bei Sars-CoV‑2 geben», sagt Sander. Komplett verstan­den seien die geneti­schen Fakto­ren aber nicht.

Wie Ulf Dittmer, Direk­tor des Virolo­gie-Insti­tuts am Unikli­ni­kum Essen, erklärt, spielt die geneti­sche Ausstat­tung des Immun­sys­tems — sogenann­te HLA-Molekü­le — für den Schutz vor Covid-19 eine wichti­ge Rolle. Und Blutgrup­pen beein­fluss­ten nicht nur die Schwe­re der Erkran­kung, sondern vielleicht auch die Übertra­gung von Sars-CoV‑2.

Impfschutz

Vermut­lich oft unter­schätzt wird der Impfschutz: Die Spiegel der Antikör­per im Blut, die in den Körper eindrin­gen­de Corona­vi­ren unschäd­lich machen können, sinken in der Zeit nach der Impfung zwar ab. «Der Schutz bleibt aber trotz­dem über Monate signi­fi­kant. Auch das reduziert immer noch Anste­ckun­gen», sagt Sander.

Immun­ant­wor­ten auf die Impfung unter­schei­den sich darüber hinaus von Mensch zu Mensch. «Wenn die Antwort beson­ders gut ausfällt, kann auch die Kombi­na­ti­on aus Impfung und einer vorhe­ri­gen Infek­ti­on mit einem der vier norma­len Erkäl­tungs­coro­na­vi­ren eine Rolle spielen», gibt der Chari­té-Profes­sor zu bedenken.

Virolo­ge Dittmer sagt, man wisse mittler­wei­le, dass eine beson­de­re Subklas­se von Antikör­pern einen beson­ders guten Schutz gegen eine Corona-Infek­ti­on vermitt­le. «Die Messung ist aber kompli­ziert, daher wird vorerst auch weiter­hin niemand wissen, ob er diese Antikör­per hat oder nicht.»

Stärker aktivier­tes Immun­sys­tem bei Kindern

Bei Kindern gibt es Sander zufol­ge das Phäno­men, dass sie generell ein stärker aktivier­tes angebo­re­nes Immun­sys­tem haben, das Immun­sys­tem sei sozusa­gen häufig vorak­ti­viert. Zudem gebe es den Effekt, dass Menschen direkt nach einem Infekt für ein paar Tage generell weniger empfäng­lich sind für den nächs­ten lauern­den Erreger. «Das liegt unter anderem an den sogenann­ten Inter­fe­ro­nen, beson­de­ren Abwehr­stof­fen in der Schleim­haut, die im Fall eines Kontakts in dem Zeitfens­ter auch die Empfäng­lich­keit für Sars-CoV‑2 reduzieren.»

Ein weite­rer denkba­rer Faktor: Bei manchen Menschen schmeißt das Immun­sys­tem das Virus womög­lich sehr schnell wieder aus dem Körper heraus, wie Sander sagt. «In einer schwe­di­schen Studie haben Forscher bei Menschen, die nach Kontak­ten zu infizier­ten Haushalts­mit­glie­dern nicht positiv gewor­den sind, spezi­fi­sche T‑Zellen gefun­den — ein Zeichen, dass sich deren Immun­sys­tem durch­aus mit Sars-CoV‑2 ausein­an­der­ge­setzt hat, auch wenn eine Infek­ti­on und auch Antikör­per gegen das Virus nicht immer nachweis­bar waren.»

Was folgt daraus? Wer glaubt, bisher verschont geblie­ben zu sein, könnte die Infek­ti­on doch schon hinter sich haben. Oder von bestimm­ten vorüber­ge­hen­den Effek­ten, noch unbekann­ten geneti­schen Fakto­ren und Zufäl­len profi­tiert haben. Sanders Fazit: «Dass man Corona bisher nicht hatte, heißt nicht, dass man für alle Zeit safe ist. Das kann schon mit einer neuen Virus­va­ri­an­te oder situa­ti­ons­ab­hän­gig ganz anders aussehen.»

Von Gisela Gross, dpa