SCHWEDT/ODER (dpa) — Die EU macht Druck. Ab heute greift das nach dem Ukrai­ne-Krieg verhäng­te Öl-Embar­go gegen Russland. Zugleich tritt ein Ölpreis­de­ckel in Kraft. Die Folgen sind komplex, auch für Deutschland.

Gut neun Monate nach dem russi­schen Angriff auf die Ukrai­ne macht die Europäi­sche Union ernst. Ab heute soll schritt­wei­se ein Öl-Embar­go gegen Russland greifen.

Zugleich haben die EU und ihre G7-Partner einen Ölpreis­de­ckel beschlos­sen: Sie wollen Russland vorge­ben, zu welchem Preis es sein Erdöl auf dem Weltmarkt verkau­fen darf — nicht mehr als 60 US-Dollar (57 Euro) je Barrel (159 Liter). Ziel ist, die Kriegs­kas­se des Kreml auszu­trock­nen und die Energie­prei­se weltweit zu stabilisieren.

Aber schnei­den sich die Europä­er damit nicht ins eigene Fleisch? In Deutsch­land fürch­ten einige wegen des Embar­gos mitten in der Gas- und Strom­kri­se auch noch Engpäs­se und höhere Preise an der Tankstel­le. Beson­ders groß sind die Sorgen in der PCK-Raffi­ne­rie im branden­bur­gi­schen Schwedt, die seit Jahrzehn­ten russi­sches Öl verar­bei­tet. Ein Überblick.

Wie ist der Zeitplan?

Im Anschluss an den Start des EU-Embar­gos und des Preis­de­ckels an diesem Montag folgen zwei weite­re Schrit­te: Nach dem Stopp der Seeim­por­te will Deutsch­land bis zum Jahres­en­de auch auf russi­sche Öl-Liefe­run­gen über die Pipeline Drusch­ba (Freund­schaft) verzich­ten. So hat es Bundes­kanz­ler Olaf Scholz bei einem EU-Gipfel Ende Mai in einer Proto­koll­no­tiz zugesagt. Ab 5. Febru­ar gilt dann EU-weit auch ein Import­stopp für verar­bei­te­te Produk­te wie Diesel oder Kerosin aus Russland. Die nächs­ten beiden Schrit­te dürften Deutsch­land mehr berüh­ren als der Auftakt am Montag.

Hat Deutsch­land auch ohne Russland genug Öl?

Vor Beginn des Ukrai­ne-Kriegs deckten Ölimpor­te aus Russland rund 35 Prozent des deutschen Bedarfs. Grob gesagt kam davon ein Drittel per Tanker, zwei Drittel flossen über die Drusch­ba in die ostdeut­schen Raffi­ne­rien in Leuna und Schwedt. Laut Wirtschafts­ver­band Fuels und Energie sanken die Rohöl­im­por­te aus Russland bis Oktober 2022 auf 16 Prozent. Ersatz kommt aus Großbri­tan­ni­en, den USA und Kasach­stan. Der Branchen­ver­band geht davon aus, dass das vom EU-Embar­go betrof­fe­ne russi­sche Tanker­öl recht­zei­tig vollstän­dig ersetzt wird.

Was soll der Preis­de­ckel für russi­sches Öl?

Ziel ist auch hier, die russi­schen Einnah­men aus dem Ölgeschäft zu drücken. Russland soll durch­aus weiter Öl an Dritt­staa­ten vermark­ten — sonst würde die wertvol­le Ressour­ce auf dem Weltmarkt noch knapper -, aber zu einem vom Westen diktier­ten, niedri­gen Preis. Das Projekt wurde maßgeb­lich von den Ameri­ka­nern voran­ge­trie­ben, die befürch­te­ten, dass das europäi­sche Einfuhr­ver­bot die Preise für nicht-russi­sches Öl und damit auch für Benzin in die Höhe treiben könnte. Nun ist die Hoffnung, dass die Preis­ober­gren­ze zu einer Entspan­nung auf den Energie­märk­ten führt.

Wie soll das funktionieren?

Die EU setzt den Hebel bei den Trans­por­ten und den dafür nötigen Dienst­leis­tun­gen an. Denn europäi­sche Reede­rei­en betrei­ben nach Angaben von Brüsse­ler Beamten mehr als die Hälfte aller Tanker auf der Welt. Das Prinzip lautet: Fuhren mit russi­schem Öl in Dritt­staa­ten sind verbo­ten — es sei denn, der Preis für die Ladung liegt nicht höher als der Deckel. Anders gesagt: Wird die Preis­gren­ze einge­hal­ten, können westli­che Reede­rei­en mit ihren Schif­fen weiter russi­sches Öl nach Indien, China oder in andere Länder bringen. Diesel­be Regelung soll für Dienst­leis­tun­gen wie Versi­che­run­gen, techni­sche Hilfe sowie Finan­zie­rungs- und Vermitt­lungs­diens­te gelten. Die G7-Staaten und Austra­li­en tragen den Ölpreis­de­ckel mit.

Wird die Rechnung aufgehen?

Das ist nicht mit Sicher­heit zu sagen. Die nun festge­setz­te Obergren­ze von 60 Dollar je Barrel liegt unter dem jüngs­ten Markt­preis von 69 Dollar für russi­sches Öl. Nach Angaben von Estlands Regie­rungs­chefin Kaja Kallas könnte jeder Dollar weniger pro Barrel die russi­schen Einnah­men aus dem Ölver­kauf um zwei Milli­ar­den Dollar (1,9 Mrd Euro) pro Jahr drücken.

Russland sagt, man werde kein Öl an Länder liefern, die den Preis­de­ckel akzep­tie­ren. Hielte Moskau das durch, könnte es zu einer Verknap­pung und damit steigen­den Preisen führen. «Die EU gefähr­det ihre eigene Energie­si­cher­heit», sagte der russi­sche Außen­po­li­ti­ker Leonid Sluzki laut Staats­agen­tur Tass.

Aber die Grenze wurde nun so nah am Markt­preis festge­setzt, dass sich für Russland Expor­te trotz­dem lohnen. Das westli­che Kalkül: Der Kreml werde auf die Einnah­men aus Expor­ten an Dritt­staa­ten nicht verzich­ten können. Wichtig wird, wie sich etwa China, Indien oder Ägypten verhal­ten, die derzeit viel russi­sches Erdöl kaufen.

Werden Heizöl und Diesel mit dem Deckel billiger?

Auch das ist hängt von der Reakti­on Russlands und der Weltmärk­te ab. Grund­sätz­lich entwi­ckeln sich der Heizöl­preis und der inter­na­tio­na­le Preis für Rohöl in diesel­be Richtung, wenn auch mit etwas Zeitver­zug. Doch wirken auch andere Fakto­ren, wie Konjunk­tur, Nachfra­ge, Steuern und Abgaben sowie Trans­port- und Lager­hal­tungs­kos­ten. Zum Sprit­preis sagt ADAC-Kraft­stoff­markt­ex­per­te Chris­ti­an Laberer: «Letzt­lich kommt es darauf an, ob der Deckel die Ölprei­se drückt oder im Gegen­teil zum Steigen bringt.»

Und wie wird sich das Öl-Embar­go auswirken?

Kriti­ker warnen, dass Verbrau­cher den deutschen Verzicht auf russi­sches Pipeline-Öl ab 1. Januar an der Zapfsäu­le zu spüren bekom­men und das vor allem in Ostdeutsch­land. Hinter­grund ist die beson­de­re Lage in der PCK-Raffi­ne­rie im branden­bur­gi­schen Schwedt. Das Werk mit 1200 Mitar­bei­tern verar­bei­tet seit Jahrzehn­ten russi­sches Öl aus der Drusch­ba und versorgt damit weite Teile Mecklen­burg-Vorpom­merns, Branden­burgs und die Haupt­stadt Berlin, einschließ­lich des Flugha­fens BER. Und noch immer ist nicht klar, woher künftig das Öl zur vollen Auslas­tung des PCK kommen soll. Das liegt auch daran, dass die Mehrheits­eig­ner — zwei Töchter des russi­schen Staats­kon­zerns Rosneft — lange kein Inter­es­se an einer Abkehr vom russi­schen Öl zeigten. Seit Mitte Septem­ber stehen sie unter Treuhand­kon­trol­le des Bundes. Die Regie­rung sucht sehr angestrengt alter­na­ti­ve Ölquel­len für Schwedt.

Welche Optio­nen gibt es für das PCK?

Bis zu 55 Prozent des Bedarfs im PCK sollen über Tanker nach Rostock und von dort über eine bestehen­de Pipeline nach Schwedt gebracht werden. Mehr schafft die Leitung derzeit nicht. Deshalb verfolgt die Bundes­re­gie­rung zwei weite­re Möglich­kei­ten: Kasachi­sches Öl könnte über die Drusch­ba gelie­fert werden. Und zusätz­li­ches Tanker­öl könnte über den polni­schen Hafen Danzig kommen. Über diesen versorgt sich künftig auch die ostdeut­sche Raffi­ne­rie in Leuna. Deren franzö­si­scher Besit­zer Total hatte schon im Frühjahr entschie­den, ab Jahres­en­de kein russi­sches Öl mehr zu kaufen, und will dies nach jüngs­ten Angaben auch durchziehen.

Beim PCK hatte Polen wegen der Rosneft-Betei­li­gung lange Vorbe­hal­te. Nach zähen Verhand­lun­gen verkün­de­te Wirtschafts­mi­nis­ter Robert Habeck (Grüne) am Donners­tag dann einen Durch­bruch: Polen sagte grund­sätz­lich zu, dass künftig auch Schwedt über Danzig Öl bekom­men könnte. Die Menge blieb jedoch offen. Habecks Staats­se­kre­tär Micha­el Kellner reist deshalb an diesem Montag für «vertief­te Gesprä­che» nach Polen.

Von Ansgar Haase und Verena Schmitt-Rosch­mann, dpa