WIEN (dpa) — Während die EU ein Embar­go gegen russi­sches Öl plant, versucht die Opec, den Ukrai­ne-Krieg in ihrer Kommu­ni­ka­ti­on zu vermei­den. Das Embar­go dürfte vorerst nichts an dieser Dynamik ändern, glauben Experten.

Die von Saudi-Arabi­en und Russland angeführ­te Ölalli­anz Opec+ berät heute über ihre künfti­ge Förder­stra­te­gie. Am Tag vor der monat­li­chen Online-Sitzung der Gruppie­rung präsen­tier­te die EU-Kommis­si­on ihren geplan­ten Import­stopp für russi­sches Öl, der bis Jahres­en­de umgesetzt werden soll.

Die Opec+ wird sich davon laut Exper­ten jedoch kaum erschüt­tern lassen.

Ändert das europäi­sche Öl-Embar­go die Strate­gie der Opec+?

Dafür gibt es keine Anzei­chen. Nach starken Produk­ti­ons­kür­zun­gen zu Anfang der Corona-Pande­mie hat die Allianz ihre Tages­pro­duk­ti­ons­zie­le in den vergan­ge­nen Monaten schritt­wei­se um rund 400.000 Barrel angeho­ben (1 Barrel = 159 Liter). Die Zeichen stehen auf Fortset­zung dieser vorsich­ti­gen Politik auch im Juni.

Wirken sich die Sanktio­nen auf die Dynamik inner­halb der Gruppe aus?

Die Organi­sa­ti­on erdöl­ex­por­tie­ren­der Länder (Opec) und ihre von Russland angeführ­ten Bündnis­part­ner stehen trotz des russi­schen Angriffs auf die Ukrai­ne Seite an Seite. Die Opec spricht den Krieg nicht direkt an und verwen­det statt­des­sen Bezeich­nun­gen wie «geopo­li­ti­sche Spannun­gen in Osteuropa».

«Man will Russland nicht verär­gern», sagt Analyst Giovan­ni Stauno­vo von der Schwei­zer Bank USB. Nachdem Russland seine Expor­te im April erhöht statt gesenkt habe, bestehe in der Allianz auch kein Inter­es­se, Förder­zie­le offizi­ell mehr als geplant anzuhe­ben, um Sanktio­nen auszugleichen.

Wohin kann Russland künftig sein Öl verkaufen?

Vor allem nach Asien. Indien kaufte schon zuletzt mehr günsti­ges russi­sches Öl aus Russland, mit dem die südasia­ti­sche Wirtschafts­macht schon lange gute Bezie­hun­gen pflegt. Auch China, das sich in der Ukrai­ne-Frage nicht gegen Moskau stellt, kommt als Abneh­mer in Frage.

Aller­dings wird die Nachfra­ge der chine­si­schen Indus­trie noch durch die stren­gen Corona-Maßnah­men Pekings gedämpft. Laut Edoar­do Campa­nella von der Unicre­dit Bank in Mailand gibt es auch Anzei­chen, dass russi­sches Öl auf großen Schif­fen auf See mit Öl aus anderen Ländern vermischt wird. So könne die Herkunft verschlei­ert und das Embar­go umgan­gen werden.

Welchen Stellen­wert hatte russi­sches Öl bislang in der EU?

Vom Gesamt­wert der Ölimpor­te der Europäi­schen Union entfiel im Vorjahr ein knappes Viertel auf Russland. Die Antei­le aller anderen Liefer­län­der blieben laut EU-Statis­tik jeweils unter 10 Prozent.

Welche Länder könnten künftig mehr nach Europa liefern?

«Prinzi­pi­ell könnten die USA die Ölexpor­te noch auswei­ten», sagte Carsten Fritsch von der Commerz­bank. Schon vor der Bekannt­ga­be der Sankti­ons­plä­ne kam Öl aus strate­gi­schen US-Reser­ven nach Europa. Damit auch die Produ­zen­ten in den Verei­nig­ten Staaten mehr Öl für Abneh­mer jenseits des Atlan­tiks pumpen, brauche es jedoch staat­li­che Anrei­ze wie etwa Förder­ge­neh­mi­gun­gen, sagte Fritsch. Außer­dem herrsche in der US-Ölindus­trie Arbeitskräftemangel.

Aus dem Kreis der Opec-Staaten könnte der Iran künftig an die EU liefern — aber erst, wenn die auf der Kippe stehen­den Atomver­hand­lun­gen doch noch Erfolg haben. Denn dann würde Washing­ton sein Embar­go auf irani­sches Öl aufhe­ben. Zudem könnten Golfstaa­ten wie Saudi-Arabi­en und die Verei­nig­ten Arabi­schen Emira­te etwas mehr exportieren.

Bedeu­tet das auch steigen­de Preise für Verbraucher?

Analys­ten erwar­ten zumin­dest ein weiter­hin hohes Preis­ni­veau für Rohöl und Produk­te wie Benzin oder Diesel. Denn wenn andere Länder statt Russland nach Europa liefern, steht Abneh­mern in anderen Regio­nen weniger zur Verfü­gung. «Es ist nicht so, dass es mehr Öl auf dem Markt gibt», sagt Stauno­vo. Durch die hohen Preise würde die Kaufkraft in Europa beeinträchtigt.

Laut dem Commerz­bank-Ökonom Bernd Weiden­stei­ner haben EU-Länder laut dem Sankti­ons­plan zwar genügend Zeit, um sich andere Ölquel­len zu sichern, doch er sieht ein anderes Risiko, das sich negativ auf Energie­prei­se auswir­ken könnte: Russland könnte auf das Öl-Embar­go mit einem Gas-Liefer­stopp nach Europa reagie­ren. «Das ist viel schwe­rer zu erset­zen», sagte er.