STUTTGART (dpa/lsw) — In baden-württem­ber­gi­schen Kitas fehlen weiter­hin in drasti­schem Ausmaß Fachkräf­te. Die Pande­mie hat die Lage noch verschärft und die Progno­sen fallen düster aus. Die meisten Kita-Beschäf­tig­ten sind dennoch gerne an vorders­ter Front zwischen den Bauklötzen.

Für den direk­ten Draht in eine baden-württem­ber­gi­sche Kita muss Gerhard Brand bald nur noch seine Tochter anrufen. Der Nachwuchs des Verbands­chefs Bildung und Erzie­hung (VBE) lässt sich grad ausbil­den und wird bald in einer der 9300 baden-württem­ber­gi­schen Kinder­gär­ten und Krippen Jungen und Mädchen betreu­en. Es wird eine Arbeit im Zeichen von Perso­nal­man­gel und Überstun­den, unter Druck und mit vergleichs­wei­se gerin­gem Gehalt, wenn man einer neuen Studie folgt, die die Gewerk­schaft VBE am Mittwoch zum Deutschen Kitalei­tungs­kon­gress (DKLK) in Stutt­gart vorge­stellt hat.

Demnach musste fast jede Krippe und jeder Kinder­gar­ten im Südwes­ten (88 Prozent) in den vergan­ge­nen Monaten zeitwei­se auf so viel Perso­nal verzich­ten, dass die sogenann­te Aufsichts­pflicht nicht mehr garan­tiert war. Bei etwa jeder fünften Kita (18 Prozent) war der Mangel nach einer neuen Studie biswei­len sogar gravie­rend. «Der Perso­nal­man­gel verschärft sich weiter, teilwei­se mit drama­ti­schen Folgen für die Kinder und pädago­gi­schen Fachkräf­te», warnte VBE-Landes­chef Brand. Das sähen auch zwei Drittel der rund 2220 Kita-Leitun­gen so, die sich an der Online-Umfra­ge betei­ligt hätten. Überstun­den und unsiche­re Vorga­ben in der Corona-Pande­mie hätten die Belas­tung noch gesteigert.

Nach Ansicht von fast der Hälfte (48 Prozent) der Befrag­ten stell­ten Träger Perso­nal ein, das von der Quali­fi­ka­ti­on nur bedingt auf die Stellen passt und das daher auch vor Jahren gar nicht einge­stellt worden wäre. Wegen der hohen Arbeits­be­las­tung fielen viele Fachkräf­te aus, sagte Brand, die Zahl der Krank­schrei­bun­gen nehme zu. Auch die Gruppen­grö­ßen seien nicht überall kindge­recht. Der VBE forder­te einen deutli­chen Perso­nal­aus­bau, mehr Chancen für Querein­stei­ger, außer­dem müsse die Ausbil­dung für inter­es­sier­ten Nachwuchs attrak­ti­ver und die Arbeit für die Kita-Leitun­gen erleich­tert werden.

Denn mehr als 40 Prozent der Kita-Leitun­gen benöti­gen laut Studie über 60 Prozent ihrer Arbeits­zeit für Führungs­auf­ga­ben, aber nur bei jeder fünften von ihnen sei das auch vertrag­lich so festge­hal­ten. «Wir benöti­gen dringend Führungs­kräf­te, laufen aber Gefahr, dass immer weniger Fachkräf­te bereit sind, unter den bestehen­den Bedin­gun­gen eine Leitungs­ver­ant­wor­tung zu überneh­men», sagte Brand.

Auch die baden-württem­ber­gi­sche Wirtschaft steckt den Finger in die Wunde: «Gerade Inves­ti­tio­nen in die frühkind­li­che Bildung haben eine enorme volks­wirt­schaft­li­che und gesell­schaft­li­che Rendi­te», sagte Stefan Küpper, der Geschäfts­füh­rer Politik, Bildung und Arbeits­markt des Dachver­bands Unter­neh­mer Baden-Württem­berg (UBW). Die Studie sei «ein erneu­tes Alarm­si­gnal, das den dringen­den politi­schen Handlungs­be­darf aufzeigt».

Dort ist die Lage durch­aus bekannt. Die Studie zeige, dass das Land noch Handlungs­be­darf habe, sagte Volker Schebes­ta, Staats­se­kre­tär im Kultus­mi­nis­te­ri­um. Der hohe Perso­nal­be­darf sei «ein Thema, das wir in Baden-Württem­berg mit Nachdruck angehen. Hier inves­tiert das Land bereits gezielt.» Seit 2008/2009 habe sich die Zahl der Schüle­rin­nen und Schüler, die eine Erzie­he­rin­nen- und Erzie­her­aus­bil­dung an einer Fachschu­le für Sozial­päd­ago­gik begin­nen, fast verdop­pelt. Aktuell werde außer­dem ein Direkt­ein­stieg an den Kitas geprüft, sagte Schebes­ta, in dessen Aufga­ben­be­reich im Kultus­mi­nis­te­ri­um die frühkind­li­che Bildung fällt.

In Baden-Württem­berg werden nach Angaben des Statis­ti­schen Landes­amts rund 454.000 Kinder in rund 9300 Einrich­tun­gen betreut. Zwei Drittel der betreu­ten Kinder waren im vergan­ge­nen Jahr im klassi­schen Kinder­gar­ten­al­ter von drei bis unter sechs Jahren. Die Zahl der Beschäf­tig­ten lag im März 2020 bei etwa 112.500, davon arbei­te­ten rund 100.000 als pädago­gi­sches Perso­nal. Neben dem Land ist auch die Kirche ein bedeu­ten­der Träger von Kitas.

Brand spricht zwar von einem «düste­ren Bild der Perso­nal­si­tua­ti­on» in der Branche, seinen eigenen Kindern würde er aber vom Einstieg nicht abraten. «Ja, ich würde es meinen Kindern empfeh­len, meine Tochter macht es ja schon», sagte er. Und auch die Kita-Leite­rin­nen und ‑leiter schei­nen trotz der Umstän­de noch nicht genug zu haben. Laut Studie arbei­ten neun von zehn gerne in der Kita. «Das sind alles Überzeu­gungs­tä­ter», sagte Brand.

Von Martin Oversohl, dpa