MANNHEIM (dpa) — Pferde sind Flucht­tie­re. Für ihren Einsatz bei der berit­te­nen Polizei müssen sie deshalb Gelas­sen­heit lernen, auch wenn es um sie herum knallt, rasselt oder knistert. Nicht alle finden diese Ausbil­dung der Tiere richtig.

Lester ist ein cooler 15-Jähri­ger: Ihn irritie­ren weder kläffen­de Hunde, laute Sirenen oder wehen­de Fahnen. Neugie­rig, lernbe­reit, mutig — der große Braune ist ein Aktiv­pos­ten in der Reiter­staf­fel das Landes Baden-Württemberg.

Das Warmblut-Pferd mit der Stern-Blesse steht bei Einsät­zen an vorders­ter Front und verhin­dert, dass unerfah­re­ne Tiere nervös werden und ausscheren.

Das Pferd denkt mit

Stamm­rei­ter Ralf Münzer schätzt an seinem Pferd, dass es einen eigenen Kopf hat, mitdenkt und tempe­ra­ment­voll ist. Das Tier sei aber auch sehr selbst­be­wusst und eigen­bröt­le­risch, sagt Münzer, einer der 15 Mitglie­der der Mannhei­mer Reiter­staf­fel. Anfangs habe der Wallach keinen Respekt vor Menschen gehabt. Nach etlichen Kämpfen zwischen Pferd und Reiter gehört er jetzt zu den «Verlass-Pferden». In ganz Deutsch­land hat die Polizei tieri­sche Unter­stüt­zung, vor allem im Westen.

Stuten gibt es bei den Reiter­staf­feln nicht. Auf dem Hof im ländli­chen Weiler Mannheim-Straßen­heim erklärt der Leiter der Staffel, Jens Grimm: «Weibli­che Tiere würden Unruhe verur­sa­chen — dann werden die Walla­che doch wieder zu kleinen Hengs­ten.» Für die Staffeln in Mannheim und Stutt­gart sind um die 30 Pferde im Dienst.

Viele Einsät­ze während der Pandemie

Die Pande­mie hatte auch auf sie Einfluss: Sie rückten bei einem Großteil ihrer Einsät­ze aus, um die Demos gegen die Corona-Politik oder das Einhal­ten der Corona-Verord­nung zu überwa­chen. Im Jahr 2020 (Januar bis Novem­ber) hatten etwa im Südwes­ten rund jeder zweite der insge­samt 366 Einsät­ze Bezug zur Pande­mie. Vom Pferde­rü­cken aus haben die Beamten den Überblick. Gerade bei unerlaub­ten Versamm­lun­gen werden Pferde zur Räumung einge­setzt. Mit ihren 750 Kilo können sie Menschen wegschub­sen, ohne sie zu verletzen.

Auch bei Fußball­spie­len und der Vermiss­ten­su­che leisten Pferde gute Diens­te. Die Beamten hoch zu Ross durch­lau­fen eine allge­mei­ne Polizei­aus­bil­dung, bevor sie zur Reiter­staf­fel kommen. In der Hambur­ger Innen­be­hör­de etwa heißt es: «Die Reiter­staf­feln können für Respekt sorgen, ohne martia­lisch zu wirken.» In der Hanse­stadt sind berit­te­ne Polizis­ten heute ein selbst­ver­ständ­li­cher Anblick; 2010 war nach 35 Jahren wieder eine Reiter­staf­fel einge­führt — und die Fahrrad­staf­fel abgeschafft worden.

Vor allem in Bayern wird die Arbeit der Berit­te­nen geschätzt. Derzeit gibt es 59 Dienst­pfer­de in München, Rosen­heim und Nürnberg — 100 Pferde sollen es bis Ende der Legis­la­tur­pe­ri­ode werden. Patin der Staffeln ist keine Gerin­ge­re als Karin Baumül­ler-Söder, die Frau des bayeri­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Markus Söder (CSU). In Nieder­sach­sen gehören drei Dutzend Beamte und fast ebenso viele Pferde zur berit­te­nen Polizei. Auch in Hessen, Sachsen und bei der Bundes­po­li­zei sind Pferde im Einsatz.

Baden-Württem­bergs Innen­mi­nis­ter Thomas Strobl (CDU) lobt die hohe Mobili­tät, Flexi­bi­li­tät und Durch­set­zungs­fä­hig­keit der Staffeln. Wie sein Amtskol­le­ge Herbert Reul (CDU) aus Nordrhein-Westfa­len, wo 31 Pferde Dienst tun, meint er: «Die Pferde sind Sympa­thie­trä­ger der Polizei.» Auch der Mannhei­mer Staffel-Chef Grimm ist von der deeska­lie­ren­den Wirkung der Pferde überzeugt. Rowdys würden beim Anblick der Tiere zahm und fragten: «Darf ich mal strei­cheln ?». Dann antwor­tet der 52-Jähri­ge humor­voll: «Aber nur das Pferd.» Weniger amüsant dürfte für die Reiter die Kritik von Tierschüt­zern sein.

Kritik von Tierschützern

Der Deutsche Tierschutz­bund mahnt zur Rücksicht auf die natur­ge­ge­be­nen Merkma­le der Tiere. «Pferde — auch Polizei­pfer­de — sind Flucht­tie­re, die sehr hoch entwi­ckel­te Sinnes­or­ga­ne haben und die in Situa­tio­nen, die ihnen Angst machen, versu­chen zu fliehen», erläu­tert Hester Pomme­re­ning vom Tierschutz­bund. Sie müssten jahre­lang ausge­bil­det werden, um sie an norma­ler­wei­se Angst einflö­ßen­de Ereig­nis­se zu gewöh­nen. Der Einsatz in Innen­städ­ten sollte Ausnah­me sein, bei lauten Veran­stal­tun­gen ganz unter­sagt werden. Denn Pferde hören nach Angaben des Verbands im Ultraschallbereich.

Grimm kontert: «Der Instinkt bleibt bestehen — wir bringen den Tieren nur bei, dass es keinen Grund gibt, zu fliehen.» Mit gutem Zureden und reiter­li­chen Hilfen werde den Tieren beigebracht, dass wehen­de Fahnen und laute Trommeln ihnen nicht schaden.

Im wöchent­li­chen Training wird Gelas­sen­heit gegen solche Störfak­to­ren immer wieder geübt. Dort stößt diesmal auch Lester an seine Grenzen. Er tritt auf der Stelle, als ein recht­ecki­ger Pappkar­ton vor ihm auftaucht. Das Objekt ist ihm nicht geheu­er, und er lässt sich nur schwer dazu bringen, dagegen zu laufen. Dass er dann über den nachge­ben­den Karton steigen soll, passt dem Wallach gar nicht. Doch sein Reiter übt solan­ge mit ihm, dass er ohne Zögern den ungewohn­ten Unter­grund überwin­det. Nach mehre­ren Stunden Training lässt Münzer die Zügel locker. Lester hat jetzt Feier­abend und fordert schar­rend sein Futter ein.

Von Julia Giertz (Text) und Uwe Anspach (Bilder), dpa