Name, Telefon­num­mer, Adres­se — solche Angaben sollen in Corona-Zeiten beim Café- oder Restau­rant-Besuch hinter­legt werden. Gesund­heits­äm­ter brauchen die Daten zur Nachver­fol­gung von mögli­chen Infek­ti­ons­ket­ten. Aber auch die Polizei hat vieler­orts Inter­es­se daran.

Berlin (dpa) – Sogenann­te Corona-Gäste­lis­ten, die in Restau­rants und Cafés auslie­gen, dienen zur Nachver­fol­gung von Infek­ti­ons­ket­ten — in Einzel­fäl­len greift aber auch die Polizei auf diese Daten zu, um Straf­ta­ten zu verfolgen.

In Bayern, Hamburg und Rhein­land-Pfalz gab es solche Zugrif­fe bereits, in anderen Bundes­län­dern sind solche Fälle bisher nicht bekannt oder gar nicht zuläs­sig, wie eine Umfra­ge der Deutschen Presse-Agentur bei den Bundes­län­dern ergab.

Um die Nutzung der Daten ist eine Diskus­si­on entbrannt. Denn eigent­lich sind die Angaben vorran­gig für örtli­che Gesund­heits­äm­ter bestimmt und eine wichti­ge Recher­che­quel­le im Fall eines Corona-Ausbruchs. Und meistens wird auf den Formu­la­ren Vertrau­lich­keit und eine Löschung nach vier Wochen zugesi­chert. Sind Zugrif­fe der Polizei da überhaupt zulässig?

BESCHLAGNAHME ZUR STRAFVERFOLGUNG MÖGLICH 

Die Polizei­en oder Innen­mi­nis­te­ri­en in Mecklen­burg-Vorpom­mern, Hessen, Berlin, Branden­burg, Nieder­sach­sen und Nordrhein-Westfa­len melde­ten, dass ihnen bislang keine Zugrif­fe auf Corona-Gäste­lis­ten bekannt seien. Die Behör­den wiesen aber darauf hin, dass solche Zugrif­fe im Rahmen von Straf­ver­fah­ren unter Wahrung der Verhält­nis­mä­ßig­keit recht­lich durch­aus erlaubt seien.

Grund­la­ge dafür ist die bundes­weit gelten­de Straf­pro­zess­ord­nung. Demnach kann ein Richter anord­nen, Gegen­stän­de zu beschlag­nah­men — das könnten auch Corona-Gäste­lis­ten sein, wenn sie für Ermitt­lun­gen von Bedeu­tun­gen sind. Ist Gefahr im Verzug, kann auch ein Staats­an­walt dies anord­nen. Auch wenn die Daten grund­sätz­lich nur für den eigent­li­chen Zweck genutzt werden dürften, sei für die Aufklä­rung von Straf­ta­ten eine «Zweck­än­de­rung» möglich, heißt es etwa bei der bayeri­schen Polizei.

ZUGRIFFE IN RHEINLAND-PFALZ, HAMBURG, BAYERN UND BREMEN

In Rhein­land-Pfalz regis­trier­te das Innen­mi­nis­te­ri­um bislang rund ein Dutzend Fälle, in denen entspre­chen­de Listen im Zuge straf­recht­li­cher Ermitt­lun­gen verwen­det wurden. Dabei sei es überwie­gend um Gewalt- und Sexual­de­lik­te gegan­gen, sagte eine Spreche­rin. In Hamburg sind bislang fünf Fälle bekannt, in denen die Polizei für Ermitt­lun­gen auf Gäste­da­ten zurück­ge­grif­fen hatte, in Bayern sind es mindes­tens zehn. In Bremen spricht die Innen­be­hör­de von Zugrif­fen in Einzel­fäl­len. Dabei ging es jeweils um die Aufklä­rung von Straf­ta­ten, unter anderem ein Sexual­de­likt und eine gefähr­li­che Körperverletzung.

Die rhein­land-pfälzi­sche Minis­ter­prä­si­den­tin Malu Dreyer (SPD) und Bayerns Innen­mi­nis­ter Joachim Herrmann (CSU) vertei­dig­ten zuletzt diese Vorge­hens­wei­se. «Es handelt sich um schwe­re Straf­ta­ten, bei denen das zur Ermitt­lung des Täters und für die Aufklä­rung der Straf­tat sinnvoll und richtig ist», sagte Herrmann am Donners­tag im ARD-«Mittagsmagazin».

BADEN-WÜRTTEMBERG BETONT ZWECKBINDUNG

Eine bundes­weit einheit­li­che Regis­trie­rungs­pflicht für Gäste in Restau­rants und Cafés gibt es nicht. In Sachsen etwa ist sie nur unter bestimm­ten Voraus­set­zun­gen vorge­schrie­ben, wenn Mindest­ab­stän­de nicht einge­hal­ten werden können. Viele Länder verlan­gen solche Listen aber — um Corona-Infek­ti­ons­ket­ten nachver­fol­gen zu können.

Baden-Württem­berg etwa beruft sich auf diese Zielset­zung. Aus der Corona-Verord­nung «ergibt sich eine ausdrück­li­che und aus unserer Sicht eindeu­ti­ge Zweck­bin­dung», sagte ein Sprecher des Innen­mi­nis­te­ri­ums. Innen­mi­nis­ter Thomas Strobl (CDU) machte in den Zeitun­gen der Funke-Medien­grup­pe deutlich: «Eine Verwen­dung etwa von der Polizei, um Straf­ta­ten zu verfol­gen, ist unzulässig.»

Bislang keine Zugrif­fe auf Corona-Gäste­lis­ten bei straf­recht­li­chen Ermitt­lun­gen melde­ten die Innen­mi­nis­te­ri­en in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thürin­gen. Entspre­chen­de Abfra­gen habe es noch nicht gegeben, sagte etwa eine Minis­te­ri­ums­spre­che­rin in Erfurt. Möglich seien sie nur in begrün­de­ten Ausnahmen.

GASTSTÄTTENGEWERBE UND OPPOSITION KRITISCH 

Der Gaststät­ten­ver­band Dehoga hatte zuletzt von den Landes­re­gie­run­gen Klarheit gefor­dert, ob und wie die Polizei die Corona-Gäste­lis­ten auswer­tet. «Das ist hochgra­dig sensi­bel», sagte die Dehoga-Haupt­ge­schäfts­füh­re­rin Ingrid Hartges der «Rheini­schen Post».

Unter­stüt­zung kam dazu auch von der FDP-Frakti­on im Bundes­tag. «Was unsere Bürge­rin­nen und Bürger zurecht erwar­ten, ist, dass ihre Daten nicht einfach zweck­ent­frem­det werden. Alles andere schadet dem Vertrau­en und der Akzep­tanz, die aber Grund­vor­aus­set­zun­gen sind», sagte der stell­ver­tre­ten­de Vorsit­zen­de Stephan Thomae. Die Polizei­be­hör­den sollten daher behut­sam und zurück­hal­tend agieren.

Eren Basar, Mitglied des Deutschen Anwalt­ver­eins im Ausschuss für Gefah­ren­ab­wehr­recht, forder­te, den Daten­schutz von Bürge­rin­nen und Bürgern auch in der Corona-Pande­mie zu wahren. «Mit den Corona-Gäste­lis­ten werden weitflä­chig Daten gesam­melt, was wir unter norma­len Umstän­den nie billi­gen würden», sagte Basar. Zwar gebe es mit der Pande­mie eine Sonder­si­tua­ti­on. «Ich glaube aber, dass wir eine gesetz­li­che Regelung brauchen, die einen uferlo­sen Zugriff auf diese Daten verbie­tet.» Basar schlägt daher ein gesetz­li­ches Beweis­ver­wer­tungs­ver­bot für die Gäste­lis­ten vor. Nur so werde gewähr­leis­tet, dass es nicht so falschen Angaben kommt und die Listen ihren eigent­li­chen Zweck erfüllen.

Vertre­ter der Polizei­ge­werk­schaf­ten vertei­dig­ten die Praxis. «Es gehört zu den Kernauf­ga­ben der Polizei, Gefah­ren abzuweh­ren und Straf­ta­ten zu verfol­gen», sagte der stell­ver­tre­ten­de Vorsit­zen­de der Gewerk­schaft der Polizei, Jörg Radek. «Dazu kann auch — je nach landes­recht­li­cher Konkre­ti­sie­rung der Regelun­gen — die Möglich­keit gehören, Dokumen­te einzu­se­hen, wie etwa solche Corona-Gästelisten.»

Der Vorsit­zen­de der Deutschen Polizei­ge­werk­schaft, Rainer Wendt, beton­te eine stren­ge Prüfung der Verhält­nis­mä­ßig­keit. Aber: «Wenn der Verdacht einer Straf­tat vorliegt und andere Ermitt­lungs­an­sät­ze nicht erkenn­bar sind, muss es die Möglich­keit geben, in solche Gäste­lis­ten einzu­se­hen und die Daten auszu­wer­ten, das sehen die jewei­li­gen Geset­ze auch vor.»