DRESDEN/FREIBURG (dpa) — Die Infek­ti­on ist überstan­den, doch das Leiden geht weiter: Viele Menschen haben auch Monate nach einer Covid-19-Erkran­kung noch gesund­heit­li­che Proble­me. Daten für Deutsch­land liefert eine Studie unter Leitung Dresd­ner Forscher.

Weltweit berich­ten Millio­nen Menschen von Spätfol­gen einer Corona-Infek­ti­on und schil­dern unter­schied­lichs­te Sympto­me. Weitge­hend unklar war bisher, wie stark Kinder und Jugend­li­che von Post Covid betrof­fen sind.

Eine im Fachblatt «PLOS Medici­ne» veröf­fent­lich­te Studie unter Leitung der Unikli­nik Dresden zeigt nun, dass auch sie teilwei­se noch über Monate mit Beschwer­den zu kämpfen haben — aller­dings deutlich weniger häufig als Erwach­se­ne. Die Ursachen für das Post-Covid-Syndrom bleiben indes weiter unklar.

Als Long Covid definie­ren die deutschen Patien­ten­leit­li­ni­en Beschwer­den, die länger als vier Wochen nach der Corona-Infek­ti­on bestehen, als Unter­form Post Covid dauern sie länger als zwölf Wochen an.

Auch Infor­ma­tio­nen von Kindern und Jugend­li­chen untersucht

Für die Studie nutzten die Wissen­schaft­ler und Wissen­schaft­le­rin­nen Daten sechs deutscher Kranken­kas­sen, um zu bestim­men, wie oft bestimm­te Langzeit-Sympto­me bei durch einen PCR-Test bestä­tig­ten Covid-19-Fällen auftra­ten. Insge­samt umfass­te der Daten­satz der Studie fast die Hälfte der deutschen Bevöl­ke­rung. Infor­ma­tio­nen von 11.950 Kindern und Jugend­li­chen bis 17 Jahren sowie von 145.184 Erwach­se­nen (bis 49 Jahre) mit einer Covid-19-Erkran­kung im Jahr 2020 wurden ausge­wer­tet. Darüber hinaus wählten die Forschen­den für jede Person aus der unter­such­ten Kohor­te fünf entspre­chen­de Kontroll­per­so­nen ohne gemel­de­te Corona-Infek­ti­on aus. Dann wurde vergli­chen, wie viel häufi­ger bestimm­te Sympto­me mindes­tens drei Monate nach der Infek­ti­on bei den Covid-19-Betrof­fe­nen auftraten.

Das Ergeb­nis: Insge­samt war die Wahrschein­lich­keit, dass während der ersten Pande­mie­wel­le an Covid-19 erkrank­te Kinder und Jugend­li­che drei Monate oder länger nach der Infek­ti­on dokumen­tier­te Gesund­heits­pro­ble­me hatten, um 30 Prozent höher als in der Kontroll­ko­hor­te. Am häufigs­ten klagten die Heran­wach­sen­den über Unwohl­sein und Erschöp­fung, Husten, Schmer­zen im Hals- und Brust­be­reich, aber auch Anpas­sungs­stö­run­gen. Bei den Erwach­se­nen war die Rate derje­ni­gen, die ein Viertel­jahr nach der Infek­ti­on ärztli­che Diagno­sen aufgrund von physi­schen und psychi­schen Sympto­men erhiel­ten, um 41 Prozent höher als bei den Kindern und Jugendlichen.

Langfris­ti­ge Nachfra­ge nach Gesundheitsleistungen

Bei ihnen wurden am häufigs­ten langan­hal­ten­de Geruchs- und Geschmacks­stö­run­gen, Fieber, Atemnot (Dyspnoe) und Husten in den Kranken­ak­ten vermerkt. Die Autoren der Studie, zu denen auch Lothar Wieler, Präsi­dent des Robert-Koch-Insti­tuts (RKI), gehört, fassen zusam­men: «Wir fanden heraus, dass die Covid-19-Diagno­se mit einer höheren langfris­ti­gen Nachfra­ge nach Gesund­heits­leis­tun­gen verbun­den war, was sich in ambulan­ten und statio­nä­ren Diagno­sen einer breiten Palet­te von Ergeb­nis­sen mehr als drei Monate nach einer bestä­tig­ten Sars-CoV-2-Infek­ti­on wider­spie­gel­te. Kinder und Jugend­li­che schei­nen zwar weniger betrof­fen zu sein als Erwach­se­ne, aber diese Ergeb­nis­se sind für alle Alters­grup­pen statis­tisch signifikant.»

Gerade die Berück­sich­ti­gung von Heran­wach­sen­den mit einer großen Kontroll­grup­pe sowie der relativ lange Beobach­tungs­zeit­raum machen für Winfried Kern von der Klinik für Innere Medizin des Univer­si­täts­kli­ni­kums Freiburg die Stärken der Dresd­ner Arbeit aus. «Die Studie kann sehr gut beschrei­ben, wie viele Menschen nach einer Covid-Infek­ti­on wegen Beschwer­den häufi­ger zum Arzt gehen als die Kontroll­ko­hor­te», sagte er in einer unabhän­gi­gen Einschät­zung der Deutschen Presse-Agentur. Aller­dings bedeu­te das Unter­su­chungs­de­sign auch, dass eben nur die über einen Arztkon­takt ermit­tel­ten Beschwer­de­kom­ple­xe erfasst worden seien: «Wahrschein­lich sind Müdig­keit, Erschöpf­bar­keit sowie Gedächt­nis­pro­ble­me und Konzen­tra­ti­ons­schwä­chen deswe­gen in dieser Studie nicht so dominant.»

Nach Monaten noch erheb­li­che Langzeitfolgen

Darüber hinaus stelle die Inanspruch­nah­me medizi­ni­scher Leistun­gen keinen exakten Indika­tor für Einschrän­kun­gen in der Alltags­funk­tio­na­li­tät dar, so Kern. Der Infek­tio­lo­ge hatte selbst eine Post-Covid-Studie in Baden-Württem­berg gelei­tet, deren Ergeb­nis­se kürzlich im «British Medical Journal» veröf­fent­licht wurden. Diese zeigte, dass etwa ein Viertel der 12.000 Studi­en­teil­neh­mer im Alter zwischen 18 und 65 Jahren sechs bis zwölf Monate nach einer Corona-Infek­ti­on unter erheb­li­chen Langzeit­fol­gen leidet — und dadurch stark in Lebens­qua­li­tät und Arbeits­fä­hig­keit einge­schränkt ist. Aktuell vergleicht Kerns Forschungs­grup­pe in einer Nachun­ter­su­chung, inwie­fern sich Corona-Erkrank­te mit und ohne Post-Covid-Sympto­ma­tik unter­schei­den, um so mögli­chen Biomar­kern auf die Spur zu kommen. Erste Studi­en legen hier nahe, dass bestimm­te Blutpro­te­ine, aber auch ein niedri­ger Cortisol­wert messba­re Parame­ter sein könnten.

Eine Bestim­mung von Biomar­kern könnte zudem helfen, die Ursachen für die Covid-19-Langzeit­fol­gen zu erklä­ren. Dabei stehen laut Winfried Kern neben Durch­blu­tungs­stö­run­gen auch Schädi­gun­gen des Nerven­sys­tems in der Diskus­si­on. Gerie­te etwa das autono­me Nerven­sys­tem in Mitlei­den­schaft, das unter anderem Kreis­lauf und Blutdruck regulie­re, würde das Beschwer­den wie Erschöpf­bar­keit gut erklä­ren. «Hier ist aller­dings noch Grund­la­gen­for­schung nötig», betont der Infek­tio­lo­ge. Schon jetzt deute sich indes an, dass das Post-Covid-Risiko bei einer Omikron-Infek­ti­on gerin­ger sei.

Fragen wie diese werden kommen­de Woche beim ersten Kongress des neu gegrün­de­ten Ärzte- und Ärztin­nen­ver­bands Long Covid disku­tiert, der am 18. und 19. Novem­ber in Jena unter der Schirm­herr­schaft von Thürin­gens Minis­ter­prä­si­dent Bodo Ramelow (Die Linke) und Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach (SPD) statt­fin­det. Ein Thema werden dort auch mögli­che Thera­pie­for­men sein, bei denen aber ebenfalls noch große Forschungs­lü­cken klaffen, wie Exper­te Kern unter­streicht: «So lange man die genaue­ren Ursachen nicht kennt, bleiben Thera­pie­op­tio­nen experimentell.»

Von Alice Lanzke, dpa