KIEW (dpa) — Als erstes deutsches Regie­rungs­mit­glied macht sich Außen­mi­nis­te­rin Baerbock in der Ukrai­ne ein Bild von den Zerstö­run­gen durch Russlands Angriffs­krieg. Sie sichert dem Land breite Unter­stüt­zung zu.

Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock hat bei ihrem ersten Besuch in der Ukrai­ne seit Beginn des russi­schen Einmarschs breite Unter­stüt­zung bei der Aufklä­rung von Kriegs­ver­bre­chen zugesichert.

Es dürfe «keine Straf­lo­sig­keit für die von Russland began­ge­nen Kriegs­ver­bre­chen, für die Verschlep­pung, für die Mörder und Verge­wal­ti­ger geben», sagte sie bei einem Treffen mit ihrem ukrai­ni­schen Kolle­gen Dmytro Kuleba am Diens­tag in Kiew. «Deswe­gen werden wir die inter­na­tio­na­len Ermitt­lun­gen, allen voran die des Inter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hof, politisch, finan­zi­ell und mit deutschem Perso­nal unterstützen.»

In der Haupt­stadt Kiew eröff­ne­te Baerbock zudem die deutsche Botschaft wieder, die ihre Arbeit dort wegen Russlands Angriffs­krieg vorüber­ge­hend einge­stellt hatte. Baerbock, die als erstes deutsches Regie­rungs­mit­glied die Ukrai­ne nach Kriegs­be­ginn besuch­te, traf auch Präsi­dent Wolodym­yr Selenskyj.

Selen­skyj dankte Baerbock dafür, dass sich Deutsch­land solida­risch zeige mit dem ukrai­ni­schen Volk. Die Minis­te­rin wurde von ihrem nieder­län­di­schen Kolle­gen Wopke Hoeks­tra beglei­tet, der sich bestürzt zeigte über die Zerstö­run­gen durch Russlands Krieg unter anderem in den Voror­ten der Haupt­stadt Kiew. Auch Baerbock besuch­te die Orte Butscha und Irpin.

Ausbil­dung an der Panzer­hau­bit­ze 2000 beginnt

Baerbock infor­mier­te Selen­skyj außer­dem darüber, dass in wenigen Tagen mit der Ausbil­dung ukrai­ni­scher Solda­ten an der moder­nen Panzer­hau­bit­ze 2000 begon­nen werde, die Deutsch­land gemein­sam mit den Nieder­lan­den an die Ukrai­ne liefern werde. Sie ließ im Anschluss mitteil­ten, es habe ein «offenes, freund­li­ches Gespräch» mit Selen­skyj gegeben. Dabei sei es auch um den Wieder­auf­bau gegan­gen sowie um die Frage, «wie die Blocka­de der weltweit dringend benötig­ten Nahrungs­mit­tel­ex­por­te aus der Ukrai­ne gelöst werden kann». Die Ukrai­ne ist einer der größten Getrei­de­ex­por­teu­re der Welt, Russland hat aller­dings die für den Handel wichti­gen Häfen blockiert.

Baerbock reiste nach einer langen Diskus­si­on über Besuche deutscher Politi­ker in der Ukrai­ne als erste Vertre­te­rin der Bundes­re­gie­rung nach Kiew. Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) begrüß­te die Reisen von Baerbock (Grüne) und Bundes­tags­prä­si­den­tin Bärbel Bas (SPD). Bas war am Sonntag in der Ukrai­ne. «Nun, glaube ich, ist das eine gute Grund­la­ge auch für die ja unver­än­dert wichti­gen Zusam­men­ar­beits­be­zie­hun­gen, die wir haben.» Auf die Frage, ob er selbst in naher Zukunft nach Kiew reisen werde, antwor­te­te er nicht.

Baerbock sagte bei einer Presse­kon­fe­renz mit Kuleba, Deutsch­land werde den Kampf der Ukrai­ne um ihre Freiheit und den Frieden «unver­rück­bar» unter­stüt­zen. Gemein­sam mit deutschen Unter­neh­men werde daran gearbei­tet, dass die Ukrai­ne «hochmo­der­ne Syste­me bekom­men kann, um ihre Städte auch gegen zukünf­ti­ge Angrif­fe zu schüt­zen», sagte Baerbock. Sie beton­te: «Wir werden die europäi­sche, freie Ukrai­ne weiter unter­stüt­zen. Humani­tär, finan­zi­ell, wirtschaft­lich, techno­lo­gisch, politisch und in Energie­fra­gen.» Dies gelte auch langfris­tig, sagte sie mit Blick auf die Wieder­eröff­nung der Botschaft.

Ohne Energie des «Aggres­sors» Russland auskommen

Die Grünen-Politi­ke­rin erklär­te auch, dass Deutsch­land künftig komplett ohne Energie des «Aggres­sors» Russland auskom­men wolle. «Deshalb reduzie­ren wir mit aller Konse­quenz unsere Abhän­gig­keit von russi­scher Energie auf Null — und zwar für immer.» Deutsch­land ist bisher vor allem von russi­schem Gas abhän­gig. Die Ukrai­ne hatte immer wieder von Deutsch­land gefor­dert, ganz auf russi­sches Öl und Gas zu verzich­ten. Baerbock beton­te, dass es künftig keine Verstän­di­gung geben könne mit Russland über die Köpfe der Ukrai­ne hinweg.

Die Minis­te­rin unter­stütz­te zwar das Streben des angegrif­fe­nen Landes, in die EU aufge­nom­men zu werden, aller­dings warnte sie vor falschen Verspre­chun­gen. Es könne auf dem Weg zur EU-Vollmit­glied­schaft «keine Abkür­zung» geben. «Die Ukrai­ne ist ein fester Teil Europas», sagte sie. Ihre Freiheits­lie­be mache sie stark im Kampf gegen das «autokra­ti­sche Regime» des russi­schen Präsi­den­ten Wladi­mir Putin. Baerbock mahnte, der Krieg sei noch nicht vorbei. «Es kann eben an jedem Ort dieses Landes eine Rakete einschlagen.»

In den durch den russi­schen Krieg zerstör­ten Kiewer Voror­ten Butscha und Irpin zeigte sich Baerbock, die von schwer bewaff­ne­tem Sicher­heits­per­so­nal geschützt wurde und eine Split­ter­schutz­wes­te trug, erschüt­tert angesichts der Verbre­chen. Sie kündig­te an, dass sich Deutsch­land stärker einbrin­gen wolle beim Sammeln von Bewei­sen für die an der Zivil­be­völ­ke­rung verüb­ten Kriegs­ver­bre­chen. So sollten etwa deutsche Gerichts­me­di­zi­ner die Arbeit der ukrai­ni­schen Behör­den unterstützen.

Mit Blick auf die vielfach dokumen­tier­ten Fälle von Verge­wal­ti­gun­gen von Frauen nach dem russi­schen Einmarsch sollten auch Psycho­lo­gen bei der Aufar­bei­tung der Trauma­ta helfen. Unter­stüt­zung solle es außer­dem bei der Besei­ti­gung von Minen in Städten und Dörfern nach dem Abzug der russi­schen Truppen geben.

Bei einem Treffen mit Kiews Bürger­meis­ter Vitali Klitsch­ko sagte Baerbock zum Abschluss des Besuchs, Deutsch­land habe die Verpflich­tung, «nicht nachzu­las­sen in unserer Solida­ri­tät, nicht nachzu­las­sen in unserer Hilfe, sei es humani­tär, sei es im Bereich medizi­ni­scher Unter­stüt­zung, aber eben auch die militä­ri­sche Unter­stüt­zung». Ex-Boxwelt­meis­ter Klitsch­ko sagte auf Deutsch: «Danke an die deutsche Regie­rung.» Es müsse alles getan werden, um den «sinnlo­sen Krieg zu stoppen». Zu Baerbock sagte er: «Ihr Besuch in der Kriegs­zeit ist sehr wichtig für uns.» Der Bürger­meis­ter zeigte der Minis­te­rin bei einem Rundgang einen Teil der Stadt und schenk­te ihr ein Bildband: «Kiew — meine Liebe» mit Signa­tur von Klitschko.

Der russi­sche Präsi­dent Putin hatte den Einmarsch in die Ukrai­ne am 24. Febru­ar befoh­len. Er hatte dem Nachbar­land wieder­holt eine antirus­si­sche Politik vorge­wor­fen. Der Westen hat weitrei­chen­de Sanktio­nen gegen Russland verhängt.