LONDON/LOS ANGELES (dpa) — Vor laufen­der Kamera rechnet der briti­sche Royal hart mit seinem Bruder William ab. Gleich in zwei TV-Inter­views lanciert Harry schar­fe Worte, schlägt aber auch ganz andere Töne an.

Prinz Harry geht vor laufen­der Kamera in die Offen­si­ve. Nur zwei Tage vor der Veröf­fent­li­chung seiner Memoi­ren «Spare» (deutsch: «Reser­ve») packt der 38-Jähri­ge gleich in zwei TV-Inter­views aus. Erst stell­te er sich den Fragen des briti­schen Journa­lis­ten Tom Bradby, das Inter­view lief am Sonntag­abend beim briti­schen Sender ITV.

In seiner Wahlhei­mat in den USA stand Harry dem US-Journa­lis­ten Ander­son Cooper in der Sendung «60 Minutes» des Sender CBS Rede und Antwort.

«Ich will meinen Vater zurück. Ich will meinen Bruder zurück»

Harry feuert gegen die eigene Familie, gegen die briti­sche Presse, betont aber zugleich, wie wichtig ihm «eine Bezie­hung» und Frieden mit den Royals sei. «Ich will meinen Vater zurück. Ich will meinen Bruder zurück. Momen­tan erken­ne ich sie nicht wieder», sagt Harry im ITV-Inter­view. Genau­so würden die beiden aber wohl auch ihn derzeit nicht wieder­erken­nen, räumt er ein.

«Verge­bung ist aber zu 100 Prozent eine Möglich­keit», betont er. «Ich glaube wirklich und ich hoffe, eine Versöh­nung zwischen uns und meiner Familie könnte Auswir­kun­gen auf die ganze Welt haben.». Vielleicht sei das naiv, aber er glaube daran.

Dabei herrscht derzeit Funkstil­le zwischen London und dem kalifor­ni­schen Monte­ci­to, wo Harry mit Ehefrau Meghan (41) und den gemein­sa­men kleinen Kindern Archie und Lilibet lebt. Nach eigenen Angaben habe er zur Zeit keinen Kontakt mit seinem Vater König Charles III. oder seinem älteren Bruder Prinz William. «Derzeit nicht», antwor­tet er im CBS-Inter­view auf die Frage, ob er mit William spreche oder per SMS kommu­ni­zie­re. Auch mit seinem Vater habe er schon länger nicht mehr gesprochen.

Mit der Veröf­fent­li­chung von Harrys Memoi­ren dürfte sich die Kluft eher weiter vertie­fen. Seit Tagen sorgen sie für Schlag­zei­len. In Spani­en war die Autobio­gra­fie verse­hent­lich bereits am Donners­tag kurzzei­tig in einigen Buchlä­den zu haben. Briti­sche Medien berich­ten seitdem über pikan­te Details aus dem Buch.

Das Königs­haus schweigt bislang zu den Vorwür­fen. William tue dies «für die Familie und das Land», will die «Sunday Times» von engen Freun­den des briti­schen Thron­fol­gers erfah­ren haben. Eine Versöh­nung der Brüder scheint aber angesichts der Enthül­lun­gen in weite Ferne gerückt.

«Ich lande­te auf dem Hundenapf»

Schwe­re Vorwür­fe erhebt Harry im Buch vor allem gegen William (40), der ihn im Streit tätlich angegrif­fen haben soll. Er habe seine Frau bei dem Vorfall im Jahr 2019 gegen verba­le Kritik von William vertei­di­gen wollen, sagte Harry im CBS-Inter­view. Der Streit zwischen den Brüdern sei dann eskaliert. William sei ausge­ras­tet und habe ihn zu Boden gesto­ßen. «Ich lande­te auf dem Hunde­napf», beschreibt Harry die «ziemlich hässli­che» Szene. Meghan habe später Schnitt­wun­den auf seinem Rücken von den Scher­ben der zerbro­che­nen Schale entdeckt.

Die einst als unzer­trenn­lich gelten­den Brüder stehen sich Harrys Schil­de­run­gen zufol­ge schon lange in einem bitte­ren Wettbe­werb gegen­über. Er bezeich­net William in dem Buch demnach als «gelieb­ten Bruder» und zugleich «größten Gegenspieler».

Harry kriti­siert zudem die angeb­li­che Strate­gie seiner Familie, Geschich­ten und Narra­ti­ve in den briti­schen Boule­vard­me­di­en zu platzie­ren. Wenn «royale Insider­quel­len» zitiert würden, kämen diese Infor­ma­tio­nen vom Palast. Korre­spon­den­ten würden gefüt­tert und stell­ten das Narra­tiv nicht infra­ge. «So wie sich die briti­sche Presse momen­tan aufführt, fügt das Großbri­tan­ni­en großen Schaden zu», so Harry.

Schon als Kind habe er gespürt, dass die Boule­vard­pres­se zum Kummer seiner Mutter Diana beigetra­gen habe. Seinen Ärger und seine Trauer nach ihrem Tod habe er mit Alkohol und Drogen betäubt. Er habe als 12-Jähri­ger nach dem Verlust der Mutter unter Schock gestan­den. Geweint habe er nur einmal, als der Sarg in die Erde einge­las­sen wurde, danach nicht wieder. Er habe ihren Tod lange nicht akzep­tie­ren können, erzählt Harry.

«Ich sitze hier und bitte um eine Familie»

Auch den Tod von Queen Eliza­beth II. im vorigen Septem­ber brach­te Harry im CBS-Inter­view ins Spiel. Er war als letzter der Familie auf dem schot­ti­schen Landsitz Balmo­ral angekom­men, wo die Monar­chin mit 96 Jahren im Sterben lag. Als er eintraf, war Eliza­beth schon tot. Zuvor habe er seinen Bruder gefragt, wie denn William und andere Royals von London nach Schott­land reisen würden, erzählt Harry. Sie hätten wenig später einen Flieger dorthin genom­men, doch er sei nicht zum Mitflie­gen einge­la­den worden, machte der Queen-Enkel geltend.

Zwischen­durch scheint Harry in dem Inter­view, das der Sender ITV in Kalifor­ni­en aufge­zeich­net hat, den Tränen nahe. Wortreich bedau­ert er mangeln­de Unter­stüt­zung seiner Familie und wie sich die Fronten verhär­tet haben. «Ich sitze hier und bitte um eine Familie», sagt Harry. «Nicht um eine Insti­tu­ti­on, um eine Familie.» Er liebe seinen Bruder William sehr, beteu­ert Harry auch im CBS-Interview.