Wie vor vier Jahren droht die deutsche Handball-Natio­nal­mann­schaft das WM-Viertel­fi­na­le zu verpas­sen. Vor den abschlie­ßen­den Haupt­run­den­spie­len hat sie das Weiter­kom­men nicht mehr in der eigenen Hand. Dennoch tragen die Spieler Zweck­op­ti­mis­mus zur Schau.

Bei einem Spazier­gang durch die präch­ti­ge Marmor­hal­le ihres noblen Teamho­tels weiger­ten sich Deutsch­lands Handbal­ler nach einer kurzen Nacht mit viel Frust­be­wäl­ti­gung, den vorzei­ti­gen WM-Abgesang anzustimmen.

«Ich schaue immer mit dem Gefühl voraus, was noch möglich ist. Und es ist noch alles möglich, wir sind noch nicht raus», beton­te Torwart-Oldie Johan­nes Bitter vor dem zweiten Haupt­run­den­du­ell gegen Brasi­li­en am Samstag (20.30 Uhr/ZDF). «Deshalb müssen wir alle zusam­men wieder eine gute Laune finden.» Und DHB-Vizeprä­si­dent Bob Hanning versprach: «Die Mannschaft wird jetzt aufge­rich­tet und nicht hingerichtet.»

Die zweite Turnier­plei­te beim 28:32 gegen Europa­meis­ter Spani­en versetz­te die DHB-Auswahl in ein Stimmungs­tief, aus dem vor allem die jungen Spieler am Freitag nur mühsam heraus­ka­men. «Es dauert noch, bis man das wirklich verar­bei­tet hat. Wenn man merkt, dass man auch an sich selbst geschei­tert ist, tut es verdammt weh. Deshalb war die Nacht etwas kürzer — sicher auch für einige andere Spieler», berich­te­te Rechts­au­ßen Timo Kastening.

DHB-Sport­vor­stand Axel Kromer blieb dies nicht verbor­gen. «Die Jungs sind sehr geknickt. Es war zu spüren, dass ein Sack auf ihren Schul­tern liegt», schil­der­te er seine Eindrü­cke nach dem Frühstück. Kreis­läu­fer Johan­nes Golla räumte freimü­tig ein: «Es ist hart, damit umzuge­hen, weil man reali­siert hat, dass die Chance auf das Weiter­kom­men gegen Null geht.»

Für den angestreb­ten Viertel­fi­nal­ein­zug braucht die nach etlichen WM-Absagen neufor­mier­te deutsche Mannschaft ein kleines Handball-Wunder. Sie muss Brasi­li­en und zum Abschluss der Haupt­run­de am Montag auch Polen schla­gen und zugleich darauf hoffen, dass Ungarn seine beiden ausste­hen­den Spiele gegen Polen und Spani­en verliert. Im Dreier­ver­gleich der dann punkt­glei­chen Rivalen aus Deutsch­land, Polen und Ungarn müsste das DHB-Team zudem das beste Torver­hält­nis aufwei­sen. «Man sagt ja, die Hoffnung stirbt zuletzt. Realis­tisch gesehen, müssen wir schon sehr viel Glück haben», sagte Bundes­trai­ner Alfred Gisla­son zur schwie­ri­gen Ausgangs­la­ge in der Gruppe I.

Trotz des drohen­den frühzei­ti­gen WM-Knock­outs bemüh­ten sich insbe­son­de­re die routi­nier­ten Spieler darum, Optimis­mus auszu­strah­len. «Wir müssen als Mannschaft zusam­men­ste­hen und viele auch mitneh­men, die gestern geknick­ter waren als ich, weil sie noch nicht die Erfah­rung gemacht haben, dass man trotz­dem noch den Titel gewin­nen kann. Davon will ich zwar nicht reden, aber es ist noch nicht vorbei», sagte Bitter.

Der 38 Jahre alte Torwart, der 2007 mit dem DHB-Team Weltmeis­ter wurde, ging mit gutem Beispiel voran und stell­te die positi­ven Aspek­te des Spiels gegen den Europa­meis­ter heraus. «Wir haben ganz viele Sachen richtig gut gemacht und gegen die golde­ne Genera­ti­on der Spani­er über weite Strecken der Partie bestan­den», lobte Bitter.

Er selbst hatte daran mit einem starken Auftritt großen Anteil und könnte Andre­as Wolff für den restli­chen Turnier­ver­lauf den Rang als 1a-Lösung abgelau­fen haben. Wolff schloss nach seinen bisher durch­wach­se­nen Leistun­gen nicht einmal aus, seinen Platz im Kader an Silvio Heinevet­ter zu verlieren.

Unabhän­gig von der Entschei­dung, die der Bundes­trai­ner erst nach dem Abschluss­trai­ning fällen wollte, appel­lier­te der 29-Jähri­ge: «Wenn wir noch eine Chance auf das Viertel­fi­na­le haben, wollen wir sie auch nutzen. Und selbst wenn wir das Maximum nicht mehr errei­chen können, wollen wir uns erhobe­nen Hauptes aus dem Turnier verab­schie­den. Wir wollen die nächs­ten zwei Spiele gewin­nen, weil wir immer noch Deutsch­land repräsentieren.»

Darauf setzt auch Kromer. «Wenn alle ihre Aufga­ben erfül­len, muss man sich nicht schämen, wenn das Ziel Viertel­fi­na­le vielleicht nicht erreicht wird», sagte der Sport­vor­stand. Mögli­cher­wei­se spielt die Mannschaft ohne großen Erfolgs­druck etwas befrei­ter auf, nachdem sie sich sowohl gegen Ungarn als auch gegen Spani­en oft selbst im Weg stand.

«Es wäre der größte Fehler, das Turnier jetzt abzuschen­ken», sagte WM-Neuling Kastening und versprach: «Das wird nicht passie­ren, denn wir haben eine gute Menta­li­tät in der Mannschaft. Wir sind eine coole Truppe.» Darin ist er sich mit Bitter einig. «Die Erfah­re­nen haben sich die Jungen zur Brust genom­men und Tache­les geredet — im Sinne von: so ist der Sport, es geht weiter», berich­te­te der Oldie und kündig­te an: «Wir haben alle Bock darauf, diese zwei Spiele zu gewinnen.»