Mit Triller­pfei­fen und Megafon machen Demons­tran­ten ihrem Protest gegen den Bau einer Flücht­lings­un­ter­kunft in einem Mecklen­bur­ger 500-Seelen­dorf Luft. Es fliegt Pyrotech­nik, Nebel­töp­fe werden gezün­det. Nur mit einem Großauf­ge­bot kann die Polizei verhin­dern, dass sich die Menschen Zugang zum Kreis­tags-Gebäu­de in Greves­müh­len verschaf­fen, in dem über den Bau beraten wird.

Die Fernseh­bil­der von der Protest­ak­ti­on, an der sich am Donners­tag Behör­den­an­ga­ben zufol­ge zwischen­zeit­lich bis zu 700 Menschen betei­lig­ten, wirken bedroh­lich. Die Polizei hatte ihre Kräfte vor Ort kurzfris­tig von 60 auf 120 verdop­pelt, um die Lage unter Kontrol­le halten zu können. Es gelang ihr — mit Mühe.

Wie in Nordwest­meck­len­burg mehren sich auch in anderen Teilen Mecklen­burg-Vorpom­merns die Protes­te. In vielen Kommu­nen sind die Kapazi­tä­ten für die Unter­brin­gung von Flücht­lin­gen erschöpft. Wohnun­gen sind Mangel­wa­re. Nun sollen Contai­ner-Dörfer errich­tet werde, unter anderem in Upahl zwischen Wismar und Greves­müh­len. 400 Menschen sollen dort Zuflucht finden. Das Dorf zählt wenig mehr als 500 Bewohner.

«Notlö­sung» Flüchtlingsunterkunft

«Ich habe auch großes Verständ­nis für die Sorgen und Ängste der Einwoh­ne­rin­nen und Einwoh­ner von Upahl. Und wir werden alles tun, um diese zu lindern und entste­hen­de Problem­la­gen mit der tempo­rä­ren Unter­kunft zu lösen», sagte CDU-Landrat Tino Schomann am Freitag. Der Bau der Flücht­lings­un­ter­kunft sei eine Notlö­sung, geschul­det den nicht nachlas­sen­den hohen Zuwei­sungs­zah­len. «Ich bin seit Monaten dabei, das Land und den Bund auf die Zuspit­zung der Lage hinzu­wei­sen, und ich bin längst nicht der Einzi­ge», erklär­te er die Situation.

Die Contai­ner-Unter­kunft soll im März fertig werden. Dann will der Landkreis Asylsu­chen­de aus kurzzei­tig als Unter­künf­te genutz­ten Sport­hal­len in Wismar dorthin bringen.

Auch Björn Griese, der für die Linke im Kreis­tag sitzt, kann die Beden­ken nachvoll­zie­hen: «Für ein Dorf mit gut 500 Einwoh­nern, ist das schon ein schwie­ri­ges Verhält­nis. Zumal, wenn man bedenkt, dass es dort kaum eine Infra­struk­tur gibt und der Weg in die nächs­te größe­re Stadt weit ist». Zudem sei die Entschei­dung des Landrats­am­tes auch für die Kreis­tags­mit­glie­der sehr kurzfris­tig gekom­men. «Wir konnten nur noch über die Finan­zie­rung abstim­men. Das war alles keine Stern­stun­de für die Demokra­tie», sagte Griese.

Auch Rechts­ra­di­ka­le und «Reichs­bür­ger»

Zwar kam nach Einschät­zung der Polizei der Großteil der Demons­tran­ten in Greves­müh­len aus der bürger­li­chen Mitte. Doch seien auch Rechts­extre­me sowie Angehö­ri­ge der Fußball­fan- und der Reichs­bür­ger­sze­ne unter den Teilneh­mern gewesen, sagte eine Polizei­spre­che­rin. Diese sorgten aus Sicht der Sicher­heits­kräf­te aber maßgeb­lich dafür, dass sich die Stimmung am Abend vor dem Kreis­tags­ge­bäu­de immer mehr aufheizte.

Nach einer Einschät­zung des Landes­ver­fas­sungs­schut­zes riefen Rechte über einschlä­gi­ge Kanäle in den sozia­len Medien zu einer Teilnah­me an der Demo in Greves­müh­len auf und waren auch selbst vor Ort. Die Szene verbin­de die Mobili­sie­rung gegen Geflüch­te­te mit der Hoffnung, «ihre Anschluss­fä­hig­keit in der Mitte der Gesell­schaft zu erhöhen», hieß es. Gleiches gelte etwa für Reichsbürger.

Mecklen­burg-Vorpom­merns Innen­mi­nis­ter Chris­ti­an Pegel (SPD) beton­te, dass Meinungs- und Demons­tra­ti­ons­frei­heit zentra­le Grund­rech­te einer Demokra­tie seien, er verur­teil­te die Eskala­ti­on aber. Dass bekann­te Rechts­ra­di­ka­le und Rechts­extre­me versuch­ten, solche Veran­stal­tun­gen für sich zu okkupie­ren, sei nicht hinnehm­bar. «Wenn dies einher­geht mit Störun­gen von Demons­tra­tio­nen und dem Versuch, gewalt­sam in Tagungs­or­te demokra­tisch gewähl­ter kommu­na­ler Entschei­dungs­gre­mi­en einzu­drin­gen, ist dies klar demokra­tie­feind­lich», sagte Pegel am Freitag. Die Vorgän­ge würden straf­recht­lich aufge­ar­bei­tet. Vier Straf­ver­fah­ren — unter anderem wegen schwe­ren Hausfrie­dens­bruchs und Versto­ßes gegen das Versamm­lungs­ge­setz — wurden eingeleitet.

Das Inter­na­tio­na­le Ausch­witz Komitee reagier­te ebenfalls auf den Tumult am Vorabend des inter­na­tio­na­len Holocaust-Gedenk­ta­ges. «Die gestri­ge Demons­tra­ti­on in Greves­müh­len belegt einmal mehr, wie derzeit Rechts­extre­me versu­chen, zum Hass aufzu­ru­fen und die Demokra­tie zu attackie­ren», sagte der Exeku­tiv-Vizeprä­si­dent des Komitees, Chris­toph Heubner. Die Bilder erinner­ten ihn an die versuch­te Erstür­mung des Reichs­tags­ge­bäu­des in Berlin oder den Angriff auf das Kapitol in Washington.

Von Sebas­ti­an Schug, dpa