WIEN (dpa) — Ein beispiel­lo­ser Vorgang: Ermitt­ler durch­su­chen die Macht­zen­tra­len der regie­ren­den Konser­va­ti­ven in Wien. Die Justiz hat etwas in der Hand, das wie eine Bombe wirkt. Wie lange hält die Regie­rung noch?

Die Vorwür­fe der Staats­an­walt­schaft wiegen schwer: Untreue, Bestechung und Bestech­lich­keit — Öster­reichs Kanzler Sebas­ti­an Kurz und sein Team sollen sich auf dem Weg zur Macht in Partei und Staat auch straf­ba­rer Metho­den bedient haben.

Heute rückten Fahnder an, um im Kanzler­amt, in der ÖVP-Zentra­le, im Finanz­mi­nis­te­ri­um und in einem Medien­haus Materia­li­en zu sichern. Sie suchten Mails aus der Zeit seit Anfang 2016 sowie Daten­trä­ger, Server, Handys und Laptops. Betrof­fen war der engste Kreis um Kurz — etwa ein Presse­spre­cher, sein Medien­be­ra­ter und sein Chefstra­te­ge. Gerüch­te um eine drohen­de Razzia hatten seit Tagen die Runde gemacht.

Die 104-seiti­ge Begrün­dung der Ermitt­ler für die Durch­su­chun­gen hat es in sich. Der Wortlaut wurde von dem inves­ti­ga­ti­ven Online-Portal Zackzack veröf­fent­licht, hinter dem der Ex-Grünen-Chef und Ex-Natio­nal­rats­ab­ge­ord­ne­te Peter Pilz steckt.

Deal mit einem Medienhaus?

Aus dem Dokument geht der Verdacht hervor, dass Kurz an einem Deal mit einem öster­rei­chi­schen Medien­haus betei­ligt gewesen sein soll. Er soll laut Ankla­ge­be­hör­de ab April 2016 als damali­ger Außen­mi­nis­ter daran mitge­wirkt haben, mit durch Steuer­gel­der finan­zier­ten Insera­ten Einfluss auf redak­tio­nel­le Inhal­te zu nehmen. Eine zentra­le Rolle dabei sollen Umfra­gen gespielt haben, deren Zeitpunkt, Frage­stel­lun­gen und Auswer­tung vom Team um Kurz beein­flusst worden seien.

Die ÖVP und das Medien­haus demen­tier­ten die Vorwür­fe vehement. «Zu keinem Zeitpunkt gab es zwischen der Medien­grup­pe ÖSTERREICH und dem Finanz­mi­nis­te­ri­um eine Verein­ba­rung über eine Bezah­lung von Umfra­gen durch Insera­te», teilte die Medien­grup­pe mit. Die stell­ver­tre­ten­de ÖVP-General­se­kre­tä­rin Gabrie­la Schwarz sprach in einer Mittei­lung von falschen Anschul­di­gun­gen. «Das passiert immer mit demsel­ben Ziel und System: Die Volks­par­tei und Sebas­ti­an Kurz massiv zu beschä­di­gen», sagte sie. Es gehe den Ermitt­lern offen­bar um einen «Showef­fekt». ÖVP-Frakti­ons­chef August Wögin­ger kündig­te Wider­stand an. «Wir werden hier mit aller Kraft dagegen halten, sowohl auf der politi­schen als auch auf der juris­ti­schen Ebene.»

«Wer zahlt schafft an»

Die Mittel im Umfang von mehr als einer Milli­on Euro sollen laut Staats­an­walt­schaft dabei aus dem Etat des Finanz­mi­nis­te­ri­ums geflos­sen sein, als Kurz die Übernah­me der ÖVP anstreb­te. Er gewann 2017 den Macht­kampf gegen den hoffnungs­los unter­le­ge­nen ÖVP-Partei­chef Reinhold Mitter­leh­ner und wurde im Dezem­ber 2017 Kanzler einer Koali­ti­on aus ÖVP und rechter FPÖ.

Auch danach soll die Koope­ra­ti­on zwischen dem Kanzler­amt und dem Medien­haus weiter­ge­gan­gen sein. «So weit wie wir bin ich echt noch nie gegan­gen. Genia­les Invest­ment. (…) Wer zahlt schafft an. Ich liebe das», heißt es laut Ermitt­lungs­un­ter­la­gen in einer Chat-Nachricht eines Kurz-Vertrau­ten aus dem Finanz­mi­nis­te­ri­um, nachdem wieder einmal die gewünsch­te Bericht­erstat­tung platziert wurde. Am gleichen Tag soll Kurz sich beim Absen­der bedankt haben: «Danke für Öster­reich heute!”»

Wie lange hält die Regie­rung noch?

Eine Regie­rungs­kri­se scheint nun fast unaus­weich­lich. Die Grünen, als Partner der ÖVP seit Januar 2020 mit in der Koali­ti­on, hatten stets betont, dass mit ihnen nur eine «saube­re Politik» möglich sei. Das Bündnis aus ÖVP und Grünen wurde zuletzt immer wieder durch Vorwür­fe der ÖVP gegen die Justiz belas­tet. Vizekanz­ler und Grünen-Chef Werner Kogler hielt fest, dass «Angrif­fe auf die Justiz insge­samt zurück­zu­wei­sen» seien. Der Chefre­dak­teur des Magazins «Falter», Flori­an Klenk, schrieb auf Twitter: «Nach erster schnel­ler Lektü­re dieses Hausdurch­su­chungs­be­fehls und der darin enthal­te­nen Chats kann man getrost sagen: Das geht sich jetzt mit der Koali­ti­on zwischen ÖVP und den Grünen nicht mehr aus. Game over.»

Die Koali­ti­on, die nach eigenem Credo das beste aus zwei Partei­wel­ten verbin­den wollte, hatte immer wieder schwie­ri­ge Momen­te zu überste­hen. Zuletzt plädier­ten die Grünen in der Flücht­lings­fra­ge für zumin­dest humani­tä­re Gesten, etwa in der aktuel­len Afgha­ni­stan-Krise. Die ÖVP unter Kurz setzte dagegen ganz auf ihren von vielen Bürgern mitge­tra­ge­nen harten Anti-Migrations-Kurs.

Die Opposi­ti­on sieht die Ermitt­lun­gen als Bestä­ti­gung für den Korrup­ti­ons­ver­dacht im Umfeld von Kurz. «Für Kurz und die türki­se Familie wird es immer enger», kommen­tier­te die SPÖ in Anspie­lung auf die Partei­far­be der ÖVP. «Das türki­se Karten­haus bricht krachend zusam­men», so SPÖ-Bundes­ge­schäfts­füh­rer Chris­ti­an Deutsch.

Der ÖVP gehe es vor allem um die Macht, kriti­sier­te der General­se­kre­tär der libera­len Neos, Douglas Hoyos. Er forder­te die Kanzler­par­tei auf, zur Aufklä­rung beizu­tra­gen, statt den Ruf der Justiz zu beschä­di­gen. Der ÖVP-Parla­men­ta­ri­er Andre­as Hanger hatte am Diens­tag noch von «linken Zellen» inner­halb der WKSTA gespro­chen, die gezielt den Ruf von Kurz schädi­gen wollten.

Von Matthi­as Röder und Albert Otti, dpa