BERLIN (dpa) — Hundert­tau­sen­de Geflüch­te­te aus der Ukrai­ne sind schon in Deutsch­land. Immer mehr rückt die Frage in den Fokus, wie die Integra­ti­on auch langfris­tig gelin­gen kann — etwa auf dem Jobmarkt.

Mit der Erfas­sung von Quali­fi­ka­tio­nen, weit mehr Sprach­kur­sen und erleich­ter­ten Anerken­nun­gen von Abschlüs­sen sollen Flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne rasch gute Arbeits­mög­lich­kei­ten in Deutsch­land finden können.

Das ist das Ziel, das Bundes­ar­beits­mi­nis­ter Huber­tus Heil (SPD) nach einem Spitzen­ge­spräch mit Arbeit­ge­bern, Gewerk­schaf­ten, Kammern, Handwerk, Bundes­agen­tur für Arbeit und anderen am Mittwoch in Berlin formu­lier­te. «Es wird auch eine große Aufga­be für unseren Sozial­staat sein, der wir uns zuwen­den», sagte Heil.

«Wir haben es wahrschein­lich mit der größten Flucht­be­we­gung nach dem Zweiten Weltkrieg zu tun», so Heil. Wirtschaft­li­che Folgen, die bereits zu spüren seien, sollten etwa mit Kurzar­beit und Wirtschafts­hil­fen abgefe­dert werden. Es sei eine «große humani­tä­re Aufga­be», viele Geflüch­te­te gut aufzu­neh­men, Schutz zu geben und sie zu versorgen.

Ukrai­ni­sche Flücht­lin­ge erhiel­ten mit dem Aufent­halts­ti­tel auch einen sofor­ti­gen Zugang zum Arbeits­markt. «Wir sehen die Menschen, die zu uns kommen, nicht in erster Linie als Arbeits­kraft, sondern als schutz­be­dürf­ti­ge Menschen», sagte Heil. Zugang zu Sprach­kur­sen sei bereits geschaf­fen. «Aber wir müssen Sprach­kur­se auch ausrol­len und auswei­ten.» Geschaf­fen werden müssten auch mehr Kinder­be­treu­ungs­mög­lich­kei­ten, wobei aus dem Kreis der Geflüch­te­ten Betreue­rin­nen und Betreu­er einge­setzt werden könnten.

Viele mit akade­mi­scher Ausbildung

Zentral sei, die Erfas­sung der Quali­fi­ka­tio­nen. Rund die Hälfte der Ukrai­ne­rin­nen und Ukrai­ner hätten auch eine akade­mi­sche Ausbil­dung. Doch die Berufe seien nicht identisch mit denen in Deutsch­land. Entspre­chend Ausge­bil­de­te sollten nicht als Hilfs­kräf­te arbei­ten müssen, sondern passen­de Stellen in Deutsch­land finden. Um die Quali­fi­ka­tio­nen anerken­nen zu können, seien weite­re Gesprä­che mit der Bundes­bil­dungs­mi­nis­te­rin, der Kultus­mi­nis­ter­kon­fe­renz und der Konfe­renz der Landes­ar­beits­mi­nis­te­rin­nen und ‑minis­ter verein­bart. Heil beschrieb dies als kompli­zier­ten Prozess, der nun aber schnell voran­ge­trie­ben werden solle.

Zahlen darüber, wie viele Betrof­fe­ne bereits in Deutsch­land arbei­te­ten oder bald auf dem Jobmarkt erwar­tet würden, gebe es noch nicht, sagte Heil. Erwogen werde, dass sie künftig nicht mehr wie bisher nach dem Asylbe­wer­ber­leis­tungs­ge­setz unter­stützt würden, sondern nach dem Sozial­ge­setz­buch II. Dann wären die Jobcen­ter zuständig.

Pragma­ti­sches Vorge­hen nötig

Arbeit­ge­ber­prä­si­dent Rainer Dulger sagte: «Um schnell und unbüro­kra­tisch helfen zu können, braucht es vor allem ein pragma­ti­sches und effizi­en­tes Vorge­hen.» Die Arbeit­ge­ber stünden bereit, ihren Beitrag zur Integra­ti­on in den Arbeits­markt und in Ausbil­dung zu leisten. «Was vor uns liegt, ist eine gesamt­ge­sell­schaft­li­che Aufga­be, bei der Politik und Wirtschaft an einem Strang ziehen müssen.» Zur Unter­stüt­zung einer Beschäf­ti­gung von jenen, die bleiben möchten, sei es wichtig, dass Kapazi­tä­ten für den Sprach­er­werb geschaf­fen und bürokra­ti­sche Hürden etwa bei der beruf­li­chen Anerken­nung abgebaut würden.

Seit Beginn des russi­schen Angriffs­krie­ges gegen die Ukrai­ne stell­te die Bundes­po­li­zei 283 365 Kriegs­flücht­lin­ge in Deutsch­land fest. Da Inhaber eines ukrai­ni­schen Passes für 90 Tage visums­frei einrei­sen können, sind viele Einge­reis­te wohl nicht in der Zahl enthalten.

Die Schulen und Berufs­schu­len in Deutsch­land haben inzwi­schen mehr als 20.000 Schüle­rin­nen und Schüler aus der Ukrai­ne aufge­nom­men, wie die Kultus­mi­nis­ter­kon­fe­renz mitteil­te. Die tatsäch­li­che Zahl dürfte aber deutlich größer sein, da noch keine Daten aus dem bevöl­ke­rungs­reichs­ten Bundes­land Nordrhein-Westfa­len, aus Thürin­gen, Sachsen-Anhalt und Hamburg vorla­gen. Bildungs­po­li­ti­ker schät­zen, dass etwa die Hälfte der in Deutsch­land ankom­men­den Kriegs­flücht­lin­ge Kinder und Jugend­li­che sind.

Hilfe vom Bund erwartet

Aus Sicht der Städte ist bei der Vertei­lung, Regis­trie­rung und Unter­brin­gung der Kriegs­flücht­lin­ge mehr Steue­rung und Unter­stüt­zung vom Bund nötig. Sollten, wie derzeit von der Bundes­re­gie­rung erwar­tet, tatsäch­lich knapp eine Milli­on Flücht­lin­ge kommen, müssten leerste­hen­de Wohnun­gen über ein Sonder­pro­gramm inner­halb weniger Monate wieder bewohn­bar gemacht und zur Unter­brin­gung der Geflüch­te­ten genutzt werden. «Das wäre eine ganz wichti­ge Entlas­tung», sagte der Oberbür­ger­meis­ter von Kiel, Ulf Kämpfer (SPD), nach einer Präsi­di­ums­sit­zung des Deutschen Städtetages.

Der Städte­tags­prä­si­dent und Oberbür­ger­meis­ter von Münster, Markus Lewe (CDU), sagte, er sei froh, dass Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) die kommu­na­len Spitzen­ver­bän­de für kommen­den Freitag zu einem Gespräch einge­la­den habe. Notwen­dig sei aber zusätz­lich ein Flücht­lings­gip­fel mit Vertre­tern von Bund, Ländern und Kommunen.

Die CDU-Arbeits­markt­po­li­ti­ke­rin Marei­ke Lotte Wulf forder­te die zeitlich befris­te­te Ausset­zung der Einzel­fall-Prüfung bei der Anerken­nung von ausge­wähl­ten Berufen. Sicher­ge­stellt werden müsse, «dass gerade die Frauen, die zu uns kommen, in quali­fi­zier­ten Berufen ankom­men können und nicht in Helfer­tä­tig­kei­ten», sagte Wulf der Deutschen Presse-Agentur.