Vor neuen Beratun­gen über den Lockdown schaut Deutsch­land mit Sorge auf die Virus-Varian­ten. Seit kurzem wird verstärkt nach ihnen gesucht. Nun gibt es erste Zahlen.

BERLIN (dpa) — Die anste­cken­de­ren Corona-Varian­ten dürften nach Einschät­zung des Robert Koch-Insti­tuts (RKI) eine immer größe­re Rolle in Deutsch­land spielen. Bislang dominier­ten sie aber noch nicht das Infek­ti­ons­ge­sche­hen, wie RKI-Chef Lothar Wieler in Berlin sagte. Der Anteil der in Großbri­tan­ni­en entdeck­ten Varian­te B.1.1.7 liege nun bei knapp sechs Prozent. In 13 der 16 Bundes­län­dern sei sie inzwi­schen nachgewiesen.

«Die Situa­ti­on ist noch lange nicht unter Kontrol­le», sagte Wieler. Insge­samt sei das Corona­vi­rus durch die Varian­ten gefähr­li­cher gewor­den. «Das Virus ist noch nicht müde, im Gegen­teil, es hat gerade nochmal einen Boost bekom­men», so Wieler, also einen Auftrieb.

Mit wachsen­der Spannung wurden in den vergan­ge­nen Tagen Angaben des RKI zur Ausbrei­tung der Varian­ten erwar­tet. Wegen der bisher offenen Frage, wie stark sie schon um sich greifen, sind vor dem Corona-Treffen von Bund und Ländern kommen­de Woche mögli­che Locke­run­gen des Lockdowns offen.

Nun veröf­fent­lich­te das RKI einen Bericht dazu. Darin heißt es, der Anteil der anste­cken­de­ren Varian­ten sei «nach den bisher vorlie­gen­den Daten in den letzten Wochen im Vergleich zum Vorjahr gestie­gen». Die Daten könnten zwar noch keine statis­tisch belast­ba­re Aussa­ge über das Vorkom­men liefern, zeigen aber den Anstieg des Anteils der Varian­te B.1.1.7 an der Gesamt­zahl der unter­such­ten Proben. «Somit kann auf die zuneh­men­de Verbrei­tung dieser Varian­te geschlos­sen werden.»

Spahn sagte: «Auch wenn noch weite­re harte Wochen vor uns liegen, wir sind auf dem Weg raus aus der Pande­mie.» Er sagte aber auch: «Wenn wir diesen Mutatio­nen die Möglich­keit zur Ausbrei­tung geben würden, riskier­ten wir einen erneu­ten Anstieg der Infektionszahlen.»

Sobald geöff­net werden könne, solle dies zuerst bei Kitas und Schulen gesche­hen. Die Infek­ti­ons­zah­len seien derzeit zwar insge­samt am Sinken, sagte Spahn, doch dies sei etwa in Portu­gal und Irland auch der Fall gewesen. Durch Locke­run­gen hätten die Varian­ten dann wieder ein drasti­sches Hochschnel­len bei den Corona-Infek­tio­nen gebracht. «Den Umstand wollen wir vermei­den.» Medizi­ni­sche Schutz­mas­ken noch viel mehr zu tragen sei dafür ein wichti­ger Punkt.

Aus allen Daten ergebe sich, dass die Varian­ten mehr andere Menschen anste­cken, sagte Wieler. «Wir dürfen jetzt nicht nachläs­sig werden, weil diese Varian­ten sich weiter ausbrei­ten.» So sei jetzt etwa in Tirol eine brisan­te Situa­ti­on durch Nachläs­sig­keit entstan­den. «Das ist ein Gesche­hen, das hätte vermie­den werden können, wenn dort nicht so viele Tausen­de Menschen Ski fahren würden.»

Zur Frage der Wirksam­keit der Impfstof­fe gegen die Varian­ten sagte der Präsi­dent des Paul-Ehrlich-Insti­tuts (PEI), Klaus Cichutek, es gebe «Hinwei­se, dass man mit der UK-Varian­te ganz gut fertig werden kann, mit der Südafri­ka- und Brasi­li­en-Varian­te schwe­rer». Das breite Impfen insge­samt helfe aber auch gegen die Varianten.

Spahn beton­te: «Wir haben jetzt die Mittel, das Virus zu besie­gen — nicht sofort, aber im Laufe des Jahres.» Inzwi­schen seien knapp drei Millio­nen Impfdo­sen verab­reicht worden, mehr als 800.000 Bürger hätten schon die zweite Impfdo­sis erhalten.

Fast 80 Prozent der Bewoh­ner von Pflege­hei­men haben bereits eine erste Impfung bekom­men. Rund um das Ende des ersten Quartals herum sollten die Menschen aus der ersten Impfgrup­pe, die Über-80-Jähri­gen und die Menschen in den Pflege­hei­men, geimpft sein.

«Durch den Einsatz dieser Impfstof­fe haben wir wirklich gemein­sam die Chance, die Pande­mie wirksam zu begren­zen.» Jeder einzel­ne sollte den Schutz durch Impfung in Anspruch nehmen, sobald die Impfung angebo­ten werde — und zwar so schnell wie möglich. «Für sich selbst, die eigene Familie, aber auch das eigene Umfeld und nicht zuletzt unsere Gesell­schaft, zum Wohle dieser Gesellschaft.»

Zuletzt sind im Zuge verstärk­ter Analy­sen aus vielen Regio­nen Deutsch­lands Fälle und Ausbrü­che von Corona-Varian­ten bekannt gewor­den. Nicht immer betraf das Rückkeh­rer aus Ländern, in denen Varian­ten verbrei­tet sind.

So stand zum Beispiel ein Kranken­haus im Berlin wegen zahlrei­cher Fälle von B.1.1.7 rund andert­halb Wochen unter Quaran­tä­ne. In Großbri­tan­ni­en ist die Varian­te B.1.1.7 inzwi­schen in den bei weitem meisten unter­such­ten Proben zu finden. Der erste Nachweis dort stammt aus dem September.

Auch Varian­ten, die in Südafri­ka (B.1.351) und Brasi­li­en kursie­ren, gelten als leich­ter übertrag­bar. Aber es ist nicht nur das: Genese­ne könnten sich offen­bar erneut anste­cken und Impfstof­fe drohen nicht so gut zu wirken wie gegen den Wildtyp. Ein Impfstoff­her­stel­ler hat bereits angekün­digt, eine Auffri­schung entwi­ckeln zu wollen.

«Darauf, dass die Varian­ten gefähr­li­cher sind — im Sinne von krank­ma­chen­der oder tödli­cher — gibt es im Moment keine tragfä­hi­gen Hinwei­se», sagte der Präsi­dent der Gesell­schaft für Virolo­gie, Ralf Barten­schla­ger, kürzlich der dpa. Bei RNA-Viren wie Sars-CoV‑2 verän­dert sich das Erbgut ständig. Manche Varian­ten verschaf­fen dem Virus einen Vorteil und setzen sich im Vergleich zu alten Formen durch.

Im Vergleich zu Ländern wie Großbri­tan­ni­en und Dänemark wurde in Deutsch­land bis vor kurzem eher wenig mit Gen-Analy­sen (Sequen­zie­run­gen) nach Varian­ten gesucht. Auch mittels PCR im Labor sind geziel­te Nachtes­tun­gen auf Mutan­ten möglich.