BERLIN (dpa) — Steht die Republik vor einem Kurswech­sel mit einem rot-grün-roten Regie­rungs­bünd­nis? Die Union spitzt den Wahlkampf darauf zu. Doch es bleiben viele Fragen.

Unions­kanz­ler­kan­di­dat Armin Laschet ging seinen SPD-Gegen­spie­ler Olaf Scholz sofort frontal an. «Wenn es eine rechne­ri­sche Mehrheit gibt, selbst wenn Sie auf Platz zwei lägen als Partei, werden Sie eine Koali­ti­on mit den Linken machen», ereifer­te sich Laschet beim Triell mit Scholz und Grünen-Kandi­da­tin Annale­na Baerbock.

Rot-Grün-Rot als Horror­vi­si­on: Im Umfra­ge­tief beschwö­ren CDU und CSU lautstark die Gefahr eines Links­rutschs. Scholz versuch­te es in der Fernseh­de­bat­te am Sonntag­abend mit Ironie. «Wir erleben jetzt ja immer absur­de­re Theater­auf­füh­run­gen», sagte der in den Umfra­gen führen­de SPD-Mann zur Koali­ti­ons­fra­ge. Ausschlie­ßen mochte er ein rot-grünes Bündnis mit der Links­par­tei auch diesmal nicht. Nur legt er die Latte so hoch, dass die Linke sich beim Sprung in die Regie­rung extrem verbie­gen müsste. Wie wahrschein­lich also ist eine rot-grün-rote Bundes­re­gie­rung? Eine Annähe­rung in fünf Fakten.

Rot-Grün-Rot in Umfra­gen unbeliebt

Ein Bündnis von SPD und Grünen mit der Linken ist laut ZDF-Polit­ba­ro­me­ter vom Freitag die unbelieb­tes­te der mögli­chen Koali­tio­nen nach der Bundes­tags­wahl am 26. Septem­ber. 56 Prozent der Befrag­ten fänden das schlecht, nur 28 Prozent gut. Doch ist Jamai­ka — also CDU/CSU, Grüne und FDP — kaum populä­rer: 52 Prozent fänden das schlecht, 29 Prozent gut. Etwas besser käme eine Ampel von SPD, Grünen und FDP an: 41 Prozent fänden das schlecht, 33 Prozent gut. Die Ampel wird zwar vor allem von der FDP skeptisch gesehen, sie hätte aber laut Umfra­ge mit 53 Prozent nach jetzi­gem Stand die stabils­te Mehrheit der Stimmen; Jamai­ka käme auf 50 Prozent. Rot-Grün-Rot wäre mit 48 Prozent äußerst wackelig.

Die Linke bringt kaum Gewicht auf die Waage. Wie das Polit­ba­ro­me­ter notier­te auch die jüngs­te Insa-Umfra­ge für «Bild am Sonntag» für die Partei nur noch sechs Prozent — im Vergleich zu 9,2 Prozent bei der Bundes­tags­wahl 2017. «Mit Ausnah­me von Thürin­gen hat die Linke auch im Osten ziemlich geblu­tet», sagt der Erfur­ter Polito­lo­ge André Brodocz. In Sachsen-Anhalt büßte die Linke bei der Landtags­wahl im Juni 5,3 Prozent­punk­te ein und lande­te nur noch bei 11 Prozent. In Branden­burg 2019 ging es 7,9 Punkte abwärts auf 10,7 Prozent, in Sachsen im selben Jahr um 8,5 Punkte auf 10,4 Prozent. Brodocz verweist auf die starke Konkur­renz der AfD. Richtungs- und Führungs­streit der Linken schei­nen die Wähler ebenfalls zu schrecken.

Die Warnung der CDU/CSU vor einem Links­bünd­nis, seit 1994 ein Klassi­ker, könnte der Partei womög­lich helfen, meint Brodocz. «Der Schein­wer­fer geht damit ein Stück weit auf die Linke.» Mehr Nutzen sieht er jedoch aufsei­ten der Urheber. «Auf den ersten Blick wirkt das ein Stück weit anachro­nis­tisch: Die DDR gab es gerade mal 40 Jahre, die Debat­te über die Linke läuft jetzt schon mehr als 30 Jahre», sagt der Politik­wis­sen­schaft­ler. «Aber es geht in diesem Wahlkampf darum, stärks­te Partei zu werden, und dafür braucht man 25 Prozent plus X.» Union und SPD seien erstmal wenig unter­scheid­bar, deshalb werde betont, was viele Wähler nicht wollen. «Das kann also funktio­nie­ren», sagt Brodocz.

Rot-Grün-Rot gibt es auf Landes­ebe­ne längst

Der Ostber­li­ner Links­po­li­ti­ker Martin Schir­de­wan sieht das erwart­bar anders. «Diese Rote-Socken-Kampa­gne 4.0 — oder die wieviel­te das sein mag — ist ein hilflo­ser Versuch der Union, an die Ängste ihrer eigenen anti-kommu­nis­ti­schen Wähler zu appel­lie­ren», sagt Schir­de­wan, Frakti­ons­chef der Linken im Europa­par­la­ment. «Völli­ger Quatsch» sei das und überzeu­ge vor allem im Osten nieman­den. «Die Warnung geht völlig an der Lebens­rea­li­tät der Menschen vorbei. Wir stellen den Minis­ter­prä­si­den­ten in Thürin­gen, wir regie­ren erfolg­reich in Berlin, wir sind veran­kert in den Kommunen.»

In Thürin­gen koaliert der Linke Bodo Ramelow seit 2014 mit SPD und Grünen — mit kurzer Unter­bre­chung nach der kompli­zier­ten Landtags­wahl 2019. Zuletzt wurde das Bündnis zeitwei­se sogar von der CDU toleriert. Ein früher Vorläu­fer war 1994 in Sachsen-Anhalt eine Rot-Grün-Regie­rung, die sich von der damali­gen PDS tolerie­ren ließ. Derzeit gibt es weite­re Links­bünd­nis­se in Bremen und Berlin, die mehr oder weniger geräusch­los funktionieren.

Riesi­ge Hürden auf Bundesebene

Auf Bundes­ebe­ne gibt es jedoch den großen Knack­punkt Vertei­di­gungs- und Außen­po­li­tik. SPD-Kandi­dat Scholz verlangt von einem etwaigen Koali­ti­ons­part­ner ein eindeu­ti­ges Bekennt­nis zur Nato — die Linke will den Nordat­lan­tik­pakt auflö­sen. Für Linken-Spitzen­kan­di­dat Dietmar Bartsch ist Scholz’ Forde­rung «Bekennt­nis­quatsch», der dem gemein­sa­men Regie­ren nicht im Wege stehen soll.

Seit Wochen rühmen die Spitzen der Linken die großen Gemein­sam­kei­ten mit den beiden Wunsch­part­nern in der Innen­po­li­tik. Bei Fragen wie einem höheren Mindest­lohn liege man beiein­an­der, sagte Linken-Chefin Janine Wissler am Montag­abend auch in einer Fernseh­de­bat­te der vier kleine­ren Partei­en und forder­te: «Wenn es am 26.9. eine Mehrheit gibt für SPD, Grüne und Linke, eine rechne­ri­sche, dann sollten wir ernst­haft darüber reden, wie wir einen Politik­wech­sel gestal­ten können.» Polito­lo­ge Brodocz ist da skeptisch. «Letzt­lich muss sich die Linke entschei­den, ob sie diese sehr große olivfar­be­ne «Nato-Kröte» schlu­cken will.» Sein Tipp: «Am Ende ist eine Ampel­ko­ali­ti­on aus meiner Sicht wahrscheinlicher.»

Auch ein rot-grünes Bündnis mit den Libera­len wäre jedoch politisch schwie­rig. FDP-Chef Chris­ti­an Lindner sagte jeden­falls in der TV-Debat­te: «Mir fehlt die Fanta­sie, welches Angebot Rot-Grün der FDP machen könnte.» Ausge­schlos­sen hat auch er nichts.

Von Verena Schmitt-Rosch­mann und Jörg Ratzsch, dpa