BERLIN (dpa) — Der Angriff Russlands auf die Ukrai­ne hat im Cyber­raum bereits lange vor dem Einmarsch der Truppen begon­nen. Sozia­le Medien wie Twitter, Telegram und Facebook sind zu einem Teil des Krieges geworden.

«Glauben Sie den Fälschun­gen nicht.» Mit einem knappen Satz auf Twitter und einem kurzen Video auf der Straße in Kiew konnte der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj am Wochen­en­de die Gerüch­te wider­le­gen, er sei untergetaucht.

«Wir werden die Waffen nicht nieder­le­gen, wir werden unseren Staat vertei­di­gen», sagte Selen­skyj in die Selfie-Kamera seines Smart­phones und räumte in einem Rutsch die russi­sche Kriegs­pro­pa­gan­da ab, er habe längst das Land verlassen.

Zahlrei­che Infor­ma­tio­nen — echt oder unecht

Auf Twitter, Facebook und Tiktok hat der Ukrai­ne-Konflikt ein Feuer­werk vermeint­li­cher oder auch echter Infor­ma­tio­nen ausge­löst. Das gilt auch für die in Russland und auch in der Ukrai­ne relevan­te­ren Diens­te Telegram und Vk, eine Art Facebook-Klon. Dabei fällt es selbst profes­sio­nel­len Beobach­tern nicht immer leicht, authen­ti­sche Berich­te vor Ort von gefälsch­ten Infor­ma­tio­nen, Fotos und Videos zu unterscheiden.

Manche Fälschun­gen sind aber leicht zu durch­schau­en. Das gilt etwa für den Versuch, Bilder und Berich­te von einem Beschuss eines Kinder­gar­tens in Luhansk am 17. Febru­ar durch pro-russi­sche Separa­tis­ten in Zweifel zu ziehen. Angeb­lich sei das Einschuss­loch in der Wand in der Turnhal­le von einem Bagger aufge­ris­sen worden, hieß es vor allem auf Telegram. Das Beweis­mit­tel, ein Foto mit dem Bagger, erwies sich schnell als plumpe Fälschung. Trotz­dem wird es noch heute mit der Falsch­be­haup­tung weitergereicht.

In anderen Fällen sind die Bilder nicht mit Photo­shop oder einer anderen Software manipu­liert, aber trotz­dem Teil einer großen Insze­nie­rung. Das gilt etwa für den Beitrag des russi­schen Staats­sen­ders RT über die Evaku­ie­rung von Dutzen­den Waisen­kin­dern, die von einem Kinder­heim im ostukrai­ni­schen Donezk nach Russland vor der vermeint­li­chen Gefahr durch das ukrai­ni­sche Militär in Sicher­heit gebracht werden.

Facebook: Kein Geld für Propagandawerbung

Manipu­la­ti­ve RT-Clips wie die insze­nier­te Kinder­gar­ten-Evaku­ie­rung wurden nicht nur massen­haft in sozia­len Medien platziert, sondern auch durch bezahl­te Anzei­gen von RT in den Nachrich­ten­strom auf Facebook einge­schleust. Doch dieser Kanal bleibt künftig versperrt. Facebook nimmt inzwi­schen kein Geld für Propa­gan­da­wer­bung mehr an und hat gleich­zei­tig die Werbe­fi­nan­zie­rung der RT-Inhal­te gestoppt.

Der Facebook-Konzern Meta weiger­te sich gleich­zei­tig auch, die Fakten­checks durch unabhän­gi­ge Medien­or­ga­ni­sa­tio­nen bei vier russi­schen Staats­me­di­en zu stoppen. Darauf­hin hat die russi­sche Regie­rung angekün­digt, die Nutzung der Meta-Diens­te Facebook, Insta­gram, Whats­App und Messen­ger einzu­schrän­ken, bestä­tig­te Facebook-Topma­na­ger Nick Clegg.

Meta steht hier nicht allein. Auch Twitter und Google kündig­ten an, sich Fake News und Cyber­an­grif­fen rund um den Ukrai­ne-Konflikt in den Weg zu stellen. «Unsere Teams für Bedro­hungs­in­for­ma­tio­nen halten weiter­hin nach Desin­for­ma­ti­ons­kam­pa­gnen, Hacking und finan­zi­ell motivier­tem Missbrauch Ausschau und unter­bin­den sie», kündig­te Google Europa auf Twitter an. «Wir arbei­ten mit anderen Unter­neh­men und relevan­ten Regie­rungs­be­hör­den zusam­men, um diese Bedro­hun­gen anzugehen.»

Für die Meinungs­bil­dung in der russi­schen Zivil­ge­sell­schaft werden diese Abwehr­maß­nah­men aber nur bedingt von Bedeu­tung sein. Die großen westli­chen Inter­net-Konzer­ne haben hier deutlich weniger Reich­wei­te als etwa in den USA oder Deutsch­land. Das liegt auch daran, dass die Diens­te in Russland zum Teil nur schlecht zu errei­chen sind.

Vor allem Telegram verbreitet

Viel wichti­ger als Twitter und Facebook ist in Russland die App Telegram, die nicht nur zum Austausch von persön­li­chen Nachrich­ten dient, sondern mit seinen Diskus­si­ons­grup­pen und Kanälen ein Social-Media-Netzwerk darstellt. Schät­zungs­wei­se jeder vierte russi­sche Einwoh­ner verfügt hier über einen Account. Hier können die russi­sche Regie­rung und die Staats­me­di­en ungestört ihre Propa­gan­da vertei­len, ohne Fakten­checks oder Löschun­gen befürch­ten zu müssen.

Dabei ist das Verhält­nis von Telegram zur russi­schen Staats­füh­rung nicht ungetrübt, auch weil dort russi­sche Opposi­tio­nel­le oder die ukrai­ni­schen Kriegs­geg­ner unzen­siert zu Wort kommen. So verfügt der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj über einen eigenen Telegram-Kanal, in dem auch seine aktuel­len Videos zu sehen sind. Im Jahr 2018 versuch­te die russi­sche Aufsichts­be­hör­de Roskom­n­ad­sor eine Sperrung von Telegram durch­zu­set­zen, weil der Dienst sich nach dem Terror­an­griff in Sankt Peters­burg im April 2017 mehrfach weiger­te, den Behör­den bei der Entschlüs­se­lung priva­ter Chats zu helfen. Telegram konnte die Sperr­maß­nah­men aller­dings technisch abwehren.

Telegram-Mitbe­grün­der Pawel Durow erklär­te am Wochen­en­de, Telegram habe nicht die Kapazi­tät, alle Veröf­fent­li­chun­gen auf ihre Richtig­keit zu überprü­fen. «Ich empfeh­le Nutzern aus Russland und der Ukrai­ne, derzeit misstrau­isch zu sein, was die Verbrei­tung von Daten über Telegram angeht. Wir wollen nicht, dass Telegram als Werkzeug zur Verschär­fung von Konflik­ten und zur Aufsta­che­lung von Zwietracht zwischen den Volks­grup­pen benutzt wird.» Zahlrei­che Nutzer hätten ihn gebeten, die Feeds für die Dauer des Konflikts nicht abzuschal­ten, da Telegram ihre einzi­ge Infor­ma­ti­ons­quel­le sei.

Kreml macht Druck mit Gesetz

Unter­des­sen erhöht Moskau den Druck auf die auslän­di­schen IT-Konzer­ne. Im vergan­ge­nen Novem­ber liste­te die Regie­rung 13 Unter­neh­men auf, die sich an ein neues Landes­ge­setz halten und einen festen Ansprech­part­ner für die russi­schen Börden zur Verfü­gung stellen müssen. Apple, Google, Spoti­fy und TikTok sind den Forde­run­gen inzwi­schen komplett nachge­kom­men, Twitter, Meta und Zoom zumin­dest teilwei­se. Telegram, Twitch, Discord und Pinte­rest haben bislang noch keine Aktio­nen unternommen.

Menschen­rechts­grup­pen wie die Londo­ner Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on «Artic­le 19» zeigten sich enttäuscht darüber, dass einige der Tech-Unter­neh­men das Gesetz ohne öffent­li­che Protes­te befolg­ten. Das eigent­li­che Ziel des Geset­zes sei, eine recht­li­che Grund­la­ge für eine umfas­sen­de Online-Zensur zu schaffen.

Unter­des­sen wandte sich der ukrai­ni­sche Minis­ter für Digita­li­sie­rung, Vize-Premier Mycha­j­lo Fedorow, in einem Brief an Apple-Chef Tim Cook und rief ihn auf, die Sanktio­nen gegen Russland durch Blockie­rung von Apple-Diens­ten einschließ­lich des App-Stores zu flankie­ren. «Wir brauchen ihre Unter­stüt­zung — im Jahr 2022 ist moder­ne Techno­lo­gie vielleicht die beste Antwort auf die Panzer, Mehrfach­ra­ke­ten­wer­fer (Grad) und Raketen», schrieb Fedorow auf Twitter.

Von Chris­toph Dernbach, dpa