WASHINGTON (dpa) — Mehr als Hundert­tau­send russi­sche Solda­ten sind nach Erkennt­nis­sen des Westens nahe der Grenze zur Ukrai­ne zusam­men­ge­zo­gen worden. Moskau kündigt an, weite­re Einhei­ten abzuzie­hen. Ein Einlenken?

Russland setzt inmit­ten des Konflikts mit der Ukrai­ne seinen angekün­dig­ten teilwei­sen Truppen­ab­zug nach dem Ende von Manövern fort.

Mehre­re Einhei­ten, die an Übungen auf der ukrai­ni­schen Schwarz­meer-Halbin­sel Krim betei­ligt waren, kehrten nun zu ihren Stand­or­ten zurück, teilte das Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um mit. Die Staats­agen­tur Ria Nowos­ti veröf­fent­lich­te ein Video, das einen Zug bei Dunkel­heit mit Panzern und anderen Militär­fahr­zeu­gen auf der Krim-Brücke zeigt.

Die Brücke führt von der Halbin­sel, die sich Russland 2014 einver­leibt hatte, aufs russi­sche Festland. Nicht mitge­teilt wurde zunächst, um wie viele Solda­ten es sich handelt. Auf der Halbin­sel ist zudem Militär dauer­haft stationiert.

Das Minis­te­ri­um hatte gestern vor dem Besuch von Bundes­kanz­ler Olaf Scholz bei Russlands Staats­chef Wladi­mir Putin in Moskau einen teilwei­sen Abzug von Solda­ten im Süden und Westen des Landes angekün­digt. Der Westen reagier­te zurück­hal­tend darauf. Andere Manöver wie die Übung im Nachbar­land Belarus liefen aber weiter.

Biden: Angriff auf Ukrai­ne noch immer möglich

US-Präsi­dent Joe Biden hält die befürch­te­te russi­sche Invasi­on in der Ukrai­ne weiter für möglich. Zu den Meldun­gen der russi­schen Regie­rung, einige Militär­ein­hei­ten zögen von der ukrai­ni­schen Grenze ab, sagte Biden gestern: «Das wäre gut, aber wir haben das noch nicht verifi­ziert.» Ein Einmarsch sei noch immer eine klare Möglich­keit. Falls Russland sich für den Weg der Gewalt entschei­de, würden die USA schnell und entschlos­sen handeln, drohte Biden in Richtung Kreml.

US-Präsi­dent wirbt für diplo­ma­ti­sche Lösung

Ähnlich wie Scholz in Moskau warb auch Biden erneut für eine diplo­ma­ti­sche Lösung im Ukrai­ne-Konflikt. «Wir sollten Diplo­ma­tie jede Chance auf Erfolg geben», sagte er. «Die Verei­nig­ten Staaten und die Nato stellen keine Bedro­hung für Russland dar. Die Ukrai­ne bedroht Russland nicht.» Die USA versuch­ten auch nicht, Russland zu desta­bi­li­sie­ren. Auch an die Bürge­rin­nen und Bürger Russlands richte­te Biden eine Botschaft: «Sie sind nicht unser Feind.» Man suche keine direk­te Konfron­ta­ti­on mit Russland.

Biden zufol­ge hat Russland mittler­wei­le mehr 150.000 Solda­ten unweit der ukrai­ni­schen Grenze zusam­men­ge­zo­gen. Ein Einmarsch in die Ukrai­ne bleibe also durch­aus möglich. «Deshalb habe ich mehrfach darum gebeten, dass alle Ameri­ka­ner in der Ukrai­ne jetzt abrei­sen, bevor es zu spät ist», sagte der US-Präsi­dent. Die Spreche­rin des Weißen Hauses, Jen Psaki, beton­te, dass ein tatsäch­li­cher Teilrück­zug der russi­schen Truppen ein positi­ves Signal wäre. Aber gerade mit Blick auf Russlands «Geschich­te von Opera­tio­nen unter falscher Flagge und Fehlin­for­ma­tio­nen» müsse man das nun erst einmal nachprü­fen, sagte sie.

Stolten­berg: «Bislang keine Deeska­la­ti­on gesehen»

Ähnlich vorsich­tig wie Biden hatte sich auch Nato-General­se­kre­tär Jens Stolten­berg zum angekün­dig­ten teilwei­sen russi­schen Truppen­ab­zug geäußert. «Bislang haben wir vor Ort keine Deeska­la­ti­on gesehen, keine Anzei­chen einer reduzier­ten russi­schen Militär­prä­senz an den Grenzen zur Ukrai­ne», sagte er.

Die Vertei­di­gungs­mi­nis­ter der 30 Nato-Staaten beraten heute in Brüssel über Planun­gen für eine zusätz­li­che Abschre­ckung Russlands. Angesichts des russi­schen Truppen­auf­mar­sches sollen so auch in südöst­lich der Ukrai­ne gelege­nen Nato-Ländern wie Rumäni­en multi­na­tio­na­le Kampf­trup­pen statio­niert werden.

Biden bekräf­tig­te erneut das Aus für die umstrit­te­ne deutsch- russi­sche Gaspipe­line Nord Stream 2, sollte Russland in die Ukrai­ne einmar­schie­ren. Aus der Pipeline werde dann nichts, sagte er. Die fertig gebau­te Leitung soll unter Umgehung der Ukrai­ne russi­sches Gas nach Deutsch­land bringen. Die USA sind seit jeher Gegner der Pipeline.

Biden droht Russland mit Sanktionen

Biden drohte Russland insge­samt erneut mit «gewal­ti­gen Sanktio­nen» im Fall eines Einmarschs. Dies würde sich für Russland als «selbst zugefüg­te Wunde» erwei­sen. Die Welt werde das nicht vergessen.

Die USA hatten erst am Montag angekün­digt, wegen der zugespitz­ten Lage ihre Botschafts­ge­schäf­te in der Ukrai­ne von Kiew nach Lwiw (Lemberg) unweit der Grenze Polens zu verle­gen. Die US-Regie­rung hatte zuletzt mehrfach davor gewarnt, dass Russland mögli­cher­wei­se noch vor dem Ende der Olympi­schen Winter­spie­le am 20. Febru­ar das Nachbar­land angrei­fen könnte und betont, dass ein solcher Angriff ohne Vorwar­nung gesche­hen könnte.

Russlands EU-Botschaf­ter Wladi­mir Tschi­schow wies Warnun­gen der USA vehement zurück, wonach mögli­cher­wei­se schon an diesem Mittwoch russi­sche Truppen ins Nachbar­land Ukrai­ne einmar­schie­ren würden. «Ich kann, soweit es Russland betrifft, versi­chern, dass es an diesem Mittwoch keinen Angriff geben wird. Es wird auch in der kommen­den Woche keine Eskala­ti­on geben, oder in der Woche danach, oder im kommen­den Monat», sagte Tschi­schow der «Welt» (Mittwoch). Er fügte hinzu: «Kriege in Europa begin­nen selten an einem Mittwoch.»