BERLIN (dpa) — Masken wirken, doch dafür müssen sie richtig getra­gen werden — das ist eine der zentra­len Aussa­gen der Sachver­stän­di­gen, die die Corona-Maßnah­men in Deutsch­land bewer­ten sollten. Die Reaktio­nen der Ampel fallen unter­schied­lich aus.

Schutz­maß­nah­men wie das Masken­tra­gen können nach Ansicht eines offizi­el­len Exper­ten­gre­mi­ums auch weiter gegen das Corona­vi­rus hilfreich sein. Zugangs­be­schrän­kun­gen nur für Getes­te­te sehen die Exper­tin­nen und Exper­ten ebenfalls als mögli­che sinnvol­le Aufla­ge an. Hinter vielen anderen bekann­ten Aufla­gen setzt der Sachver­stän­di­gen­aus­schuss, der seinen Bericht am Freitag in Berlin vorstell­te, große Frage­zei­chen — denn mangels ausrei­chen­der Daten seien keine siche­ren Bewer­tun­gen möglich.

Die FDP im Bundes­tag teilte in einer ersten Reakti­on mit, nun werde es keine tiefgrei­fen­de Grund­rechts­ein­grif­fe wegen Corona mehr geben. Aus Sicht der Grünen hat der mit Spannung erwar­te­te Evalua­ti­ons­be­richt nur begrenz­te Aussagekraft.

«Wir haben eine schlech­te Daten­la­ge», sagte der Virolo­ge Hendrik Streeck bei der Vorla­ge des Berichts. Die Wirkun­gen und Neben­wir­kun­gen einzel­ner bishe­ri­ger Schutz­maß­nah­men sind demnach kaum für sich genom­men zu beurtei­len. «Im Grunde sind das Maßnah­men­bün­del, wir können das nicht mehr auseinanderrechnen.»

Positi­ves Urteil über Masken:

Die einzel­nen Maßnah­men werden von den Exper­tin­nen und Exper­ten unter­schied­lich bewer­tet. So stell­te Streeck fest: «Masken wirken — das muss man deutlich sagen.» Aber, so der Bericht: «Eine schlecht sitzen­de und nicht eng anlie­gen­de Maske hat jedoch einen vermin­der­ten bis keinen Effekt.» Da das Corona­vi­rus drinnen eher übertra­gen werden könne als draußen, «sollte eine Masken­pflicht zukünf­tig auf Innen­räu­me und Orte mit einem höheren Infek­ti­ons­ri­si­ko beschränkt bleiben», so das Gremium.

«Eine generel­le Empfeh­lung zum Tragen von FFP2-Masken ist aus den bishe­ri­gen Daten nicht ableit­bar», so das Gutach­ten weiter. Streeck sagte: «Da sollte sich eine geson­der­te Kommis­si­on einmal mit beschäf­ti­gen.» Im Übrigen stell­te der Virolo­ge heraus: «Es kommt sehr darauf an, dass der Mensch auch mitma­chen will.»

Die Wirkung von Lockdowns:

Das gelte auch für die Wirkun­gen von Lockdowns. «Wenn erst wenige Menschen infiziert sind, wirken Lockdown-Maßnah­men deutlich stärker», so das Gutach­ten. Je länger ein Lockdown dauere und je weniger Menschen bereit seien, die Maßnah­me mitzu­tra­gen, desto gerin­ger sei der Effekt. Bei vielen sinkt laut den Wissen­schaft­lern die Bereit­schaft mit der Zeit. Ähnlich wie bei den Lockdown-Maßnah­men sei auch die Kontakt­nach­ver­fol­gung vor allem in der Frühpha­se der Pande­mie wirksam gewesen.

Zugangs­be­schrän­kun­gen und Tests:

Einen hohen Effekt messen die Exper­tin­nen und Exper­ten Zugangs­be­schrän­kun­gen auf Geimpf­te, Genese­ne und/oder Getes­te­te bei, sogenann­ten 2G/3G-Maßnah­men — aber vor allem in den ersten Wochen nach der Booster­imp­fung oder der Genesung. Der Schutz vor einer Infek­ti­on lasse mit der Zeit deutlich nach.

In der aktuel­len Phase der Pande­mie sei die Beurtei­lung der Wirkung solcher Beschrän­kun­gen schwie­rig. Wenn diese nötig würden, sollte zunächst eine Testung unabhän­gig vom Impfsta­tus als Zutritts­be­din­gung empfoh­len werden. Wie gut eine Eindäm­mung über Testung funktio­nie­ren könne, müsse aber weiter erforscht werden.

Wirkung von Schul­schlie­ßun­gen offen:

Weiter­hin offen sei die genaue Wirksam­keit von Schul­schlie­ßun­gen auf die Eindäm­mung der Ausbrei­tung des Virus. Weil zeitgleich mehre­re Maßnah­men einge­führt wurden, könne demnach deren Effekt allein nicht gemes­sen werden. Das Gremi­um stellt zugleich fest, dass im Gegen­satz dazu aber die «nicht-inten­dier­ten Wirkun­gen» durch­aus unter­sucht worden seien. Das Gremi­um rät, eine weite­re Exper­ten­kom­mis­si­on sollte diese nicht beabsich­tig­ten Folgen «unter beson­de­rer Berück­sich­ti­gung des Kindes­wohls» genau prüfen.

Die Sachver­stän­di­ge Jutta Allmen­din­ger, Präsi­den­tin des Wissen­schafts­zen­trums Berlin für Sozial­for­schung, sagte, nötig sei «so etwas wie ein Rechts­an­spruch auf ein Mindest­maß an sozia­len Kontak­ten». In Famili­en sei es zu einem «Rückfall in alte Geschlech­ter­rol­len» und zu einem «unglaub­li­chen Ausmaß an menta­ler Erschöp­fung» gekommen.

Reaktio­nen aus der Koalition:

«Die Bewer­tung der Corona-Maßnah­men ist in weiten Teilen vernich­tend», sagte FDP-Frakti­ons­chef Chris­ti­an Dürr der Deutschen Presse-Agentur. «Für uns Freie Demokra­ten steht eines fest: Tiefgrei­fen­de Grund­rechts­ein­grif­fe wie Lockdowns oder Schul­schlie­ßun­gen wird es nicht mehr geben.» Gemäß dem Urteil der Exper­tin­nen und Exper­ten seien derar­ti­ge Einschrän­kun­gen weder wirksam noch angemes­sen gewesen. Nun würden die Schutz­maß­nah­men für den Herbst beraten. Nur mit einer besse­ren Daten­la­ge könnten evidenz­ba­sier­te Entschei­dun­gen getrof­fen werden.

Der Grünen-Gesund­heits­exper­te Janosch Dahmen sagte der dpa hinge­gen: «Die Aussa­ge­kraft des Berichts ist (…) begrenzt.» An vielen Stellen weise er auf Unsicher­hei­ten hin. «Die Abwesen­heit von Evidenz zur Wirksam­keit ist keine Evidenz für die Abwesen­heit von Wirksam­keit», stell­te Dahmen fest.

Übergang zur Endemie:

Dem Sachver­stän­di­gen­aus­schuss gehören Wissen­schaft­ler verschie­de­ner Fachrich­tun­gen an. Die Evalua­ti­on sollte im Auftrag des Gesetz­ge­bers vor allem die Vorga­ben im Rahmen der «epide­mi­schen Lage von natio­na­ler Tragwei­te» beleuch­ten. Diese Lage bestand über Monate bis Ende Novem­ber 2021. Sie ermög­lich­te viele Auflagen.

Insge­samt müssten sich die gegen­wär­ti­gen und zukünf­ti­gen Maßnah­men auf den «Übergang zur Endemie» mit dem Schutz der beson­ders gefähr­de­ten Gruppen konzen­trie­ren, so das Gutach­ten. Eine Endemie bedeu­tet, dass eine Krank­heit in einer Bevöl­ke­rung ständig auftritt und nicht mehr ganz verschwin­det. Zudem müsse eine Überlas­tung des Gesund­heits­we­sens vermie­den werden.

Weite­re Reaktionen:

Die Amtsärz­te bestan­den auf der Möglich­keit von Aufla­gen. «Auch ein Lockdown muss als eines der letzten Instru­men­te grund­sätz­lich möglich sein», sagte der Vorsit­zen­de des Verban­des der Ärztin­nen und Ärzte des Öffent­li­chen Gesund­heits­diens­tes, Johan­nes Nießen, den Zeitun­gen der Funke Medien­grup­pe (Freitag). «Im absolu­ten Ernst­fall müssen die Landes­re­gie­run­gen wieder zügig Betrie­be und Schulen schlie­ßen können.»

Von Basil Wegener und Sascha Meyer, dpa