LONDON (dpa) — Die briti­sche Premier­mi­nis­te­rin Liz Truss hat mit atembe­rau­ben­der Geschwin­dig­keit den Rückhalt in ihrer Partei und im Land verspielt. Nun muss sie vors Parlament.

Die briti­sche Premier­mi­nis­te­rin Liz Truss muss sich erstmals seit ihrer Kehrt­wen­de in der Steuer­po­li­tik im Parla­ment den Fragen der Abgeord­ne­ten stellen. Für die Vorsit­zen­de der Konser­va­ti­ven steht an diesem Mittwoch im Unter­haus viel auf dem Spiel: Ein schwa­cher Auftritt könnte die Regie­rungs­chefin weiter schwä­chen und ihren Sturz beschleu­ni­gen. Die 47-Jähri­ge steht Opposi­ti­ons­chef Keir Starmer von der Labour-Partei gegen­über, die derzeit in allen Umfra­gen klar führt. Doch am meisten zu fürch­ten hat Truss die Mitglie­der ihrer eigenen Fraktion.

Die Opposi­ti­on hatte am Montag bereits vergeb­lich gefor­dert, Truss solle Rede und Antwort stehen. Dass die Premier­mi­nis­te­rin statt­des­sen ihren neuen Finanz­mi­nis­ter Jeremy Hunt vorschick­te und wortlos im Parla­ment zuhör­te, wie er ihre erst kürzlich angekün­dig­ten Steuer­erleich­te­run­gen Stück für Stück rückgän­gig machte, brach­te ihr Spott und Kritik ein.

Die 180-Grad-Wende in der Steuer­po­li­tik galt als unaus­weich­lich, nachdem die ohne Gegen­fi­nan­zie­rung vorge­stell­ten Erleich­te­run­gen schwe­re Turbu­len­zen an den Finanz­märk­ten ausge­löst hatten. Ex-Finanz­mi­nis­ter Kwasi Kwart­eng musste deshalb seinen Stuhl räumen.

Mehrheit der Konser­va­ti­ven wollen den Rücktritt

Auch wenn sich die Märkte inzwi­schen etwas beruhigt haben, gilt die Regie­rungs­chefin sechs Wochen nach ihrem Amtsan­tritt bereits als so gut wie erledigt. Einer Umfra­ge zufol­ge haben 80 Prozent der Briten eine negati­ve Meinung von ihr. Mehr als die Hälfte der Mitglie­der der Konser­va­ti­ven wünscht sich ihren Rücktritt.

Bei einer Kabinetts­sit­zung am Diens­tag räumte Truss ein, einen Fehler gemacht zu haben. Die Steuer­erleich­te­run­gen seien zu schnell gekom­men und und zu weitge­hend gewesen, sagte Truss einem Sprecher zufol­ge. Sie habe aber versi­chert, weiter­hin vollkom­men ihrer Wachs­tum­sagen­da verpflich­tet zu sein. Ihrem Vorgän­ger Boris Johnson war mit starken Auftrit­ten im Unter­haus in Krisen­zei­ten immer wieder der Befrei­ungs­schlag gelun­gen. Truss jedoch gilt als rheto­risch nicht beson­ders begabt.

Bleibt der Rückhalt hörbar?

Neben ihrem eigenen Auftritt bei der als Prime Minister’s Questi­on Time bekann­ten Frage­stun­de (13 Uhr MESZ) dürfte viel Aufmerk­sam­keit auch das Maß an Unter­stüt­zung bekom­men, das Truss von ihren Abgeord­ne­ten erhält. Die Tories, wie die Konser­va­ti­ven in Großbri­tan­ni­en auch genannt werden, sind dafür bekannt, ihren Partei­chefs bei Parla­ments­de­bat­ten lautstark beizu­pflich­ten. Bleibt das aus, würde das als Zeichen gewer­tet, dass sie an Rückhalt verlo­ren haben.

Fünf Abgeord­ne­te ihrer Frakti­on hatten inzwi­schen öffent­lich die Ablösung von Truss gefor­dert. Viele weite­re haben Medien­be­rich­ten zufol­ge intern ihren Unmut geäußert. Erwar­tet wird aber, dass sich die konser­va­ti­ve Frakti­on vor einem Sturz der Premier­mi­nis­te­rin auf einen Nachfol­ge­kan­di­da­ten einigen will, um ein weite­res zeitrau­ben­des Auswahl­ver­fah­ren mit Befra­gung der Partei­mit­glie­der zu vermeiden.

Als Favorit gilt Ex-Finanz­mi­nis­ter Rishi Sunak, der im Rennen um die Johnsons Nachfol­ge im Sommer gegen Truss unter­le­gen war. Ebenfalls als aussichts­reich gelten die für Parla­ments­fra­gen zustän­di­ge Minis­te­rin Penny Morda­unt und Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Ben Wallace. Auch der heuti­ge Finanz­mi­nis­ter Hunt wird ins Spiel gebracht.