HAMBURG (dpa) — Canna­bis gilt als vergleichs­wei­se harmlo­se Droge. Doch bei Jugend­li­chen kann der Wirkstoff schwe­re Schäden im Gehirn anrich­ten. Bluti­ge Verbre­chen psychisch kranker Konsu­men­ten sorgen für Aufsehen.

Im Febru­ar finden Polizis­ten in einer Wohnung in Hamburg-Bramfeld zwei fürch­ter­lich zugerich­te­te Frauen­lei­chen. Wie sich im Prozess vor dem Landge­richt heraus­stellt, hat ein 29-Jähri­ger seine Freun­din erwürgt, die Leiche zerstü­ckelt und seine Mutter mit 63 Messer­sti­chen getötet.

Der Deutsche ist schuld­un­fä­hig, hat schlim­me Wahnvor­stel­lun­gen und ist psychisch krank. Ursache der parano­iden Schizo­phre­nie ist einem Gutach­ter zufol­ge langjäh­ri­ger Canna­bis-Konsum. Das Schwur­ge­richt weist den 29-Jähri­gen im Septem­ber in die geschlos­se­ne Psych­ia­trie ein.

Die Vorsit­zen­de Richte­rin Jessi­ca Koerner nutzt die Urteils­ver­kün­dung zu einem Appell an die Öffent­lich­keit: Haschisch und Marihua­na seien nicht so harmlos wie oftmals darge­stellt. Langjäh­ri­ger Konsum berge die Gefahr schwer­wie­gen­der psychi­scher Erkran­kun­gen. Canna­bis könne wie Kokain bei völlig unauf­fäl­li­gen Menschen mit einer bestimm­ten geneti­schen Dispo­si­ti­on Schizo­phre­nie und Wahnvor­stel­lun­gen auslö­sen. «Leider scheint diese Erkennt­nis in der Öffent­lich­keit kaum verbrei­tet zu sein», erklär­te die Richterin.

Mehre­re Fälle in Hamburg in wenigen Monaten

Der Kinder- und Jugend­psych­ia­ter Rainer Thoma­si­us geht davon aus, dass die Fälle von parano­ider Schizo­phre­nie, bei denen die Betrof­fe­nen gewalt­tä­tig werden, selten sind. Aber: Für die Straf­kam­mer in Hamburg sei es nun schon der dritte Fall inner­halb weniger Monate, bei dem ein Täter im Wahn zustach, um zu töten, so Koerner.

Im Juni hatte das Gericht einen anderen jungen Mann in ein psych­ia­tri­sches Kranken­haus einge­wie­sen. Der Deutsche hatte seine Mutter mit 30 Messer­sti­chen umgebracht, wie ein Gerichts­spre­cher sagte. Ebenfalls im Sommer ordne­te die Straf­kam­mer die Unter­brin­gung eines Mannes an, der einem anderen ein Messer in den Rücken gesto­ßen hatte. In diesem Fall stell­te das Gericht eine gefähr­li­che Körper­ver­let­zung fest.

Sicht­ba­re Hirnschä­den möglich

Regel­mä­ßi­ger Canna­bis-Konsum sei gerade bei Jugend­li­chen und Heran­wach­sen­den sehr gefähr­lich, erklärt Thoma­si­us, Leiter des Deutschen Zentrums für Sucht­fra­gen des Kindes- und Jugend­al­ters am Univer­si­täts­kli­ni­kum Eppen­dorf (UKE). Eine kürzlich vorge­leg­te Studie habe mithil­fe bildge­ben­der Verfah­ren bei Menschen und Experi­men­ten an Mäusen gezeigt, dass die Entwick­lung des Gehirns unter dem Einfluss des Canna­bis-Wirkstoffs THC Schaden nehme.

Die Folge seien nicht nur vermin­der­te Intel­li­genz, Aufmerk­sam­keit und Konzen­tra­ti­ons­fä­hig­keit. Auch die Gefahr, an einer Psycho­se zu erkran­ken, erhöhe sich, und zwar um den Faktor 3,2, bei starkem Konsum von Canna­bis mit einem Wirkstoff­ge­halt von über zehn Prozent sogar um den Faktor 4,8. Das habe eine 2019 in der Fachzeit­schrift «The Lancet Psych­ia­try» veröf­fent­lich­te Studie gezeigt.

Eine Unter­su­chung aus Ulm habe ergeben, dass sich die Zahl der statio­nä­ren Behand­lungs­fäl­le wegen psycho­ti­scher Störun­gen durch Canna­bis-Konsum in der dorti­gen psych­ia­tri­schen Univer­si­täts­kli­nik zwischen 2011 und 2019 veracht­facht habe. «Das ist schon sehr beein­dru­ckend», sagte Thoma­si­us. Es sei aber auch die einzi­ge Studie zu dem Thema, die er aus Deutsch­land kenne.

Polizei­sta­tis­ti­ken aus Ländern, in denen der Canna­bis-Konsum legal sei wie in einigen US-Staaten, deute­ten auf eine Zunah­me von Gewalt­de­lik­ten im Zusam­men­hang mit der Droge hin, so Thoma­si­us. Es sei jedoch unklar, wie seriös diese Statis­ti­ken unter diesem Gesichts­punkt seien.

Zahl der Konsu­men­ten deutlich gestiegen

Die Zahl der Canna­bis-Konsu­men­ten in Europa ist nach einer neuen Studie zwischen 2010 und 2019 um ein Viertel gewach­sen. Auch der beson­ders riskan­te tägli­che oder fast tägli­che Konsum habe zugenom­men, fanden Forscher des Zentrums für inter­dis­zi­pli­nä­re Sucht­for­schung am UKE und der Techni­schen Univer­si­tät Dresden heraus. Die Wissen­schaft­ler werte­ten öffent­lich zugäng­li­che Daten aus der EU, Großbri­tan­ni­en, Norwe­gen und der Türkei aus. Auch der THC-Gehalt der Droge habe zugenom­men. Bei Haschisch habe er sich verdrei­facht, bei Canna­bis­blü­ten fast verdop­pelt, schrie­ben die Wissen­schaft­ler im Fachma­ga­zin «The Lancet Regio­nal Health — Europe».

«Mögli­cher­wei­se ist mit der Zunah­me des durch­schnitt­li­chen THC-Gehalts auch eine Zunah­me der Gesund­heits­ge­fah­ren für die Konsu­mie­ren­den verbun­den», sagte Studi­en­lei­ter Jakob Manthey. Das müssten weite­re Unter­su­chun­gen klären. Unter­des­sen könnte der Canna­bis-Konsum auch in Deutsch­land bald legal sein. Grüne und FDP machen sich dafür bei den aktuel­len Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen stark.

Von Bernhard Spren­gel, dpa