BERLIN (dpa) — Es war die wichtigs­te Wahl des Jahres und der erste wirkli­che Stimmungs­test für Kanzler und Opposi­ti­ons­füh­rer nach der Bundes­tags­wahl. Das Ergeb­nis ist sehr viel deutli­cher als erwartet.

Es ist der erste zählba­re Dämpfer für Bundes­kanz­ler Olaf Scholz nach seinem Wahlsieg vor fast acht Monaten. Und er fällt ziemlich heftig aus.

Bei der wichtigs­ten Wahl des Jahres im größten Bundes­land der Republik kommt seine SPD mit 26,7 Prozent nach dem vorläu­fi­gen amtli­chen Ergeb­nis auf das schlech­tes­te Wahler­geb­nis in der 76-jähri­gen Geschich­te Nordrhein-Westfa­lens. Angesichts des überra­schend deutli­chen Rückstands zum Wahlsie­ger CDU dürfte es Spitzen­kan­di­dat Thomas Kutscha­ty sehr schwer haben, eine Regie­rung zu bilden.

Die Kommen­tie­rung mussten im Berli­ner Willy-Brandt-Haus am Sonntag­abend erst einmal Partei­chef Lars Kling­beil und General­se­kre­tär Kevin Kühnert überneh­men, die das Ergeb­nis aber ganz und gar nicht als Nieder­la­ge auf ganzer Linie werten wollten. «Wenn es eine Möglich­keit gibt, eine Regie­rung unter Führung der SPD zu bilden, dann werden wir selbst­ver­ständ­lich den anderen Partei­en dafür Gesprä­che anbie­ten», sagte Kühnert zuerst. Kling­beil verwies darauf, dass das Ziel erreicht sei, die schwarz-gelbe Regie­rung abzuwäh­len. Wenn es eine Möglich­keit gebe, eine SPD-geführ­te Regie­rung zu bilden, «dann bieten wir als SPD an, diese Chance zu ergreifen».

Das hörte sich schon sehr nach Armin Laschet an, der als CDU/C­SU-Spitzen­kan­di­dat trotz verlo­re­ner Bundes­tags­wahl am Wahlabend einen Macht­an­spruch formulierte.

Scholz hat sich richtig reinge­hängt in NRW

Wieviel Anteil an der SPD-Schlap­pe der Ukrai­ne-Kurs des Kanzlers und seine sinken­den Beliebt­heits­wer­te haben, lässt sich nicht genau bezif­fern. Fest steht aber: Scholz hat diese Wahl ein Stück weit auch zu seiner eigenen gemacht. Gerade in der Endpha­se hängte er sich noch einmal richtig für Kutscha­ty rein. Auf Wahlpla­ka­ten für die letzten zwei Wochen der Kampa­gne waren Kanzler und Kandi­dat neben dem Slogan zu sehen: «Gemein­sam für NRW und Deutsch­land.» Noch am Freitag traten sie zusam­men auf einer Großver­an­stal­tung am Kölner Dom vor 1500 Zuschau­ern auf.

Scholz wird am Montag erklä­ren müssen, wieviel Verant­wor­tung er für die Wahlschlap­pe bei sich sieht. Auf seine Politik in der Ukrai­ne-Krise wird das Wahler­geb­nis wohl kaum Einfluss haben. Sich nach Umfra­gen und Wahler­geb­nis­sen in den Ländern zu richten, passt nicht zum Kanzler.

Merz in der Erfolgsspur

Für CDU-General­se­kre­tär Mario Czaja sind die Äußerun­gen aus der SPD zum Wahlaus­gang die klassi­sche Vorla­ge für eine süffi­san­te Spitze. Die CDU habe als stärks­te Kraft in NRW den Regie­rungs­auf­trag, auch die Grünen könnten starke Gewin­ne verbu­chen — für die SPD jeden­falls gebe es keinen Auftrag, eine Regie­rung zu schmie­den. Vielleicht brauche Kühnert noch einen Moment, um das zu verkraf­ten, teilt Czaja aus. SPD-General­se­kre­tär Kevin Kühnert hatte zuvor darauf beharrt, seine Partei werde den anderen Partei­en nach Möglich­keit Gesprä­che zur Regie­rungs­bil­dung anbieten.

Der neue CDU-Chef Fried­rich Merz dürfte nach dem zweiten Wahler­folg seiner Partei inner­halb einer Woche — am vergan­ge­nen Sonntag hatte Daniel Günther in Schles­wig-Holstein mit überra­schen­den 43,4 Prozent- die Landtags­wahl gewon­nen — erleich­tert und in Feier­lau­ne sein. Wie Scholz hatte sich der Sauer­län­der in seinem Heimat­land NRW im Wahlkampf beson­ders ins Zeug gelegt. Mit dem Erfolg von Hendrik Wüst habe sich Merz stabi­li­siert, glauben sie denn auch in der CDU.

Czaja findet in seiner Stellung­nah­me sehr freund­li­che Worte für die Grünen, gratu­liert ausdrück­lich zu ihren Zugewin­nen. Die hätten auch mit der «guten Arbeit» der Grünen-Minis­ter in der Ampel-Regie­rung im Bund zu tun, versucht er, etwas Zwietracht in der Bundes­re­gie­rung zu säen. Hinter vorge­hal­te­ner Hand hoffen manche in der CDU sogar, die gesam­te Ampel könne angesichts auch drasti­scher Verlus­te der FDP erschüt­tert werden.

Regie­rungs­bil­dung strahlt in die Bundes­po­li­tik aus

Von der bevor­ste­hen­den Regie­rungs­bil­dung wird auf jeden Fall ein bundes­po­li­ti­sches Signal ausge­hen. Die entschei­den­de Rolle kommt dabei den Grünen zu, die ihr Wahler­geb­nis von 2017 fast verdrei­facht — von 6,4 Prozent auf 18,2 Prozent. Die Grünen müssen sich nun zunächst einmal zwischen CDU und SPD entschei­den. Mit der CDU wäre nach den ersten Zahlen auf jeden Fall ein Zweier­bünd­nis möglich, mit der SPD nur vielleicht. Mit einem krachen­den Wahlver­lie­rer mit knapper Mehrheit zu regie­ren, wäre ein größe­res und erscheint deswe­gen als unwahr­schein­li­che Option.

Sollte es also zu Schwarz-Grün kommen, würden drei der fünf bevöl­ke­rungs­reichs­ten Bundes­län­dern von Zweier­bünd­nis­sen aus CDU und Grünen regiert: Neben Nordrhein-Westfa­len auch Baden-Württem­berg und Hessen. Die Grünen sind längst nicht mehr auf die SPD als Koali­ti­ons­part­ner abonniert. Insge­samt sitzen sie in fünf Landes­re­gie­rung (Zweier- und Dreier­ko­ali­tio­nen) mit der CDU und in sieben mit der SPD. Also kein großer Unter­schied mehr.

Eine Regie­rungs­be­tei­li­gung im größten Bundes­land würde den Grünen weite­ren Schub geben auf ihrem Weg aus der politi­schen Nische einer Partei, die sich vor allem um Umwelt- und Klima­fra­gen kümmert. Damit der Image­wan­del funktio­niert, müssen sich die Grünen in Regie­rungs­ver­ant­wor­tung bewei­sen wie aktuell im Bund. Verant­wor­tung macht wählbar. Eine Koali­ti­on über politi­sche Lager hinweg mit der konser­va­ti­ve­ren CDU hätte durch­aus ihre Reize — man kann das schließ­lich als weite­ren Beleg politi­scher Aufge­schlos­sen­heit und Sachori­en­tie­rung begreifen.

FDP kommt unter die Räder

Die FDP konnte nicht wie erhofft von der Debat­te um die Regie­rungs­bil­dung profi­tie­ren und stürz­te nach satten 12,6 Prozent in 2017 auf 5,9 Prozent ab. Nach den ersten Hochrech­nun­gen war nicht einmal klar, ob sie in den Landtag kommen. Bei der Saar-Wahl waren die Libera­len geschei­tert, in Schles­wig-Holstein halbier­ten sie wie in Nordrhein-Westfa­len ihr Ergeb­nis der letzten Wahl. Insge­samt gar kein guter Start für Partei­chef Chris­ti­an Lindner in die Regie­rungs­ver­ant­wor­tung im Bund.

Linke kriegt die Kurve nicht

Zu den Verlie­rern zählt auch wieder die Linke. Die in einer tiefen Krise stecken­de Partei bekommt auch in Nordrhein-Westfa­len die Kurve nicht und schei­tert mit 2,1 Prozent wieder an der Fünf-Prozent-Hürde. Bei der schwer taumeln­den Bundes­par­tei wird es nun erstmal heißen: Augen zu und durch. Die Neuauf­stel­lung der Partei ist ja ohnehin schon beschlos­se­ne Sache. Ende Juni wird die gesam­te Spitze neu gewählt. Viel mehr geht erstmal nicht. Danach mal schau­en, ob es hilft.

AfD bleibt weite­rer Rauswurf erspart

Der AfD bleibt nach der Schlap­pe in Schles­wig-Holstein ein weite­rer Rauswurf aus einem Landtag nach den ersten Hochrech­nun­gen erspart — wenn auch nur knapp mit 5,4 Prozent.

Von Micha­el Fischer, Jörg Blank und Marti­na Herzog, dpa