Viele Branchen leiden in der Corona-Krise. Die ästhe­tisch-plasti­sche Chirur­gie mit Botox und Fettab­sau­gung erlebt jedoch eine Art Boom. Das hat auch etwas mit Maske und Homeof­fice zu tun.

BERLIN/FRANKFURT/STUTTGART (dpa) — Die Behand­lun­gen seien riskant, meist unnötig, die Ärzte windig und die Ergeb­nis­se in vielen Fällen nur so na ja — so lautet das Klischee. Schön­heits­ope­ra­tio­nen finden viele gar nicht schön.

Thema werden sie meist nur negativ, etwa wenn Promis seltsam ausse­hen, junge Leute angeb­lich ihrem Selfie-Filter nachei­fern oder Frauen für den Traum vom «Brazi­li­an Butt» bei einer Po-Vergrö­ße­rung mit Eigen­fett­trans­plan­ta­ti­on sterben.

Doch die Einstel­lung zur ästhe­tisch-plasti­schen Chirur­gie befin­det sich im Wandel. In der Corona-Krise liegen Schön­heits-OPs gerade­zu im Trend. Die Pande­mie gilt als Gelegen­heit, bei sich «etwas machen zu lassen», wie es gern diskret formu­liert wird.

Das Spiegel­bild bleibt auch im Lockdown

«Die Art der Nachfra­ge nach ästhe­ti­schen Behand­lun­gen hat sich in der Corona-Krise verän­dert», sagt der Facharzt Dennis von Heimburg in Frank­furt am Main, langjäh­ri­ger Präsi­dent der Verei­ni­gung der Deutschen Ästhe­tisch-Plasti­schen Chirur­gen (VDÄPC). Und Lutz Klein­schmidt aus Bergisch-Gladbach, Vorstands­mit­glied bei der Deutschen Gesell­schaft für Ästhe­tisch-Plasti­sche Chirur­gie (DGÄPC) sagt: «Durch die Covid-19-Pande­mie wurden die gesell­schaft­li­chen Anläs­se zwar selte­ner, aber das eigene Spiegel­bild blieb bestehen.»

Die Lockdowns sorgen etwa für den Wunsch nach straf­fe­ren Augen­par­tien. In Masken­zei­ten schau­en sich Menschen mehr in die Augen. Video-Konfe­ren­zen führen außer­dem dazu, dass sich viele länger selbst betrach­ten und mehr angese­hen werden. Auch Lippen­kor­rek­tu­ren mit Fillern sind nach Angaben von Exper­ten häufi­ger gefragt. Die OPs am Mund lassen sich anfangs gut unter der Maske verstecken.

Insge­samt gebe es ein neues Körper­be­wusst­sein in der Krise, sagt der Arzt Murat Dagde­len in Düssel­dorf. Das Inter­es­se an Fettab­sau­gun­gen steige, nicht zuletzt weil einige in der Homeof­fice-Zeit zugelegt haben. Manche nutzten die Corona-Krise zur Selbst­op­ti­mie­rung. «Die Patien­ten haben mehr Zeit, sich mit ihrem Äußeren zu beschäftigen.»

In Berlin plaudert ein Arzt in Kudamm-Nähe aus dem Nähkäst­chen: Gerade beim Entfer­nen und Abbau von Fettge­we­be gebe es so viele Möglich­kei­ten, dass sich auch der Laie denken könne, dass das perfek­te Verfah­ren wohl noch nicht gefun­den sei.

Zu nennen wären neben der Fettab­sau­gung für ein paar tausend Euro (die auch nur örtlich betäubt möglich ist) zum Beispiel die laser­as­sis­tier­te Liposuk­ti­on, die Kryoli­po­ly­se (Fettzel­len­be­hand­lung mit Kälte) oder die Injek­ti­ons­li­po­ly­se (Fettweg­sprit­ze mit Phospha­ti­dyl­cho­lin aus der Sojapflanze).

Vorteil 2020 und 2021: In Zeiten von Kontakt­be­schrän­kun­gen fallen Eingrif­fe mit einer Auszeit im Anschluss im Sozial­le­ben kaum auf. Auch blaue Flecken, Schwel­lun­gen, Rötun­gen, wie sie nach den heutzu­ta­ge meist minimal­in­va­si­ven Opera­tio­nen üblich sind, lassen sich mit weniger Aufwand als in norma­len Zeiten kaschie­ren. Studi­en zufol­ge verschweigt eine Mehrheit der Patien­tin­nen und Patien­ten gegen­über Kolle­gen und Freun­den nach wie vor eine Schönheits-OP.

Laut DGÄPC hat sich die Nachfra­ge bestimm­ter Berufs­grup­pen in der Pande­mie verstärkt. Andrea Fornoff, Leite­rin der Klinik für Plasti­sche Chirur­gie in Deger­loch (Stutt­gart), sagt, dass etwa mehr Lehre­rin­nen und Lehrer und Menschen, die in der Verwal­tung tätig seien, Termi­ne bei ihr machten. «Also Leute, die ein gesicher­tes Einkom­men haben. Es gibt aber daneben auch die breite Schicht derer, die es sich jetzt nicht mehr mal eben so leisten können, etwa Friseu­rin­nen und Friseu­re oder Beschäf­tig­te aus der Gastronomie.»

Homeof­fice erleich­tert Heilung

Es müsse eben finan­zi­ell und organi­sa­to­risch gut zu machen sein, sagt Fornoff. «Es sind vermehrt Leute, die vorwie­gend oder häufig zu Hause arbei­ten.» Arbei­ten im Homeof­fice erleich­te­re das Ausku­rie­ren. Außer­dem: Viele Patien­ten nutzten wohl ihre Reise­kas­se und leiste­ten sich eine Schön­heits-OP statt in den Urlaub zu fahren.

Ein zentra­les deutsches Regis­ter für Schön­heits­ope­ra­tio­nen gibt es nicht. Hochge­rech­net sind es aber Hundert­tau­sen­de jährlich in Deutsch­land. Laut einer nicht-reprä­sen­ta­ti­ven Umfra­ge bei DGÄPC-Mitglie­dern waren die Top 5 der ästhe­ti­schen Behand­lun­gen vergan­ge­nes Jahr Falten­un­ter­sprit­zun­gen (etwa mit Hyalu­ron­säu­re) und Botox-Behand­lun­gen (Botuli­num­to­xin). Mit Abstand folgen dann Brust­ver­grö­ße­rung, Oberlid­s­traf­fung und Fettabsaugung.

Laut Inter­na­tio­na­ler Gesell­schaft für Ästhe­tisch-Plasti­sche Chirur­gie (ISAPS) mit Sitz im US-Staat New Hampshire gehört Deutsch­land zu den Ländern mit den meisten Schön­heits-OPs — Tendenz steigend. Die Top-10-Länder waren zuletzt die USA, Brasi­li­en, Japan, Mexiko, Itali­en, Deutsch­land, Türkei, Frank­reich, Indien und Russland.

Nach wie vor dominie­ren Frauen und ihre Nachfra­ge den Markt. Nur etwa 10 bis 15 Prozent der Behand­lun­gen werden an Männern vorge­nom­men. Problem­zo­nen bei Herren sind Bauch, Brust und Doppel­kinn. Ein Trend ist zum Beispiel der künst­li­che Wasch­brett­bauch. Beim «Abdomi­nal sculp­ting» kommen keine Silikon­im­plan­ta­te zur Anwen­dung, sondern Fett wird definie­rend abgesaugt. Beim «Abdomi­nal etching» (auch Body-banking genannt) wird Fettge­we­be um die Muskeln transplantiert.

Die Stutt­gar­ter Plasti­sche Chirur­gin Fornoff hat beobach­tet, dass sich Männer schnel­ler entschei­den als Frauen. «Wenn sich Männer in der Sprech­stun­de vorstel­len, dann haben sie häufig schon den Entschei­dungs­pro­zess durch­lau­fen und beschlos­sen, das jetzt durch­zu­zie­hen. Frauen sind da oft abwar­ten­der, stellen sich eher zurück und warten, bis sie das Gefühl haben, keine anderen Pflich­ten mehr zu haben und sich das jetzt gönnen zu können.»