BERLIN (dpa) — Mit schar­fen Worten verur­teilt Bundes­kanz­ler Olaf Scholz die russi­sche Invasi­on in die Ukrai­ne. Der SPD-Politi­ker spricht von einem «furcht­ba­ren Tag».

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz hat dem russi­schen Präsi­den­ten Wladi­mir Putin vorge­wor­fen, mit seinem Angriff auf die Ukrai­ne den Frieden in ganz Europa zu gefährden.

«Mit seinem Angriff auf die Ukrai­ne bricht der russi­sche Präsi­dent Putin abermals eklatant das Völker­recht», sagte der SPD-Politi­ker. Putin bringe Leid und Zerstö­rung über seine direk­ten Nachbarn. Er verlet­ze die Souve­rä­ni­tät und die Grenzen der Ukrai­ne und gefähr­de das Leben unzäh­li­ger Unschul­di­ger in der Ukrai­ne, dem Bruder­volk Russlands. Letzt­lich stelle Putin auch die Friedens­ord­nung des europäi­schen Konti­nents in Frage. «Für all das gibt es keine Recht­fer­ti­gung. Das ist Putins Krieg», sagte Scholz

«Ein furcht­ba­rer Tag»

Zuvor hatte Scholz der Ukrai­ne «die volle Solida­ri­tät Deutsch­lands in dieser schwe­ren Stunde versi­chert». Das habe der Kanzler dem ukrai­ni­schen Präsi­den­ten Wolodym­yr Selen­skyj am Morgen in einem Telefo­nat gesagt, teilte Regie­rungs­spre­cher Steffen Hebestreit in Berlin über Twitter mit.

Die Solida­ri­tät Deutsch­lands gelte der Ukrai­ne und ihren Menschen. «Russland muss diese Militär­ak­ti­on sofort einstel­len», forder­te Scholz. Die Bundes­re­gie­rung wolle sich nun im Rahmen der G7, der Nato und der EU eng abspre­chen. «Dies ist ein furcht­ba­rer Tag für die Ukrai­ne und ein dunkler Tag für Europa», erklär­te Scholz.

Regie­rungs­er­klä­rung von Scholz am Sonntag

Der Bundes­tag wird am kommen­den Sonntag zu einer Sonder­sit­zung zusam­men­tre­ten. Diese wurde am Donners­tag von Kanzler­amts­chef Wolfgang Schmidt beantragt. Die Sitzung diene der Abgabe einer Regie­rungs­er­klä­rung von Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) «zur aktuel­len Lage», heißt es in dem Schrei­ben an Bundes­tags­prä­si­den­tin Bärbel Bas (SPD). Das Schrei­ben liegt der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vor.

Nach Artikel 39 des Grund­ge­set­zes muss die Bundes­tags­prä­si­den­tin das Parla­ment zu einer Sitzung einbe­ru­fen, wenn der Bundes­kanz­ler dies verlangt. Nach Angaben der Bundes­tags­ver­wal­tung wird die Sitzung am Sonntag um 11 Uhr begin­nen. Im Anschluss an die Regie­rungs­er­klä­rung ist eine Ausspra­che von zweiein­halb Stunden vorgesehen.

Bas bekun­de­te dem ukrai­ni­schen Parla­ments­prä­si­den­ten Ruslan Oleksiio­vych Stefan­chu­kes ihre «aufrich­ti­ge Solida­ri­tät». «Dass Russland einen völker­rechts­wid­ri­gen Krieg gegen Ihr Land begon­nen hat, ist völlig inakzep­ta­bel und auf das Schärfs­te zu verur­tei­len», schrieb sie. Sie sei überzeugt, dass diesem Verhal­ten eine entschie­de­ne Antwort der demokra­ti­schen Mitglie­der der inter­na­tio­na­len Staaten­ge­mein­schaft entge­gen­ge­setzt werden müsse.

Bas versi­cher­te weiter, «dass die überra­gen­de Mehrheit der Mitglie­der des Deutschen Bundes­ta­ges fest an der Seite der Ukrai­ne steht».

Kling­beil: Situa­ti­on neu bewerten

Der SPD-Vorsit­zen­de Lars Kling­beil äußert sich weiter­hin zurück­hal­tend zu mögli­chen Waffen­lie­fe­run­gen an Kiew. «Wir bewer­ten eine Situa­ti­on jetzt neu», sagte Kling­beil am Rande einer Sitzung des Vertei­di­gungs­aus­schus­ses des Bundes­tags in Berlin. Man sei in engem Austausch mit der ukrai­ni­schen Regie­rung. Man suche nach Lösun­gen, um dem Land zu helfen, sagte Kling­beil. Angesichts der großen Sorgen der osteu­ro­päi­schen Bündnis­part­ner in der Nato sei es wichtig, «dass wir eng an ihrer Seite stehen».

Man müsse auch bereit sein, weite­re Schrit­te zur Stärkung der Ostflan­ke des Bündnis­ses zu gehen. Zwischen den Fraktio­nen und den im Bundes­tag vertre­te­nen Partei­en nehme er eine hohe Geschlos­sen­heit wahr. «Das ist sehr wichtig an einem Tag, der in die Geschichts­bü­cher eingeht, einem Tag, der die Welt verän­dert», sagte Kling­beil. Es sei richtig gewesen, dass man bis zuletzt eine diplo­ma­ti­sche Lösung gesucht habe, so der SPD-Chef. «Aber wir mussten jetzt in den letzten Stunden sehen, dass Wladi­mir Putin die ausge­streck­te Hand knall­hart wegge­schla­gen hat.» Putin nehme in Kauf, dass viele Menschen mitten in Europa sterben.

Lindner: Alptraum wahr geworden

Bundes­fi­nanz­mi­nis­ter Chris­ti­an Lindner sagte, es sei immer ein Alptraum gewesen, dass es wieder zu Krieg in Europa kommen könnte. «Dieser Alptraum ist jetzt trauri­ge Reali­tät gewor­den. Dafür trägt der Kreml, dafür trägt Wladi­mir Putin die Verant­wor­tung.» Der russi­sche Präsi­dent habe sich selbst als ein «Lügner» entlarvt. Es komme jetzt darauf an, in der inter­na­tio­na­len Staaten­ge­mein­schaft zusam­men­zu­ste­hen «und unsere zivili­sa­to­ri­schen Errun­gen­schaf­ten, den Frieden, zu vertei­di­gen», so der FDP-Politiker.

Der FDP-Frakti­ons­vor­sit­zen­de Chris­ti­an Dürr beton­te: «Wladi­mir Putin ist der wahre Kriegs­trei­ber in dieser Situa­ti­on, er will diesen Krieg führen.» Die nun folgen­den Wirtschafts­sank­tio­nen hätten leider auch Auswir­kun­gen auf die Menschen in Russland. «Die Bevöl­ke­rung wird leider auch darun­ter leiden müssen. Ich hoffe, dass die Menschen in Russland, die an Demokra­tie und Freiheit glauben, sich Wladi­mir Putin und seinem Regime an dieser Stelle entgegenstellen.»

Kramp-Karren­bau­er: Haben histo­risch versagt

Ex-Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rin Annegret Kramp-Karren­bau­er (CDU) geht hart mit der deutschen Sicher­heits­po­li­tik der vergan­ge­nen Jahre ins Gericht. «Ich bin so wütend auf uns, weil wir histo­risch versagt haben», schrieb Kramp-Karren­bau­er auf Twitter.

Nach den Konflik­ten in Georgi­en, auf der Krim und im Donbass sei nichts vorbe­rei­tet worden, was den russi­schen Präsi­den­ten Wladi­mir Putin «wirklich abgeschreckt hätte». Kramp-Karren­bau­er: «Wir haben die Lehre von Schmidt und Kohl verges­sen, dass Verhand­lun­gen immer den Vorrang haben, aber man militä­risch so stark sein muss, dass Nicht­ver­han­deln für die andere Seite keine Option sein kann.»

Nouri­pour: Ukrai­ne ist Opfer

Grünen-Chef Omid Nouri­pour verur­teilt den Angriff Russlands auf die Ukrai­ne scharf verur­teilt. «Die Ukrai­ne und ihre Menschen sind zum Opfer der Allmachts­phan­ta­sien von Präsi­dent Putin gewor­den», sagte er dem Nachrich­ten­por­tal t‑online. «Wir können als Demokra­tin­nen und Demokra­ten dieser versuch­ten Rückkehr zum Recht des Stärke­ren nicht taten­los zusehen und sind auch bereit, dafür selbst Einschrän­kun­gen in Kauf zu nehmen.»

Grünen-Frakti­ons­chefin Britta Haßel­mann schrieb in einer Erklä­rung in Berlin: «Putin muss diese militä­ri­sche Invasi­on sofort stoppen. Gemein­sam mit unseren Partnern setzen wir auf ein hartes Sanktionspaket.»

Biden berät mit Natio­na­lem Sicherheitsrat

US-Präsi­dent Joe Biden beraum­te angesichts der Lage derweil ein Treffen des Natio­na­len Sicher­heits­rats an. Aus dem Weißen Haus hieß es am Donners­tag, Biden habe sich mit dem Team im «Situa­ti­on Room», dem streng gesicher­ten Lagezen­trum der US-Regie­rungs­zen­tra­le in Washing­ton, versammelt.

Biden will sich noch heute um 18.30 Uhr MEZ in einer Anspra­che äußern. Das teilte das Weiße Haus in Washing­ton mit. Biden hatte bereits kurz nach Beginn der Militär­of­fen­si­ve von einem «ungerecht­fer­tig­ten Angriff» und einem «vorsätz­li­chen Krieg» gespro­chen, den Russland angezet­telt habe. Die USA und ihre Verbün­de­ten würden Russland entschlos­sen dafür «zur Rechen­schaft ziehen».

Die Staats- und Regie­rungs­chefs der G7-Staaten kamen am Donners­tag kurz nach 15.00 Uhr (MEZ) zu einer Video­schal­te zusam­men, um über die Lage zu beraten und sich über das weite­re Vorge­hen abzustim­men. Deutsch­land führt in der Runde derzeit den Vorsitz.

Reaktio­nen aus dem Ausland

Frank­reichs Präsi­dent Emmanu­el Macron droht Russland mit schwe­ren Folgen. «Auf diese Kriegs­hand­lung werden wir ohne Schwä­che antwor­ten — kaltblü­tig, entschlos­sen und geeint», sagte er in einer Anspra­che an die Nation. Die Sanktio­nen entsprä­chen der russi­schen Aggres­si­on. «Im militä­ri­schen und wirtschaft­li­chen Bereich wie im Energie­sek­tor werden wir keine Schwä­che zeigen.» Man werde Russland außer­dem vor dem UN-Sicher­heits­rat zur Rechen­schaft ziehen.

Der türki­sche Präsi­dent Recep Tayyip Erdogan nennt das Vorge­hen Moskaus einen schwe­ren Schlag für den Frieden und die Stabi­li­tät in der Region. Er habe dem ukrai­ni­schen Präsi­den­ten Wolodym­yr Selen­skyj versi­chert, das Nato-Land Türkei unter­stüt­ze die terri­to­ria­le Integri­tät der Ukrai­ne. Die Türkei pflegt enge Bezie­hun­gen zu beiden Ländern. Russland ist ein Haupt­lie­fe­rant für Gas, an Kiew verkauft Ankara unter anderem Kampf­droh­nen. Die Türkei ist zudem so wie Russland und die Ukrai­ne Schwarzmeer-Anrainer.

Polens Minis­ter­prä­si­dent Mateusz Morawi­ecki hat eine rasche und entschlos­se­ne Antwort auf den russi­schen Angriff gefor­dert. «Wir müssen sofort auf die verbre­che­ri­sche Aggres­si­on Russlands gegen die Ukrai­ne reagie­ren», schrieb er auf Twitter.

Keine Kritik von China gen Moskau

Trotz der Militär­ope­ra­ti­on vermei­det China direk­te Kritik an Moskau greift statt­des­sen die USA und andere westli­che Staaten für ihre Waffen­lie­fe­run­gen an. «Die Ukrai­ne-Frage ist in ihrem histo­ri­schen Hinter­grund komplex», sagte Außen­amts­spre­che­rin Hua Chuny­ing bei einem tägli­chen Presse­brie­fing: «Was wir heute sehen, ist das Zusam­men­spiel komple­xer Faktoren».

Den USA und anderen westli­chen Staaten warf Hua Chuny­ing vor, durch Waffen­lie­fe­run­gen den Konflikt angeheizt zu haben. «Waffen können niemals alle Proble­me lösen. Ich glaube also nicht, dass dies die Zeit für jeman­den ist, Öl ins Feuer zu gießen. Statt­des­sen sollten wir dem Frieden eine Chance geben», so die Spreche­rin, die zudem an frühe­re Militär­ak­tio­nen der USA erinnerte.

Kirchen fordern Ende der Invasion

Der Vatikan appel­liert an den Willen zum Dialog. «Die tragi­schen Szena­ri­en, die alle befürch­te­ten, werden leider Wirklich­keit», sagte Kardi­nal­staats­se­kre­tär Pietro Parolin laut einer Mittei­lung vom Donners­tag. «Aber es gibt noch Zeit für den guten Willen und es gibt noch Raum für Verhand­lun­gen», hieß es darin weiter. Die Nummer Zwei hinter Papst Franzis­kus sah außer­dem noch die Möglich­keit für kluge Handlun­gen, um der «Welt den Wahnsinn und den Schre­cken des Krieges zu erspa­ren». Franzis­kus sprach in seiner General­au­di­enz am Mittwoch bereits von einem «großen Schmerz» sowie «Angst und Sorge» über die Lage in der Ukraine.

Führen­de Kirchen­ver­tre­ter in Deutsch­land fordern eine «sofor­ti­ge Beendi­gung der Invasi­on». Das teilten die Evange­li­sche Kirche in Deutsch­land (EKD) und die Deutsche Bischofs­kon­fe­renz am Donners­tag gemein­sam mit. Zugleich appel­lier­ten sie an alle Betei­lig­ten des Konflikts, das Völker­recht zu beach­ten und sich konkret um Frieden zu bemühen. «Wir sind erschüt­tert über die aktuel­le Entwick­lung und rufen die Russi­sche Födera­ti­on dazu auf, weite­re Aggres­sio­nen zu unter­las­sen», hieß es in einer Erklä­rung der beiden großen Kirchen.

Weiter hieß es: «Russland muss die militä­ri­schen Angrif­fe unver­züg­lich stoppen und die terri­to­ria­le Integri­tät der Ukrai­ne vollum­fäng­lich anerken­nen. Der Angriff Russlands auf die Ukrai­ne gefähr­det das Friedens­pro­jekt Europa.» Die Ratsvor­sit­zen­de der EKD, Präses Annet­te Kurschus, und der Vorsit­zen­de der Deutschen Bischofs­kon­fe­renz, Bischof Georg Bätzing, trafen sich am Donners­tag in Bonn anläss­lich des Antritts­be­suchs der im Novem­ber 2021 neu gewähl­ten Ratsvor­sit­zen­den. Kurschus und Bätzling began­nen ihre erste Begeg­nung mit einem ökume­ni­schen Friedensgebet.