BERLIN (dpa) — Bei einer Konfe­renz mit Scholz wirft Paläs­ti­nen­ser­prä­si­dent Abbas Israel vielfa­chen «Holocaust» vor. Scholz reagiert empört — wider­spricht aber nicht unmit­tel­bar. Nun meldet sich der Kanzler erneut zu Wort.

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz hat den Holocaust-Vorwurf des Paläs­ti­nen­ser­prä­si­den­ten Mahmud Abbas gegen Israel noch einmal scharf kriti­siert. «Ich bin zutiefst empört über die unsäg­li­chen Aussa­gen des paläs­ti­nen­si­schen Präsi­den­ten Mahmoud Abbas», schrieb der SPD-Politi­ker am Mittwoch auf Twitter. «Gerade für uns Deutsche ist jegli­che Relati­vie­rung des Holocaust unerträg­lich und inakzep­ta­bel. Ich verur­tei­le jeden Versuch, die Verbre­chen des Holocaust zu leugnen.»

Die Union hatte Scholz wegen seines Umgangs mit Abbas Vorwurf zuvor kriti­siert. «Ein unfass­ba­rer Vorgang im Kanzler­amt», schrieb CDU-Chef Fried­rich Merz am Diens­tag­abend auf Twitter. Der Kanzler hätte dem Paläs­ti­nen­ser­prä­si­den­ten «klar und deutlich wider­spre­chen und ihn bitten müssen, das Haus zu verlas­sen!», argumen­tier­te er.

Der CDU-Abgeord­ne­te Matthi­as Hauer meinte: «Selbst­ver­ständ­lich hätte Bundes­kanz­ler Olaf Scholz nach der Holocaust-Relati­vie­rung dem Paläs­ti­nen­ser­prä­si­den­ten wider­spre­chen können — und müssen. Nach einer solchen Entglei­sung zu schwei­gen ist unverzeihlich.»

Abbas: «50 Massa­ker, 50 Holocausts»

Abbas hatte Israel bei seinem Besuch in Berlin vielfa­chen «Holocaust» an den Paläs­ti­nen­sern vorge­wor­fen und damit Empörung ausge­löst. «Israel hat seit 1947 bis zum heuti­gen Tag 50 Massa­ker in 50 paläs­ti­nen­si­schen Orten began­gen», sagte er am Diens­tag auf einer gemein­sa­men Presse­kon­fe­renz mit Scholz im Kanzler­amt und fügte hinzu: «50 Massa­ker, 50 Holocausts.»

Der SPD-Politi­ker verfolg­te die Äußerun­gen mit verstei­ner­ter Miene, sicht­lich verär­gert und machte auch Anstal­ten, sie zu erwidern. Sein Sprecher Steffen Hebestreit hatte die Presse­kon­fe­renz aber unmit­tel­bar nach der Antwort Abbas’ für beendet erklärt. Die Frage an den Paläs­ti­nen­ser­prä­si­den­ten war schon vorher als die letzte angekün­digt worden. Hebestreit berich­te­te später, dass Scholz empört über die Äußerung Abbas’ gewesen sei. Zur «Bild»-Zeitung sagte der Kanzler am Abend: «Gerade für uns Deutsche ist jegli­che Relati­vie­rung des Holocaust unerträg­lich und inakzeptabel.»

Prien: «Zu wenig, zu spät»

Die stell­ver­tre­ten­de CDU-Bundes­vor­sit­zen­de Karin Prien schrieb mit Blick auf Scholz später auf Twitter: «Zu wenig, zu spät». Der FDP-Frakti­ons­vi­ze Alexan­der Graf Lambs­dorff erklär­te hinge­gen, eine breite­re Öffent­lich­keit erfah­re endlich, «wie die Paläs­ti­nen­ser und Abbas — Israels angeb­li­che «Partner» — drauf sind. Das ist wichti­ger als Kritik am @Bundeskanzler, dessen Empörung klar sicht­bar war».

Abbas war vor der Äußerung von einem Journa­lis­ten gefragt worden, ob er sich zum 50. Jahres­tag des von paläs­ti­nen­si­schen Terro­ris­ten verüb­ten Atten­tats auf die israe­li­sche Olympia­mann­schaft in München bei Israel entschul­di­gen werde. Dazu sagte Abbas, dass man tagtäg­lich Menschen habe, die von der israe­li­schen Armee getötet würden. «Wenn wir weiter in der Vergan­gen­heit wühlen wollen, ja bitte.» Auf das Olympia-Atten­tat, bei dem elf Israe­lis getötet wurden, ging der Paläs­ti­nen­ser­prä­si­dent in seiner Antwort nicht ein.

Der israe­li­sche Minis­ter­prä­si­dent Jair Lapid reagier­te mit deutli­chen Worten: «Dass Mahmud Abbas Israel beschul­digt, «50 Holocausts» began­gen zu haben, während er auf deutschem Boden steht, ist nicht nur eine morali­sche Schan­de, sondern eine ungeheu­er­li­che Lüge», schrieb er auf Twitter und verwies auf die sechs Millio­nen Jüdin­nen und Juden, die im Holocaust von den Nazis ermor­det wurden. Die Geschich­te werde Abbas niemals verzei­hen. Lapid ist selbst Sohn eines Holocaust-Überlebenden.

Auch der neue deutsche Botschaf­ter in Israel, Steffen Seibert, kriti­sier­te den Holocaust-Vergleich als «falsch und inakzep­ta­bel» kriti­siert. «Deutsch­land wird niemals einen Versuch dulden, die Einzig­ar­tig­keit der Verbre­chen des Holocaust zu leugnen», schrieb der frühe­re Regie­rungs­spre­cher am Mittwoch auf Twitter.

Der CDU-Politi­ker Armin Laschet nannte den Auftritt Abbas’ «die schlimms­te Entglei­sung, die je im Kanzler­amt zu hören war». Der Antise­mi­tis­mus­be­auf­trag­te der Bundes­re­gie­rung, Felix Klein, sagte dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land (RND), Abbas erwei­se «den berech­tig­ten paläs­ti­nen­si­schen Anlie­gen» keinen Dienst. «Durch seine Holocaust­re­la­ti­vie­rung hat Präsi­dent Abbas jegli­che Sensi­bi­li­tät gegen­über uns deutschen Gastge­bern vermis­sen lassen», kriti­sier­te Klein. «Das gilt gerade auch im Hinblick auf die gestell­te Frage zum Olympia­at­ten­tat, das von PLO-Terro­ris­ten verübt wurde.»

Vorge­schich­te

Der Paläs­ti­nen­ser­prä­si­dent hatte bereits 2018 mit Holocaust-Aussa­gen in einem anderen Zusam­men­hang für Aufse­hen gesorgt. Damals sagte er, der Holocaust sei nicht durch Antise­mi­tis­mus ausge­löst worden. Statt­des­sen sei der Auslö­ser die sozia­le Stellung der Juden als Verlei­her von Kredi­ten mit Zinsen gewesen. Hinter­her entschul­dig­te er sich für die antise­mi­ti­schen Aussa­gen. Es sei nicht seine Absicht gewesen, jeman­den damit zu kränken.

Als umstrit­ten gilt auch seine Anfang der 1980er Jahre vorge­leg­te Doktor­ar­beit. Abbas hatte darin den Holocaust relati­viert und der zionis­ti­schen Bewegung vorge­wor­fen, sie habe mit dem Hitler-Regime kolla­bo­riert. 2014 bezeich­ne­te er dann erstmals die Juden­ver­nich­tung während des Holocausts als das «schlimms­te Verbre­chen der Neuzeit».

Scholz hatte Abbas bereits vorher auf offener Bühne kriti­siert, weil dieser die israe­li­sche Politik als «Apart­heids­sys­tem» bezeich­net hatte. «Ich will ausdrück­lich hier an dieser Stelle sagen, dass ich mir das Wort Apart­heid nicht zu eigen mache und dass ich das nicht für richtig halte für die Beschrei­bung der Situa­ti­on», sagte Scholz.

Abbas hatte zuvor gesagt, die «Umwand­lung in die neue Reali­tät eines einzi­gen Staates in einem Apart­heid-System» diene nicht der Sicher­heit und Stabi­li­tät in der Region. Unter Apart­heid versteht man die Doktrin der Trennung einzel­ner ethni­scher Bevöl­ke­rungs­grup­pen, vor allem bis 1994 in Südafri­ka. Sie gilt inter­na­tio­nal als Verbre­chen gegen die Mensch­lich­keit. Abbas hatte dies Israel bereits häufi­ger vorgeworfen.

Israel hatte 1967 im Sechs­ta­ge­krieg unter anderem das Westjor­dan­land, Ost-Jerusa­lem und die Golan­hö­hen erobert. Die UN stufen die Gebie­te als besetzt ein. Die Paläs­ti­nen­ser wollen sie für einen eigenen Staat Paläs­ti­na — mit Ost-Jerusa­lem als Haupt­stadt. Der Friedens­pro­zess zwischen Israel und den Paläs­ti­nen­sern liegt seit 2014 brach.