BERLIN (dpa) — Baerbock, Merz, Gysi — sie alle wollen in die ukrai­ni­sche Haupt­stadt reisen. Nur Kanzler Scholz zieht es nicht nach Kiew. Er trägt der Ukrai­ne die Ausla­dung von Bundes­prä­si­dent Stein­mei­er nach.

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz lehnt eine Reise nach Kiew vorerst ab — aus Verär­ge­rung über die Ausla­dung von Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er durch die ukrai­ni­sche Seite im April.

«Das steht der Sache im Weg», sagte der SPD-Politi­ker am Montag in der ZDF-Sendung «Was nun?». Er beton­te: «Das kann man nicht machen.» Als erstes Regie­rungs­mit­glied kündig­te hinge­gen Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock (Grüne) Reise­plä­ne in die ukrai­ni­sche Haupt­stadt an — jedoch noch ohne konkre­ten Zeitpunkt. Unmit­tel­bar bevor stehen Reisen des CDU-Vorsit­zen­den Fried­rich Merz (CDU) und des Linken-Außen­po­li­ti­kers Gregor Gysi.

Stein­mei­er wollte Mitte April eigent­lich zusam­men mit den Staats­chefs von Polen, Lettland, Estland und Litau­en nach Kiew fahren. Die vier anderen Staats­chefs brachen schließ­lich ohne ihn auf. Die Reise war von polni­scher Seite organi­siert worden. Scholz sagte dazu im ZDF: «Es kann nicht funktio­nie­ren, dass man von einem Land, das so viel militä­ri­sche Hilfe, so viel finan­zi­el­le Hilfe leistet, das gebraucht wird, wenn es um die Sicher­heits­ga­ran­tien geht, die für die Zeit der Ukrai­ne in der Zukunft wichtig sind, dass man dann sagt, der Präsi­dent kann aber nicht kommen.»

Baerbock kündig­te am Sonntag­abend in der ARD-Sendung «Anne Will» an: «Ja, ich werde auch reisen.» Sie habe dies bereits nach Bekannt­wer­den der Kriegs­ver­bre­chen im Kiewer Vorort Butscha geplant. Zunächst habe sie dem Bundes­prä­si­den­ten den Vortritt lassen wollen, der dann aber leider wieder ausge­la­den worden sei. Das heiße aber nun nicht, «dass ich in Zukunft nicht fahren werde».

Merz und Gysi ohne Personenschutz

Merz sagte am Montag, er fahre auf Einla­dung des ukrai­ni­schen Parla­ments nach Kiew. Er wolle dort mit Vertre­tern von Parla­ment und Regie­rung zusam­men­tref­fen und sich selbst ein Bild von der Lage machen. Er habe Kanzler Olaf Scholz (SPD) empfoh­len, selbst in die Ukrai­ne zu fahren, was dieser in den vergan­ge­nen zwei Monaten nicht getan habe. «Es gibt aus meiner Sicht keine Veran­las­sung, jetzt irgend­wo darauf zu warten, dass ein Mitglied der Bundes­re­gie­rung eine Reise plant.» Wenn er einge­la­den werde, entschei­de er selbst, ob er reise oder nicht. «Und ich frage auch nicht um Genehmigung.»

Er habe Scholz am Samstag­mor­gen über seine Pläne infor­miert, sagte der CDU-Vorsit­zen­de nach einer gemein­sa­men Sitzung der Präsi­di­en von CDU und CSU in Köln. Er habe eine ausführ­li­che Unter­rich­tung der Bundes­re­gie­rung in Anspruch genom­men, aber das Bundes­kri­mi­nal­amt (BKA) zu seiner Sicher­heit nicht um eine Beglei­tung gebeten. «Und es hat auch ein entspre­chen­des Angebot des BKA nicht gegeben.» CSU-Chef Markus Söder nannte die Reise «ein gutes Signal, ein starkes Signal».

Gysi will von diesem Diens­tag an sogar fast eine ganze Woche in die Ukrai­ne — und das ohne Geneh­mi­gung des Bundes­tags und ebenfalls ohne Perso­nen­schutz durch das BKA. Bis Sonntag werde er neben Kiew auch die Voror­te Butscha und Irpin sowie die westukrai­ni­sche Stadt Lwiw besuchen, teilte Frakti­ons­spre­cher Micha­el Schlick mit. Beglei­tet wird er vom Linken-Bewer­ber bei der Bundes­prä­si­den­ten­wahl im Febru­ar, Gerhard Trabert. Das BKA habe eine eintä­gi­ge Reise vorge­schla­gen. Das habe man aber abgelehnt und reise nun ohne BKA-Schutz.

Noch kein deutscher Regie­rungs­ver­tre­ter in Kiew

Seit Kriegs­be­ginn vor gut zwei Monaten sind schon mehre­re EU-Staats- und Regie­rungs­chefs nach Kiew gereist, um Solida­ri­tät mit dem von Russland angegrif­fe­nen Land zu zeigen. Auch EU-Kommis­si­ons­prä­si­den­tin Ursula von der Leyen, EU-Ratsprä­si­dent Charles Michel und UN-General­se­kre­tär Antonio Guter­res sowie US-Außen­mi­nis­ter Antony Blinken und Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Lloyd Austin waren dort.

Aus Deutsch­land waren bisher nur Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­te in der Ukrai­ne — und diese auch nicht in der Haupt­stadt Kiew. Die drei Vorsit­zen­den der Ausschüs­se für Auswär­ti­ges, Vertei­di­gung und Europa — Micha­el Roth (SPD), Marie-Agnes Strack-Zimmer­mann (FDP) und Anton Hofrei­ter (Grüne) — reisten nach Lwiw in der Westukrai­ne und verban­den ihren Besuch mit der Forde­rung nach der Liefe­rung schwe­rer Waffen.

Strack-Zimmer­mann beton­te in der ARD-Sendung «Anne Will», wie wichtig die gute Vorbe­rei­tung einer solchen Reise sei. «Das ist ja keine Kaffee­fahrt, wer ist zuerst da und macht die besten Fotos», sagte sie. «Ich glaube, dass der Kanzler sich da nicht treiben lässt.» Wenn man fahre, dann müsse man auch etwas mitbrin­gen. «Das heißt: Man muss sehr konkret sein.»

Gysi plant Besuche von Kranken­häu­sern und Notkli­ni­ken sowie Gesprä­che mit Vertre­tern von Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen. Treffen mit ukrai­ni­schen Parla­men­ta­ri­ern oder der Regie­rung in Kiew sind bisher nicht geplant. Gysi habe den ukrai­ni­schen Botschaf­ter Andrij Melnyk um die Vermitt­lung von Gesprä­chen gebeten, aber keine Antwort erhal­ten, erklär­te Schlick, der Gysi und Trabert beglei­tet. «Die Mitglie­der der Delega­ti­on bedau­ern dies, lassen aber deshalb die Reise nicht ausfal­len, weil die humani­tä­re Hilfe wichti­ger ist.»

Weiter Kritik aus der Union an Scholz

Trabert will einer Klinik ein vom Verein «Armut und Gesund­heit in Deutsch­land» gespen­de­tes Dermatom zur Trans­plan­ta­ti­on von Haut überge­ben. An Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen würden von diesem Verein 20.000 Euro und 6000 Euro der Frakti­on und von Einzel­per­so­nen übergeben.

Unions­frak­ti­ons­vi­ze Johann Wadephul (CDU) nannte die Merz-Reise bei «Anne Will» ein wichti­ges Zeichen. CSU-Vertei­di­gungs­po­li­ti­ker Flori­an Hahn rief Scholz auf, es Merz gleich­zu­tun. «Worten müssen auch Taten folgen», sagte er den Zeitun­gen der Funke Medien­grup­pe (Montag). «Wer wie der Bundes­kanz­ler die Zeiten­wen­de ausruft und danach über Wochen ständig abtaucht, hinter­lässt nicht nur bei den Verbün­de­ten ein ungutes Gefühl.»

CDU-Präsi­di­ums­mit­glied Julia Klöck­ner kriti­sier­te den Kanzler ebenfalls. Während Politi­ker aus den USA zur Unter­stüt­zung in die Ukrai­ne kämen, «ist der deutsche Bundes­kanz­ler bisher noch nicht in der Lage gewesen, den Zwei-Stunden-Flug von Berlin aus anzutre­ten», sagte sie der «Rheini­schen Post».

JU-Chef: Merz übernimmt Kanzler-Aufgabe

Nach Ansicht des Vorsit­zen­den der Jungen Union, Tilman Kuban, übernimmt Merz die Aufga­be des Kanzlers, Solida­ri­tät mit der Ukrai­ne zu zeigen. «Wochen­lang hätten Scholz und seine Minis­ter nach Kiew fahren und damit ein Zeichen der Solida­ri­tät setzen können. Jetzt muss es Merz tun», sagte Kuban der «Rheini­schen Post».

Kuban sagte in den Zeitun­gen der Funke Medien­grup­pe zur geplan­ten Reise des CDU-Chefs: «Wir dürfen uns niemals an den Krieg gewöh­nen. Daher ist es gut, wenn auch Fried­rich Merz die Ukrai­ne besucht, den Fokus behält und unsere Unter­stüt­zung zeigt», so Kuban. «Denn die SPD hat in diesem Krieg bisher immer erst nach öffent­li­chem Druck gehandelt.»

Der Vorsit­zen­de des Auswär­ti­gen Ausschus­ses, Micha­el Roth, warnte davor, eine solche Reise aus partei­po­li­ti­schen Beweg­grün­den anzutre­ten. «Es ist gut, wenn auch deutsche Politi­ker in die Ukrai­ne reisen», sagte der SPD-Politi­ker dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land. «Aber sie müssen dafür gute Gründe haben. Ein schlech­ter Grund ist es, einen innen­po­li­ti­schen Streit in die Ukrai­ne zu tragen und sich dort partei­po­li­tisch profi­lie­ren zu wollen. Das ist der Drama­tik des Krieges nicht angemessen.»

Von Micha­el Fischer und Ulrich Stein­kohl, dpa