BERLIN/PEKING (dpa) – Der China-Besuch von Olaf Scholz ist so kurz wie keine Kanzler-Reise dorthin zuvor. Dafür ist die inter­na­tio­na­le Aufmerk­sam­keit umso größer. Kommt die Zeiten­wen­de in der China-Politik?

Jahrzehn­te­lang liefen China-Reisen von Kanzlern und Kanzle­rin fast immer nach demsel­ben Schema ab. Für das bevöl­ke­rungs­reichs­te Land der Welt nahmen sich die Regie­rungs­chefs aus Deutsch­land zwei oder drei, manch­mal aber auch vier, fünf oder sogar sechs Tage Zeit.

Neben dem Pflicht­pro­gramm bei der chine­si­schen Führung in der Haupt­stadt Peking ging es in mindes­tens eine weite­re Millio­nen-Metro­po­le. Und in der Regel war eine Wirtschafts­de­le­ga­ti­on mit teils mehr als 40 Top-Managern dabei, von denen einige mit Millio­nen- oder sogar Milli­ar­den­ver­trä­gen nach Hause zurückkehrten.

Nur einmal wurde eine eigent­lich für vier Tage geplan­te Kanzler-Reise kurzer­hand auf 16 Stunden ohne Übernach­tung einge­dampft. Das war 1999, die Nato hatte gerade im Kosovo-Krieg verse­hent­lich die chine­si­sche Botschaft in Belgrad bombar­diert und der damali­ge Kanzler Gerhard Schrö­der musste sich in Peking dafür entschuldigen.

Stren­ge Corona-Aufla­gen für auslän­di­sche Delegationen

Wenn Olaf Scholz am Freitag­mor­gen in Peking eintrifft, bleibt ihm noch weniger Zeit als Schrö­der damals. Gerade mal 11 Stunden wird sich der Kanzler im Reich der Mitte aufhal­ten. Sein Bewegungs­ra­di­us in Peking beschränkt sich auf wenige Kilome­ter um die Große Halle des Volkes im Pekin­ger Zentrum.

Die Wirtschafts­de­le­ga­ti­on ist mit rund einem Dutzend Unter­neh­mern vergleichs­wei­se klein und Milli­ar­den­ver­trä­ge sind diesmal auch nicht zu erwarten.

Für das kleine­re Format gibt es diesmal vor allem einen Grund: Corona. Die chine­si­sche Führung hat den eigenen Bürgern und seinen Gästen ein knall­har­tes Null-Corona-Regime aufer­legt. Der Besuch offizi­el­ler auslän­di­scher Delega­tio­nen in Peking ist nur unter stren­gen Aufla­gen möglich — auch für dieje­ni­gen, die mit ihnen in Kontakt kommen.

Deswe­gen hat die chine­si­sche Seite diese Woche gleich mehre­re Besuche zusam­men­ge­legt: Scholz reiht sich hinter Besucher wie Vietnams Partei­chef Nguyen Phu Trong, Pakistans Premier­mi­nis­ter Shehbaz Sharif und Tansa­ni­as Präsi­den­tin Samia Suluhu Hassan ein.

Jedes Wort landet auf der Goldwaage

So kurz die Reise ist, so riesig ist die inter­na­tio­na­le Aufmerk­sam­keit. Scholz ist der erste westli­che Regie­rungs­chef, der den gerade erst in seiner Macht gestärk­ten Präsi­den­ten Xi Jinping nach seiner Wieder­wahl als Vorsit­zen­der der Kommu­nis­ti­schen Partei besucht.

Jedes Wort, jede Geste des Kanzlers in Peking wird auf die Goldwaa­ge gelegt werden — von den Verbün­de­ten in der Europäi­schen Union, von den USA und nicht zuletzt von den Koali­ti­ons­part­nern in Berlin.

Wird er die Unter­drü­ckung der Uiguren deutlich genug anspre­chen? Wie verhält er sich zu den chine­si­schen Drohge­bär­den gegen­über Taiwan? Thema­ti­siert er die Repres­sio­nen gegen Opposi­tio­nel­le in Hongkong? Und wie geht er mit dem Streit um chine­si­sche Einfluss­nah­me auf kriti­sche Infra­struk­tur in Deutsch­land und Europa um?

Kurzum: Bleibt Scholz bei dem auf Pragma­tis­mus und Koope­ra­ti­on ausge­rich­te­ten Kurs seiner Vorgän­ge­rin Angela Merkel? Oder vollzieht er seine viel beschwo­re­ne Zeiten­wen­de auch in der China-Politik?

Baerbock erinnert Scholz an den Koalitionsvertrag

Mit seiner einsa­men Entschei­dung, dem chine­si­schen Staats­un­ter­neh­men Cosco den Einstieg bei einem Termi­nal im Hambur­ger Hafen zu erlau­ben, hat der Kanzler vor seiner Abrei­se ein Zeichen gesetzt, das vielen bitter aufstößt. Vor allem die Grünen blicken dem Kurztrip des Kanzlers nun voller Misstrau­en entge­gen. Man befürch­tet, Scholz könnte in Peking Pflöcke einschla­gen, die sich dann nicht mehr so leicht bewegen lassen.

Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock (Grüne) sah sich deswe­gen veran­lasst, den Kanzler vor seiner Abrei­se noch einmal vom usbeki­schen Tasch­kent aus an den Koali­ti­ons­ver­trag zu erinnern. Darin hatten SPD, Grüne und FDP verein­bart, die Koope­ra­ti­on mit China «auf der Grund­la­ge der Menschen­rech­te und des gelten­den inter­na­tio­na­len Rechts» zu suchen. «Wir wollen und müssen unsere Bezie­hun­gen mit China in den Dimen­sio­nen Partner­schaft, Wettbe­werb und System­ri­va­li­tät gestalten.»

Scholz will neuen Umgang mit China

Wo bei diesem Dreiklang der Akzent liegen soll, muss die Ampel noch definie­ren. Die im Koali­ti­ons­ver­trag verein­bar­te gemein­sa­me China-Strate­gie wird gerade erst erarbei­tet. In einem am Mittwoch veröf­fent­lich­ten Beitrag für die «Frank­fur­ter Allge­mei­ne Zeitung» skizziert Scholz aber schon mal, wie er sich das Ergeb­nis vorstellt.

«Das China von heute ist nicht mehr dassel­be wie noch vor fünf oder zehn Jahren», schreibt er. «Es ist klar: Wenn sich China verän­dert, muss sich auch unser Umgang mit China verän­dern.» Das heißt: Neuaus­rich­tung der China-Politik statt Business as usual.

Scholz wirbt in dem Beitrag für eine Doppel­stra­te­gie. Einer­seits will er auch als Konse­quenz aus der geschei­ter­ten Annähe­rungs­po­li­tik mit Russland die wirtschaft­li­che Abhän­gig­keit von China verrin­gern. Deswe­gen hat er — anders als seine Vorgän­ger — als erstes asiati­sches Land zuerst den demokra­ti­schen G7-Partner Japan besucht — ein klares Signal an Peking. Eine Abkopp­lung von China, wie sie von den USA betrie­ben wird, kommt für ihn aber auch nicht in Frage. Das würde die deutsche Wirtschaft auch so schnell nicht verkraften.

Zwischen KP-Partei­tag und G20-Gipfel

Für Diskus­sio­nen sorgt weiter­hin der Zeitpunkt der Reise. Gerade einmal zwei Wochen ist es her, dass Xi sich auf dem Partei­tag alle Macht gesichert und nur noch mit «Ja-Sagern» umgeben hat. Dass Scholz ihm nun als erster promi­nen­ter Westler persön­lich zur Verlän­ge­rung seiner Amtszeit gratu­liert, könnte Chinas Propa­gan­da für sich ausschlachten.

Anderer­seits: Dass Scholz knapp zwei Wochen vor dem G20-Gipfel in Indone­si­en mit Xi spricht, birgt auch eine Chance. Auf der Urlaubs­in­sel Bali wird es am 15. und 16. Novem­ber — mit oder ohne den russi­schen Präsi­den­ten Wadimir Putin — vor allem um den Ukrai­ne-Krieg und seine Folgen gehen. Der Kanzler hofft darauf, das Peking Druck auf Moskau ausübt. «Klare Worte Pekings an die Adres­se Moskaus sind wichtig – zur Wahrung der Charta der Verein­ten Natio­nen und ihrer Prinzi­pi­en», schreibt er in der «FAZ».

Bislang hält die chine­si­sche Führung aber an der demons­tra­ti­ven Rücken­de­ckung für den russi­schen Präsi­den­ten fest. Beobach­ter sehen zwar, dass die Unter­stüt­zung des geostra­te­gi­schen Partners in der Rivali­tät mit den USA längst nicht mehr so enthu­si­as­tisch ist. Aber ein echter Kurswech­sel Xis gilt als unwahrscheinlich.

«Wenn Scholz erwar­tet, er könnte China dazu bringen, Russlands Krieg oder Drohun­gen in Europa öffent­lich zu kriti­sie­ren, wird er enttäuscht werden», sagt der renom­mier­te Profes­sor für inter­na­tio­na­le Bezie­hun­gen, Shi Yinhong, von der Volks­uni­ver­si­tät (Renmin Daxue).

China hofft auf «neuen Schwung»

In China weiß man noch nicht so recht, was man von dem Neuen aus Deutsch­land halten soll. «Wir müssen darauf warten, bis Scholz seinen Fuß auf Chinas Boden gesetzt hat, um heraus­zu­fin­den, was er sagt und wie gut er es sagt», kommen­tiert der staat­li­che Fernseh­sen­der «Shenzhen TV».

Und die chine­si­sche Regie­rung äußert sich bislang höflich zurück­hal­tend zu dem Besuch. China hoffe auf «neuen Schwung zur Vertie­fung der strate­gi­schen Partner­schaft» zwischen beiden Ländern, sagt Außen­amts­spre­cher Zhao Lijian. Das werde zum Weltfrie­den, zu Stabi­li­tät und Wachs­tum beitra­gen. Das gegen­sei­ti­ge politi­sche Vertrau­en solle gestärkt und die deutsch-chine­si­sche Koope­ra­ti­on vertieft werden, was den Inter­es­sen beider Seiten dienen werde.

Von Micha­el Fischer und Andre­as Landwehr, dpa