BERLIN (dpa) — Sommer­li­che Auftrit­te in der Bundes­pres­se­kon­fe­renz haben Tradi­ti­on für Kanzler. Merkel nahm sich jedes Jahr Zeit für die Haupt­stadt-Journa­lis­ten. Scholz setzt das fort — Themen gibt es viele.

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz hat weite­re Entlas­tun­gen der Bürger angesichts der hohen Infla­ti­on angekün­digt. Man werde über die schon beschlos­se­nen Pakete hinaus weite­re Maßnah­men ergrei­fen müssen, sagte der SPD-Politi­ker am Donners­tag in der Bundes­pres­se­kon­fe­renz in Berlin. «Dazu ist die Regie­rung auch fest entschlos­sen.» Scholz beton­te: «Wir werden alles dafür tun, dass die Bürge­rin­nen und Bürger durch diese schwie­ri­ge Zeit kommen.» Dabei gehe es ihm um dieje­ni­gen, «die ganz wenig haben». Deshalb werde die Regie­rung beim Wohngeld etwas machen und das Bürger­geld einführen.

Zu einem Gesamt­pa­ket werden laut Scholz auch steuer­li­che Entlas­tun­gen gehören. «Der Finanz­mi­nis­ter hat seinen Beitrag zu den notwen­di­gen Überle­gun­gen dazu gestern vorge­stellt. Ich finde das sehr, sehr hilfreich, weil wir ja ein Gesamt­pa­ket schnü­ren müssen, das alle Bevöl­ke­rungs­grup­pen umfasst.» Dieses Gesamt­pa­ket werde die Regie­rung vorle­gen, «damit niemand allein gelas­sen wird, niemand vor unlös­ba­re Proble­me gestellt wird und keiner die Heraus­for­de­run­gen, die mit den gestie­gen Preisen verbun­den sind, allei­ne schul­tern muss.»

Arbei­ten Versäum­nis­se der letzten Jahre in Energie­po­li­tik ab

Scholz (SPD) sieht große Versäum­nis­se in den vergan­ge­nen Jahren in der deutschen Energie­po­li­tik. «Wir arbei­ten sämtli­che Versäum­nis­se der letzten Jahre ab, die in dieser Hinsicht wirklich groß waren», sagte Scholz. Es habe zwar gemein­sa­me Entschei­dun­gen gegeben über Ausstie­ge aus Kohle­ver­stro­mung und Atomener­gie, aber keine Entschei­dun­gen, die ein großes Tempo für eine indus­tri­el­le Moder­ni­sie­rung Deutsch­lands mit sich gebracht hätten. Scholz war als Finanz­mi­nis­ter selbst Mitglied der schwarz-roten Vorgängerregierung.

Scholz nannte die indus­tri­el­le Moder­ni­sie­rung und die Siche­rung des Wohlstands Deutsch­lands das zentra­le gemein­sa­me Reform­vor­ha­ben der Ampel-Regie­rung. Es sei schon eine ganze Reihe von Geset­zes­pa­ke­ten auf den Weg gebracht worden, etwa für einen schnel­len Ausbau der Windkraft in Deutsch­land an Land und auf hoher See.

Mit jeder Windmüh­le, mit jeder Solar­an­la­ge, mit jeder neu in Betrieb genom­me­nen Strom­tras­se sinke die Abhän­gig­keit Deutsch­lands von fossi­len Ressour­cen, die aus aller Welt impor­tiert werden müssten, sagte Scholz. Er versprach der Indus­trie bezahl­ba­re Energie in großer Menge, insbe­son­de­re Strom und Wasser­stoff aus erneu­er­ba­ren Quellen.

Weite­re Entlas­tun­gen ohne Nachtrags­haus­halt machbar

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) sieht keine Notwen­dig­keit für einen Nachtrags­haus­halt in diesem Jahr. «Wir gehen davon aus, dass wir unsere Vorstel­lun­gen in dem finan­zi­el­len Rahmen bewäl­ti­gen können, der uns zur Verfü­gung steht», sagte Scholz am Donners­tag in Berlin. Scholz beton­te zudem, der Bund wolle im kommen­den Jahr die Schul­den­brem­se wieder einhal­ten. Er hat zusätz­li­che Entlas­tun­gen für die Bürger wegen der hohen Energie­prei­sen angekündigt.

Die Schul­den­brem­se ist im Grund­ge­setz veran­kert, war aber in den vergan­ge­nen Jahren wegen der Belas­tun­gen infol­ge der Corona-Pande­mie ausge­setzt worden. In Teilen von SPD und Grünen gibt es Forde­run­gen, die Schul­den­brem­se angesichts der Folgen des Ukrai­ne-Krieges und stark gestie­ge­ner Energie­prei­se auch im nächs­ten Jahr auszusetzen.

Liefe­rung schwe­rer Waffen an die Ukraine

Die Debat­te über die Liefe­rung schwe­rer Waffen an die Ukrai­ne hat inzwi­schen zwar etwas an Schär­fe und Lautstär­ke verlo­ren, ist aber schon deshalb nicht beendet, weil die Wünsche in Kiew nach wie vor groß sind.

Scholz kann darauf verwei­sen, dass bereits einiges in der Ukrai­ne angekom­men ist — beispiels­wei­se zehn Panzer­hau­bit­zen 2000, fünf Gepard-Flugab­wehr­ka­no­nen­pan­zer samt Muniti­on sowie drei Mehrfach­ra­ke­ten­wer­fer Mars II. Diese Zahlen hatte Ende Juli Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rin Chris­ti­ne Lambrecht (SPD) genannt. Aller­dings ging auch einiges schief, etwa der geplan­te Panzer-Ringtausch mit Polen.

Energie­kri­se

Wie kommt Deutsch­land energie­mä­ßig durch den Winter angesichts der stark gedros­sel­ten Gaslie­fe­run­gen aus Russland? Diese Frage stellen sich neben den Bürgern vor allem die Unter­neh­men hierzu­lan­de. Können andere Gaspro­du­zen­ten einsprin­gen? Und sollte nicht doch der zum Jahres­en­de geplan­te endgül­ti­ge Ausstieg aus der Atomener­gie aufge­scho­ben werden?

«Spätes­tens nach dem geplatz­ten Katar-Deal hätte Olaf Scholz die Gas-Beschaf­fung zur Chefsa­che machen müssen», wetter­te CSU-General­se­kre­tär Martin Huber beim Nachrich­ten­por­tal «The Pioneer». «Statt­des­sen schaut er taten­los zu, wie Deutsch­land das Gas ausgeht, und spricht auch kein Macht­wort zur Verlän­ge­rung der Kernkraft.»

Hohe Infla­ti­on

Selbst wenn genügend Energie für alle Haushal­te und für die Indus­trie kommen sollte — sie wird in jedem Fall teuer sein. Vermut­lich noch teurer als heute schon. Dazu kommen rasan­te Preis­stei­ge­run­gen in anderen Berei­chen, vor allem bei Lebens­mit­teln. Reichen angesichts dieser Entwick­lung die bisher von der Ampel-Koali­ti­on aufge­leg­ten Entlas­tungs­pa­ke­te von zusam­men rund 30 Milli­ar­den Euro aus? Oder muss bereits im Herbst ein weite­res beschlos­sen werden? Und wer sollte davon profitieren?

Diese Fragen dürften Scholz ebenso gestellt werden wie die nach seiner Bewer­tung der soeben von Finanz­mi­nis­ter Chris­ti­an Lindner (FDP) vorge­leg­ten Pläne zu Steuer­ent­las­tun­gen für die Bürger von rund zehn Milli­ar­den Euro im kommen­den Jahr. Laut Regie­rungs­spre­cher Steffen Hebestreit empfin­det der Kanzler dafür «grund­sätz­li­ches Wohlwol­len». Etwas genau­er werden es die Journa­lis­tin­nen und Journa­lis­ten dann doch wissen wollen.

Corona-Pande­mie

Zwar sind die Corona-Infek­ti­ons­zah­len nach wie vor hoch — für den Sommer sogar sehr hoch. Dennoch wollen viele Menschen in Deutsch­land im Moment nichts von der Pande­mie wissen. Zuletzt hat vor allem die FDP die Koali­ti­on in dieser Frage getrie­ben und durch­ge­setzt, dass viele Aufla­gen und Vorsichts­maß­nah­men gestri­chen wurden.

Nun haben Gesund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach (SPD) und Justiz­mi­nis­ter Marco Busch­mann (FDP) gemein­sam ein Konzept für den Fall vorge­legt, dass aus der schon hefti­gen Corona-Sommer­wel­le eine noch viel größe­re Herbst- und Winter­wel­le werden sollte. Wie steht eigent­lich der Kanzler zu diesen Plänen, die vor allem auf das verstärk­te Tragen von Masken setzen?

Hambur­ger Steueraffäre

Alle diese Themen sind in die Zukunft gerich­tet — doch auch die Vergan­gen­heit dürfte den Kanzler einho­len. Es geht um seine Rolle als Hambur­ger Regie­rungs­chef in der Steuer­af­fä­re um die Warburg Bank, den sogenann­ten Cum-Ex-Geschäf­ten. Nach Treffen 2016 und 2017 mit den Bank-Gesell­schaf­tern Chris­ti­an Oleari­us und Max Warburg im Amtszim­mer von Scholz hatte die Finanz­ver­wal­tung eine Steuer­rück­for­de­rung in Höhe von 47 Millio­nen Euro gegen die Bank verjäh­ren lassen. Weite­re 43 Millio­nen Euro wurden 2017 erst nach Inter­ven­ti­on des Bundes­fi­nanz­mi­nis­te­ri­ums kurz vor Eintritt der Verjäh­rung eingefordert.

Für Scholz könnte der Auftritt in der Bundes­pres­se­kon­fe­renz ein Vorge­schmack auf den 19. August werden, wenn er erneut als Zeuge im Parla­men­ta­ri­schen Unter­su­chungs­aus­schuss der Hambur­ger Bürger­schaft aussa­gen muss. Auch Journa­lis­ten verste­hen sich auf Kreuzverhöre.

SPD-Chef Lars Kling­beil hat sich optimis­tisch gezeigt, dass Bundes­kanz­ler Olaf Scholz den Verdacht der politi­schen Einfluss­nah­me auf Steuer­ent­schei­dun­gen zu der in den «Cum-Ex»-Skandal verwi­ckel­ten Warburg Bank ausräu­men kann. «Ich bin mir sicher, es hat keinen politi­schen Einfluss gegeben, und das wird auch die Aussa­ge des Bundes­kanz­lers vor dem Unter­su­chungs­aus­schuss zeigen», sagte Kling­beil am Donners­tag im ZDF-«Morgenmagazin».

Erwar­tun­gen an Scholz

Schon vor seiner ersten Sommer-Presse­kon­fe­renz sieht sich der Kanzler mit vielen Erwar­tun­gen konfron­tiert. So forder­te der CDU-Vorsit­zen­de Fried­rich Merz eine neue Strate­gie bei Entlas­tungs­pro­gram­men gegen die hohe Infla­ti­on. Vom bishe­ri­gen Vorge­hen hält er wenig.

«Es wäre besser gewesen, wirklich bedürf­ti­gen Haushal­ten etwas mehr zukom­men zu lassen, statt Geld mit der Gießkan­ne zu vertei­len. Das ist aus meiner Sicht der völlig falsche Ansatz. Das belas­tet den Bundes­haus­halt und es kommt nicht genug bei denen an, die wirklich Unter­stüt­zung bräuch­ten», sagte Merz der Deutschen Presse-Agentur. Künfti­ge Hilfen müssten außer Hartz IV- und Wohngeld­be­zie­hern auch Haushal­ten helfen, «die mit ihrem Einkom­men ganz knapp über diesen Trans­fer­leis­tun­gen liegen». Merz nannte sie «Grenz­haus­hal­te».

Der Vorstand der Organi­sa­ti­on Campact, Chris­toph Bautz, sieht Deutsch­land gleich mit zwei Großkri­sen konfron­tiert — der Energie­preis- und der Klima­kri­se. «Debat­ten laufen zu lassen und ein bisschen zu moderie­ren, reicht da nicht für einen Kanzler. Von Olaf Scholz erwar­ten wir endlich einen klaren Kompass», sagte Bautz der dpa.

«Statt mit Frack­ing, Atom- und Kohle­kraft auf die Rezep­te von vorges­tern zu setzen, muss er jetzt einen smarten Booster für die Erneu­er­ba­ren und die Wärme­wen­de auf den Weg bringen.» Die Schwa­chen in der Gesell­schaft müsse er gezielt entlas­ten und gleich­zei­tig dieje­ni­gen, die sich an der Krise berei­chern, in die Pflicht nehmen. «Das wäre die Führung, die er im Wahlkampf verspro­chen hat.»