MÜNCHEN (dpa) — Erstmals seit 2019 kann die Inter­na­tio­na­le Handwerks­mes­se in München wieder statt­fin­den. Viele Handwerks­be­trie­be finden sich in einer unschö­nen Lage: Zu wenig Perso­nal, steigen­de Kosten, Materialmangel.

Deutsch­lands Handwerks­be­trie­be suchen eine sechs­stel­li­ge Zahl von Mitar­bei­tern. Bei den Arbeits­agen­tu­ren sind nach Angaben des Zentral­ver­bands des Deutschen Handwerks (ZDH) derzeit 150.000 offene Stellen gemel­det. Da nicht alle Betrie­be unbesetz­te Stellen an die Agentu­ren melden, geht der Verband von schät­zungs­wei­se rund 250.000 fehlen­den Handwer­ke­rin­nen und Handwer­kern aus, wie eine ZDH-Spreche­rin berich­te­te. «Tendenz steigend». Grund­la­ge sind Rückmel­dun­gen aus den Handwerkskammern.

Der Fachkräf­te­man­gel wird eines der beherr­schen­den Themen auf der Münch­ner Inter­na­tio­na­len Handwerks­mes­se sein, die an diesem Mittwoch eröff­net wird und zum ersten Mal seit 2019 wieder statt­fin­den kann. «Wenn wir bei der Nachwuchs- und Fachkräf­te­ver­sor­gung nicht schnellst­mög­lich gegen­steu­ern, droht nicht nur ein Schei­tern der Energie­wen­de, sondern auch ein massi­ver Wirtschafts­ein­bruch, ein Verlust an Wertschöp­fung und Wohlstand», sagte Franz Xaver Peteran­derl, Präsi­dent des Bayeri­schen Handwerks­tags, als einer der Gastgeber.

Bundes­wirt­schafts­mi­nis­ter Robert Habeck (Grüne) will am Mittwoch zur Eröff­nung der Messe kommen, Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) wird am Freitag beim tradi­tio­nel­len Spitzen­ge­spräch mit der deutschen Wirtschaft erwartet.

Der Perso­nal­man­gel hemmt nicht nur das Wirtschafts­wachs­tum, sondern gefähr­det die politi­schen Ziele der Bundes­re­gie­rung, wie nicht nur Handwerks­funk­tio­nä­re seit Jahren warnen. Ein Beispiel: In Deutsch­land gibt es etwa 43 Millio­nen Wohnun­gen, bis 2040 sollen diese komplett klima­neu­tral werden. Da ein großer Teil des Gebäu­de­be­stands bislang nicht energie­ef­fi­zi­ent ist, gehen Fachleu­te von einem jährli­chen Umbau­be­darf von an die zwei Millio­nen Wohnun­gen aus.

«Häuser energie­ef­fi­zi­ent sanie­ren, Ladesäu­len und Solar­dä­cher instal­lie­ren, Windan­la­gen aufbau­en und warten und vieles mehr», heißt es beim ZDH. «Das machen Handwer­ke­rin­nen und Handwer­ker, sie sind für all diese Zukunfts­auf­ga­ben unverzichtbar.»

Dementspre­chend zählen zu den Gewer­ken mit dem größten Fachkräf­te­man­gel auch mehre­re Baube­ru­fe: Laut ZDH sind dies Instal­la­teu­re und Heizungs­bau­er, Kälte­an­la­gen­bau­er, Rollla­den- und Sonnen­schutz­tech­ni­ker, außer­dem Elektro­tech­ni­ker, Elektro­ma­schi­nen­bau­er, Augen­op­ti­ker, Hörakus­ti­ker und Metallbauer.

Anders als 2020 und 2021 gibt es derzeit kaum Corona-Einschrän­kun­gen, daher wollen Handwer­ker bundes­weit die Gelegen­heit nutzen, um in einem «Sommer der Berufs­bil­dung» nach Kräften Nachwuchs zu werben.

Gut eine Milli­on Handwerks­be­trie­be mit knapp 5,6 Millio­nen Mitar­bei­tern — das sind etwa 12 Prozent aller Erwerbs­tä­ti­gen — sind in Deutsch­land einge­tra­gen. Weit größe­re Bedeu­tung hat das Handwerk noch für die Berufs­aus­bil­dung. Handwer­ker bilden etwa 360.000 Lehrlin­ge aus, laut ZDH sind das 29 Prozent aller Azubis.

Im vergan­ge­nen Jahr schlos­sen die deutschen Handwer­ker 132.129 neue Lehrver­trä­ge ab, 2000 mehr als im ersten Corona-Jahr 2020. Doch rund 18.800 Ausbil­dungs­stel­len blieben unbesetzt. «Aktuell befin­den wir uns mit Blick auf die Zahl der Neuver­trä­ge in etwa auf Vorjah­res­ni­veau, mit Blick auf die Zahl der unbesetz­ten Ausbil­dungs­stel­len liegen wir klar über dem Vorjah­res­wert», heißt es beim ZDH. Nach Daten der Handwerks­kam­mern waren im Mai noch 33.705 Ausbil­dungs­plät­ze unbesetzt. Aller­dings sei der Ausbil­dungs­markt im Moment noch stark in Bewegung.

Die wirtschaft­li­che Lage im Handwerk ist laut ZDH aktuell noch recht stabil, aber durch «die multi­plen und inein­an­der­grei­fen­den Krisen» gefähr­det. Denn der Fachkräf­te­man­gel ist keines­wegs das einzi­ge Problem. Daneben seien die unkal­ku­lier­ba­ren Energie­prei­se und die Versor­gung mit Energie die größten Heraus­for­de­run­gen, sagte der bayeri­sche Handwerks­prä­si­dent Peteranderl.

So haben in diesem Jahr in einer ZDH-Umfra­ge 39 Prozent der bayeri­schen Handwerks­be­trie­be eine Verdopp­lung ihrer Energie­kos­ten im Vergleich zu 2021 gemel­det. «Diese Kosten­stei­ge­rung kann kein Betrieb vollstän­dig an seine Kunden weiter­ge­ben, zwei Drittel der Befrag­ten nur zum Teil und ein Drittel gar nicht», sagt Peteranderl.

Der Materi­al­man­gel trifft das Handwerk ebenso wie die Indus­trie und hat sich seit Beginn des Ukrai­ne-Kriegs noch verschärft. Für Bauhand­werk und die Baukon­junk­tur verheißt das nichts Gutes: «Je länger der Ukrai­ne-Krieg und die damit verbun­de­nen Sanktio­nen dauern, je länger China eine Null-Covid-Strate­gie fährt, desto stärker werden die Liefer­ket­ten strapa­ziert», sagt Peteran­derl. «Eine Folge wird unter anderem sein, dass Bauar­bei­ten nicht termin­ge­recht und zum verein­bar­ten Preis ausge­führt werden können.»

Von Carsten Hoefer, dpa