SCHWELM/SAARBRÜCKEN (dpa/tmn) — Häufig müssen ältere Menschen mehre­re Arznei­mit­tel einneh­men. Das birgt auch Risiken — unter anderem steigt die Wahrschein­lich­keit von Neben­wir­kun­gen. Umso wichti­ger ist es, den Überblick zu behalten.

Zwei Tablet­ten morgens, drei abends: Ältere Menschen nehmen oft mehre­re Medika­men­te am Tag. Bei 7,6 Millio­nen Bundes­bür­gern ab 65 Jahren sind es nach Angaben der Bundes­ver­ei­ni­gung Deutscher Apothe­ker­ver­bän­de (ABDA) fünf oder mehr.

Dadurch steigen die Risiken, etwa für Neben­wir­kun­gen. Bei älteren Menschen sind laut ABDA bis zu 30 Prozent der Kranken­haus­ein­wei­sun­gen auf unerwünsch­te Arznei­mit­tel­wir­kun­gen zurück­zu­füh­ren. Meist stünden diese in Zusam­men­hang mit einer Polyme­di­ka­ti­on — je nach Defini­ti­on spricht man davon, wenn eine Patien­tin oder ein Patient dauer­haft mindes­tens drei oder mindes­tens fünf Medika­men­te einnimmt.

Warum so viele Medikamente?

Gründe für eine Polyme­di­ka­ti­on gibt es einige. Wer mit verschie­de­nen Krank­heits­bil­dern kämpft, braucht verschie­de­ne Medika­men­te, das ist klar. Proble­ma­tisch ist es aber, wenn die Einnah­me eines oder mehre­rer Mittel verzicht­bar ist.

Dafür gibt es eine Menge mögli­cher Szena­ri­en: Zum Beispiel, wenn eine Thera­pie nach dem Errei­chen des Ziels nicht beendet und das Medika­ment quasi ohne Anlass weiter genom­men wird.

Oder wenn eine Neben­wir­kung nicht als solche erkannt wird und statt eines besser verträg­li­chen Präpa­rats einfach ein weite­res Medika­ment gegen die Neben­wir­kung verord­net wird. «Verord­nungs­kas­ka­de» sagt man dazu. Oft fehlt einfach der Überblick über die Substan­zen, die man so einnimmt — oder die Kommu­ni­ka­ti­on zwischen verschie­de­nen Fachärz­tin­nen und Fachärz­ten ist nicht so gut.

Daran wird deutlich: Es ist sehr wichtig, dass man als Patien­tin oder Patient im eigenen Medika­men­ten­wald den Durch­blick behält. Das gilt ebenso für die behan­deln­den Ärztin­nen und Ärzte.

Liste führen und pflegen

Idealer­wei­se würde jeder, der mehre­re Medika­men­te einneh­men muss, eine Liste anlegen. Diese darf auch handschrift­lich geführt sein und listet auf: Welche Pillen werden wann einge­nom­men und wofür oder wogegen? «Da reichen prinzi­pi­ell Angaben wie Blutdruck­pil­le oder Herzta­blet­te», sagt Prof. Hans Jürgen Heppner, Präsi­dent der Deutschen Gesell­schaft für Geria­trie (DGG).

Selbst­me­di­ka­tio­nen sollten darin ebenfalls aufge­führt sein, ergänzt Prof. Daniel Grandt. Er ist Gründungs­mit­glied des Aktions­bünd­nis­ses Patien­ten­si­cher­heit und Inter­nist und Gastro­en­te­ro­lo­ge am Klini­kum Saarbrü­cken. «Der Plan sollte aktuell und vollstän­dig sein und die Dosie­rung enthal­ten.» Diesen kann man bei jedem Arzt- und Apothe­ken­be­such oder Klinik­auf­ent­halt vorlegen.

Anspruch auf Medikationsplan

Eigent­lich soll bei einer vorlie­gen­den Polyme­di­ka­ti­on ein bundes­ein­heit­li­cher Medika­ti­ons­plan helfen. Seit Herbst 2016 haben gesetz­lich Versi­cher­te einen Anspruch darauf, wenn sie dauer­haft mindes­tens drei Medika­men­te gleich­zei­tig einneh­men oder anwenden.

Den Plan erstellt laut kassen­ärzt­li­cher Bundes­ver­ei­ni­gung in der Regel die Hausärz­tin oder der Hausarzt. Das Papier soll durch seine einheit­li­che Gestal­tung Patien­tin­nen und Patien­ten das Verste­hen erleich­tern und Infor­ma­ti­ons­ver­lus­te zwischen Ärzten verhindern.

Doch Brandt sieht noch viel Verbes­se­rungs­po­ten­ti­al. So sei der bundes­ein­heit­li­che Medika­ti­ons­plan zwar eine gute Idee, jedoch häufig unvoll­stän­dig, weil Ärzte die von Kolle­gen verord­ne­te Medika­ti­on gar nicht kennen würden, erklärt der Medizi­ner, der daran mitge­ar­bei­tet hat, ihn auf den Weg zu bringen.

Und: «Der bundes­ein­heit­li­che Medika­ti­ons­plan hat leider nur eine ganz gerin­ge Verbrei­tung», sagt Brandt. So ergab etwa eine Umfra­ge unter knapp 3000 Versi­cher­ten der Barmer-Kranken­kas­se, die 65 Jahre oder älter waren und dauer­haft mehre­re Medika­men­te einnah­men: Bei der Aufnah­me in eine Klinik hatten 29 Prozent der Befrag­ten einen bundes­ein­heit­li­chen Medika­ti­ons­plan verfügbar.

Ungefähr jeder und jede Sechs­te (17 Prozent) hatten gar keine aktuel­le Aufstel­lung zu ihren Arznei­mit­teln parat.

Unerwünsch­te Wechsel­wir­kun­gen vermeiden

Ob selbst notiert oder vom Arzt gepflegt: Wer ein beson­de­res Medika­ment einneh­men muss — beispiels­wei­se einen Fettsen­ker nach einer schwe­ren Herzer­kran­kung — sollte das auf jeden Fall notie­ren (lassen), um ungewünsch­te Wechsel­wir­kun­gen zu vermeiden.

Zudem sollte man der Ärztin oder dem Arzt, die oder der ein neues Medika­ment verord­net, gut zuhören und mögli­che Ratschlä­ge vermer­ken (lassen). Wann ist die ideale Uhrzeit für die Einnah­me? Welche Nahrungs­mit­tel vertra­gen sich gut damit und welche weniger?

Der Plan mit allen Infos über die eigenen Medika­men­te sollte am besten so aufbe­wahrt werden, dass Rettungs­kräf­te diesen im Notfall finden. Idealer­wei­se lagert er im Kühlschrank, rät Heppner. Hierfür gibt es zum Beispiel die grüne «Notfall­do­se» und entspre­chen­de Aufkle­ber, die man an der Haustür platzie­ren kann, damit die Rettungs­kräf­te gleich wissen, wo sie suchen müssen.

Rat einho­len

Wer sich nach einem Kranken­haus­auf­ent­halt oder Arztwech­sel unsicher ist, ob mit den Arznei­mit­teln, die man so einnimmt, noch alles passt, kann eine spezi­el­le Medika­ti­ons­sprech­stun­de besuchen. Aller­dings seien diese noch rar gesät, sagt Heppner.

Alter­na­tiv sind natür­lich immer die Hausärz­tin oder der Hausarzt oder Apothe­ken vor Ort eine Anlauf­stel­le für Beratungen.

Dort sollte man auch vorstel­lig werden, ehe man auf eigene Faust frei verkäuf­li­che Medika­men­te einnimmt, rät Heppner. «Natür­lich kostet das etwas Überwin­dung», gibt der Geria­ter zu, «aber es kann wichtig sein.» In Kombi­na­ti­on mit den häufig verschrie­be­nen Blutdruck­sen­kern vertra­ge sich etwa Schmerz­mit­tel oder Ginkgo nicht gut.

Daniel Grandt warnt: Nehmen Sie keine Medika­men­te, die Freun­den oder Verwand­ten verord­net wurden, als Selbstmedikation.

Pillen­spen­der oder Apps

Das klassi­sche Hilfs­mit­tel, um mit seinen Medika­men­ten nicht durch­ein­an­der zu kommen und sie immer zum richti­gen Zeitpunkt zu nehmen, ist der Pillen­spen­der. Ihn befüllt man bevor­zugt einmal in der Woche — ganz in Ruhe und bei guter Beleuch­tung. Alters­me­di­zi­ner Heppner rät, die Einnah­me­zei­ten zu sortie­ren, etwa in morgens, mittags und abends.

Automa­ti­sche Dosier­be­häl­ter lösen zu fest einge­stell­ten Zeiten einen Alarm aus — manche akustisch und mit Licht­si­gnal. Beson­ders smarte Geräte sind so ausge­stat­tet, dass sie zuvor festge­leg­te Perso­nen infor­mie­ren können, sollte die Einnah­me ausbleiben.

Verschie­de­ne Apps helfen ebenfalls beim Erinnern und Sortie­ren, darun­ter Mediteo, Vimedi und Callmy­a­po — diese drei schnit­ten im Januar in einem Vergleich der Stiftung Waren­test von zehn kosten­lo­sen und werbe­frei­en Apps zur Medika­men­ten­ein­nah­me am besten ab.

Wer nicht zurecht­kommt, sollte sich recht­zei­tig Hilfe holen, rät Heppner. Sieht man zum Beispiel schlecht oder vergisst die Einnah­me häufig, kann man einen Pflege­dienst zur Medika­men­ten­ga­be beauf­tra­gen. «Über die Kranken­kas­se bekommt man ein Verord­nungs­re­zept zur Behand­lungs­pfle­ge, das hat nichts mit der Pflege­stu­fe zu tun.»

Von Berna­dette Winter und Weroni­ka Penesh­ko, dpa