Melina, Leonie, Sophie, Timo, Luca. Fünf tote Kinder. Mutmaß­lich getötet von ihrer noch jungen Mutter, die auch sich selbst das Leben nehmen wollte. Ein verstö­ren­der, schockie­ren­der Fall und die quälen­de Frage: Warum?

Am Boden ein Paar Jungen-Sommer­schu­he, die das Kind offen­bar eilig von den Füßen gestreift hat. Es sieht aus, als ob hier eine glück­li­che, quirli­ge Familie wohnt. Ein drasti­scher Trugschluss, wie man seit Donners­tag weiß. An dem Tag, an dem man die Leichen von fünf Kindern fand. Sie sind mutmaß­lich erstickt, wie die Ermitt­ler am Freitag schildern.

Was sich hinter der Tür in der Wohnung in der Hassel­stra­ße 155 in der bergi­schen Stadt Solin­gen abgespielt hat — man kann nur speku­lie­ren. Entsetz­li­cher Fakt ist: Fünf der sechs Geschwis­ter, die hier lebten, sind tot — zwei Jungen, drei Mädchen. Das ältes­te Kind wurde acht Jahre alt, das jüngs­te ein Jahr, wie Einsatz­lei­ter Robert Gereci berich­tet. Nur ein Geschwis­ter­kind lebt, Marcel, ein elfjäh­ri­ger Junge — er ist in die Obhut seiner Oma in Mönchen­glad­bach gegeben.

Am Tag nach dem Fund der toten Kinder ist vieles noch offen. Die Polizei fand alle Fünf in ihren Betten liegend, Anzei­chen «schar­fer oder stump­fer Gewalt» gibt es nicht. Ein Bild des Grauens, schwer zu ertra­gen für die Ermitt­ler, betont der Einsatz­lei­ter. Nicht auszu­schlie­ßen, dass die Mutter ihnen auch eine Substanz verab­reich­te, die toxiko­lo­gi­schen Unter­su­chun­gen stehen noch aus. Man habe eine Frühstück­si­tua­ti­on in der Küche vorge­fun­den. Schäl­chen standen noch auf dem Tisch, berich­tet der Leiter der Mordkom­mis­si­on, Marcel Maierhofer.

Quälend ist auch die Frage nach dem Motiv — was trieb die Frau an? Eine Tat im «Zustand emotio­na­ler Überfor­de­rung», meint Staats­an­walt Heribert Kaune-Gebhardt. Man habe vorher aber keine Hinwei­se darauf gehabt, dass das Kindes­wohl gefähr­det gewesen sei. Vier Getöte­te stamm­ten aus einer zerrüt­te­ten Ehe, die Partner lebten seit einem Jahr vonein­an­der getrennt. Zwei weite­re Kinder hatte die Mutter aus vorhe­ri­gen Bezie­hun­gen. Keiner der drei Väter ist tatver­däch­tig. Der Staats­an­walt sagt, es sei Haftbe­fehl gegen die Mutter beantragt worden. Dann kommt er nach Ende der Presse­kon­fe­renz noch mal kurz raus zu den Medien­ver­tre­tern: Soeben wurde Haftbe­fehl gegen die Frau erlas­sen. Sie ist noch nicht vernehmungsfähig.

Die Kinder — Melina, Leonie, Sophie, Timo und Luca — hatten eigent­lich noch ihr ganzes Leben vor sich. Warum ist Marcel der einzi­ge, der nicht getötet wurde? Die Ermitt­ler können nur mutma­ßen, vielleicht hatte er einfach Glück, dass er zur Tatzeit in der Schule war. Die Mutter holte ihn dort unter einem Vorwand am Donners­tag­mit­tag früher ab, da waren seine Geschwis­ter schon tot. Sie fuhren nach Düssel­dorf, Marcel gelang­te von dort aus allein zur Oma in Mönchengladbach.

Die 27-Jähri­ge hatte auf der Fahrt ihre Mutter angeru­fen. Sie könne einfach nicht mehr. Die Kinder seien tot, sie selbst werde sich auch umbrin­gen. Bei dem Suizid­ver­such — sie warf sich am Düssel­dor­fer Haupt­bahn­hof vor einen einfah­ren­den Zug — erlei­det sie innere Verlet­zun­gen. Marcel schreibt etwa zu dieser Zeit in einem schuli­schen Gruppen­chat, alle seine Geschwis­ter seien tot. Und der Vater, die Väter? Man erfährt praktisch nichts über sie. Nur, dass der 28 Jahre alte Vater der vier Kinder infor­miert ist.

Am Tag danach herrscht am Tatort Sprach­lo­sig­keit. Stille ist einge­kehrt. Alle Absper­run­gen sind aufge­ho­ben. Für die Beamten haben die Spuren vor Ort gesichert, sind abgezo­gen. Vor dem Hausein­gang, an den Brief­käs­ten, brennen am Freitag Kerzen. Anwoh­ner haben auch Stoff­tie­re und Blumen niedergelegt.

In Düssel­dorf zeigt sich Minis­ter­prä­si­dent Armin Laschet (CDU) schockiert. «Das lässt einen im Tages­ge­schäft innehal­ten», sagt er. Bundes­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rin Franzis­ka Giffey (SPD) trauert: «Fünf kleine Leben sind gestern ausge­löscht worden — das übersteigt unsere Vorstel­lungs­kraft von dem, was Menschen imstan­de sind zu tun.» Man dürfe aber nicht vorschnell urteilen.

Der Familie seien von der Stadt «erfor­der­li­che Unter­stüt­zun­gen gewährt worden, teilt ein Sprecher mit. Das Solin­ger Jugend­amt habe zusätz­li­che Hilfs­an­ge­bo­te unter­brei­tet. Aber: «Erkennt­nis­se zu Auffäl­lig­kei­ten oder einer poten­ti­el­len Gefähr­dung der Kinder gab es zu keinem Zeitpunkt.»

Dass eine Mutter eine solche Tat begehe, habe er bisher nie erlebt, betont Krimi­nal­ex­per­te Axel Peter­mann. «Diese Gewalt bedeu­tet ja auch für jede einzel­ne Tötung einen neuen Entschluss.» Ulrike Zährin­ger von der Akade­mie der Polizei Hamburg sagt im WDR auf die Frage, warum Eltern ihre Kinder töten, dass Trennungs­si­tua­tio­nen oft eine Rolle spiel­ten. Der Täter oder die Täterin sehe sich in einer ausweg­lo­sen Situa­ti­on, wünsche sich zu sterben und könne sich nicht vorstel­len, die Kinder allein oder in einer getrenn­ten Familie ihrem Schick­sal zu überlassen.