BERLIN (dpa) — Die Wahlkrei­se sind ausge­zählt: Die SPD gewinnt mit Olaf Scholz an ihrer Spitze die Bundes­tags­wahl. Für die CDU ist es ein ernüch­tern­des Ergebnis.

Die SPD hat die Bundes­tags­wahl nach dem Ergeb­nis der Auszäh­lung aller Wahlkrei­se gewon­nen. Erstmals seit mehre­ren Jahren legte sie wieder zu und kam auf 25,7 Prozent, wie in der Nacht auf der Website des Bundes­wahl­lei­ters ersicht­lich war.

Die CDU/CSU stürz­te dagegen nach 16 Jahren Regie­rungs­zeit von Kanzle­rin Angela Merkel mit 24,1 Prozent auf ein Rekord­tief. Die Grünen erran­gen mit 14,8 Prozent das beste Ergeb­nis ihrer Geschich­te und wurden dritt­stärks­te Kraft. Die FDP verbes­ser­te sich auf 11,5 Prozent. Die AfD rutsch­te mit 10,3 Prozent vom dritten auf den fünften Rang. Die Linke stürz­te auf 4,9 Prozent, kann aber wegen dreier Direkt­man­da­te dennoch im Bundes­tag bleiben.

Damit zeich­net sich eine kompli­zier­te Regie­rungs­bil­dung ab. Einzig denkba­res Zweier­bünd­nis wäre eine neue große Koali­ti­on, die aber weder SPD noch Union wollen. Deshalb dürfte es voraus­sicht­lich zum ersten Mal seit den 50er Jahren ein Dreier­bünd­nis im Bund geben. Rechne­risch sind mehre­re Konstel­la­tio­nen möglich.

Scholz beansprucht Kanzler­schaft für sich

Scholz sieht einen klaren Wähler­auf­trag für die SPD. Viele Wähle­rin­nen und Wähler hätten deutlich gemacht, dass sie einen «Wechsel in der Regie­rung» wollten und dass der nächs­te Kanzler Olaf Scholz heißen solle. Es gilt als wahrschein­lich, dass Scholz ein Ampel-Bündnis mit Grünen und FDP anstrebt, wie es in Rhein­land-Pfalz seit 2016 regiert.

FDP-Chef Chris­ti­an Lindner hat bisher aber starke Vorbe­hal­te gegen eine solche Koali­ti­on im Bund angemel­det, er zieht die Union als Partner vor. Am Wahlabend jedoch beton­te Gemein­sam­kei­ten mit den Grünen. «Und deshalb kann es in Deutsch­land kein Weiter so geben. Jetzt ist die Zeit für einen neuen Aufbruch», sagte er.

Auch Laschet will Regie­rung stellen

Aber auch Laschet will trotz der massi­ven Verlus­te versu­chen, eine Regie­rung zu schmie­den. «Eine Stimme für die Union ist eine Stimme gegen eine links­ge­führ­te Bundes­re­gie­rung. Und deshalb werden wir alles daran setzen, eine Bundes­re­gie­rung unter Führung der Union zu bilden», sagte er. «Deutsch­land braucht jetzt eine Zukunfts­ko­ali­ti­on, die unser Land modernisiert.»

CDU-General­se­kre­tär Paul Ziemi­ak sprach von einer «Zukunfts­ko­ali­ti­on» aus Union, Grünen und FDP. Auch CSU-Chef Markus Söder sprach sich für ein «Bündnis der Vernunft» unter Führung Laschets aus: «Wir glauben fest an die Idee eines Jamaika-Bündnisses.»

Ein solches Jamai­ka-Bündnis, wie es in Schles­wig-Holstein regiert, war 2017 im Bund an der FDP geschei­tert. Diesmal dürften eher die Grünen bremsen. Vor allem in der Finanz- und der Klima­po­li­tik sind die Diffe­ren­zen zwischen Grünen und FDP groß.

Nicht ausge­schlos­sen ist, dass Laschet oder Scholz auch als Zweit­plat­zier­te versu­chen könnten, ein Bündnis mit Grünen und FDP zu schmie­den. Das wäre kein Novum. Willy Brandt wurde 1969 Kanzler einer sozial­li­be­ra­len Koali­ti­on, obwohl die SPD nur auf Platz zwei gelan­det war. Genau­so war es bei Helmut Schmidt 1976 und 1980.

Ergeb­nis für die Union ein schwe­rer Schlag

Für die Union ist das Ergeb­nis zum Ende der Ära Merkel in jedem Fall ein schwe­rer Schlag — nicht nur für die CDU, sondern auch für die CSU, deren Partei­chef Markus Söder sich im Frühjahr in einem Macht­kampf mit Laschet um die Kanzler­kan­di­da­tur geschla­gen geben musste. Nach Auszäh­lung aller 46 Wahlkrei­se in Bayern erreich­te die CSU laut Inter­net­sei­te des Landes­wahl­lei­ters nur noch 31,7 Prozent. Das bedeu­tet ein Minus von rund sieben Prozent­punk­ten im Vergleich zur Bundes­tags­wahl 2017 (38,8 Prozent). Die CSU ist damit auf ihr schlech­tes­tes Bundes­tags­wahl­er­geb­nis seit 1949 abgestürzt.

Über weite Strecken hatte die Union in Umfra­gen klar geführt. Wegen des Höhen­flugs der Grünen galt lange ein schwarz-grünes Bündnis als wahrschein­lich. Im Wahlkampf leiste­te sich Laschet aber Patzer, darun­ter sein Lachen im NRW-Katastro­phen­ge­biet, während Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er über die Flutop­fer sprach.

Ähnlich erging es Grünen-Kanzler­kan­di­da­tin Baerbock. Nachdem ihre Partei noch im Frühjahr in Umfra­gen zeitwei­se vorn gelegen hatte, verlor sie im Sommer deutlich, als Baerbock unter anderem Fehler im Lebens­lauf und zu spät gemel­de­te Neben­ein­künf­te einräu­men musste. Auch Plagi­ats­vor­wür­fe im Zusam­men­hang mit ihrem Buch machten ihr zu schaffen.

Baerbock nach Wahl enttäuscht

Am Wahlabend zeigte sich Baerbock enttäuscht. «Wir wollten mehr», räumte sie ein. Das habe nicht geklappt, auch aufgrund eigener Fehler. «Dieses Land braucht eine Klima­re­gie­rung», beton­te Baerbock. «Dafür kämpfen wir jetzt weiter mit euch allen.» Ihr Co-Vorsit­zen­der, Robert Habeck, hielt seiner Partei alle Optio­nen bei mögli­chen Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen offen. Die Grünen hätten «gute Chancen, stark in die nächs­te Regie­rung zu gehen», sagte Habeck. «Wir wollen regieren.»

Vorerst gestoppt scheint der Höhen­flug der AfD, die 2017 erstmals in den Bundes­tag einzog und damals aus dem Stand dritt­stärks­te Partei wurde. Die Co-Frakti­ons­vor­sit­zen­de der AfD im Bundes­tag, Alice Weidel, nannte das Abschnei­den ihrer Partei «sehr solide».

Der neue Bundes­tag dürfte so groß werden wie nie zuvor. Schon in der abgelau­fe­nen Wahlpe­ri­ode war er auf die Rekord­grö­ße von 709 Abgeord­ne­ten angewach­sen, das Soll liegt bei 598 Sitzen. Union und SPD hatten 2020 nur eine kleine Wahlrechts­re­form beschlos­sen. Eine größe­re Reform ist erst für die Wahl 2025 geplant. Dafür soll eine Kommis­si­on bis Mitte 2023 Vorschlä­ge machen.

Von Uta Winkhaus und Stefan Heine­mey­er, dpa